CLEO

Claudia Dvoracek-Iby für #kkl26 „Säen und Ernten“




CLEO

Heute ist es endlich so weit! Ich bekomme ein Frauchen. Und gemeinsam mit dem Frauchen zieht noch jemand bei uns ein: Eine Katze. Ich mag Katzen. Obwohl ich ein Hund bin. Genau gesagt, bin ich eine Mastiff Hündin, Molly ist mein Name. Manche haben Angst vor mir, weil ich so groß und massig bin. Das erkenne ich deutlich an den respektvollen Blicken, die mir zugeworfen werden, wenn Jonas, mein Herrchen, mit mir spazieren geht. Dabei, so sagt Jonas immer, kann ich keiner Fliege etwas zuleide tun. Und er hat recht, obwohl, ich könnte schon, aber ich tue es nicht.

Das Frauchen kenne ich schon seit einigen Monaten. Jonas nennt sie Schatzi. Die Katze heißt Cleo. Schatzi war schon oft zu Besuch bei uns. Ich mag sie, sie bringt mir immer Leckerlis mit. Cleo kenne ich noch nicht persönlich, nur vom Geruch her, der an Schatzis Kleidung haftet. Ich mag den Geruch. Auf jeden Fall ist es höchste Zeit, dass Schatzi und Cleo zu uns ziehen. Jonas ist nämlich so verliebt in Schatzi, dass er ständig an sie denken muss, wenn sie nicht bei ihm ist. Deswegen ist er oft sehr verwirrt und nicht bei der Sache, die er gerade macht. So hat er mir letztens statt meinem Futternapf seine Salatschüssel hingestellt. Und einmal hat er vergessen, mit mir zur üblichen Zeit Gassi zu gehen. Stattdessen hat er stundenlang mit Schatzi telefoniert, und musste danach mein großes Geschäft vom Vorzimmerteppich putzen.

Jetzt schaut er gerade unruhig aus dem Fenster, geht dann nervös im Zimmer auf und ab, und riecht an den roten Rosen, die er zuvor in eine Vase auf Schatzis Kommode gegeben hat. Schatzis Möbel sind nämlich schon in den letzten Tagen geliefert worden. Unter anderem auch ein Katzenkratzbaum, an dem ich sehr gerne schnüffle, und ein großes, bequemes Körbchen. Ich stelle mir vor, dass Cleo und ich beste Freunde werden, und dass wir nach dem gemeinsamen Spielen zusammengekuschelt in diesem Korb faulenzen werden.

 „Molly“, sagt Jonas zu mir, und streichelt meinen Kopf. „Jeden Moment werden sie kommen. Ach, wie ich mich freue, dass mein Schatzi endlich zu mir zieht! Und ihre Katze natürlich. Aber bitte lass Cleopatra Zeit, sich einzugewöhnen. Ein Umzug ist nicht einfach für eine Katze. Stürze dich nicht gleich auf sie. Sie ist zwar eine äußerst selbstbewusste Katze, aber ich weiß nicht, wie sie auf dich reagiert. Sie hat noch nie einen Hund gesehen. Vielleicht hat sie Angst vor dir. Sei bitte so lieb und einfühlsam wie immer, okay?“

„Wuff, wuff“, sage ich beleidigt. Was denkt Jonas denn, natürlich werde ich mich von meiner besten Seite zeigen.

„Oh, sie sind da!“ Wir beobachten durchs Fenster, wie Schatzis rotes Auto vor unserem Haus anhält. Und schon stürzt Jonas vor lauter Freude beinahe über die Türschwelle. „Komm, Molly!“

Draußen umarmen sich Schatzi und Jonas lange, dann begrüßt mich Schatzi mit einigen leckeren Leckerlis. Und dann nimmt sie einen großen Katzenkorb von der Rückbank ihres Autos, hebt ihn heraus.

„Darf ich vorstellen, Molly, das ist meine kleine Königin Cleopatra“, sagt sie zu mir.

Neugierig sehe ich in den Korb, drücke meine Schnauze an die Gitterstäbe. Zwei tiefgrüne Augen blitzen mich an. Dann höre ich ein wütendes Fauchen und spüre zugleich scharfe Krallen auf meiner Nase. Erschrocken weiche ich zurück und winsle. Sie hat mich tatsächlich gekratzt!

„Aber Cleo, Molly wollte dich doch nur begrüßen!“, sagt Schatzi. „Arme Molly!“

„Cleo braucht Zeit. Halte Abstand, Molly“, sagt Jonas.

Drinnen im Haus schickt mich Jonas ins Körbchen. Von dort aus sehe ich zu, wie Schatzi den Katzenkorb mit Cleo auf den Fußboden stellt und die Gittertür aufmacht. Nach einigen Minuten kommt Cleo heraus. Sie ist klein, viel kleiner als ich gedacht habe, und getigert. Selbstbewusst geht sie im Zimmer herum und inspiziert alles. Einmal sieht sie zu mir, und wedelt mit ihrem Schwanz. Ich wedle ebenfalls freudig. Sie faucht böse. Verwirrt sehe ich zu Jonas. Offensichtlich bedeutet Schwanzwedeln in der Katzensprache etwas anderes als in der Hundesprache. Unser Kennenlernen habe ich mir definitiv einfacher vorgestellt.

Schatzi stellt Cleo einen vollen Futternapf hin, und Cleo frisst genüsslich. Danach springt sie auf ihren Kratzbaum, und wäscht sich auf dem höchsten Platz ihr getigertes Fell. Schatzi und Jonas trinken Sekt, halten Händchen und freuen sich.

„Cleo fühlt sich ja jetzt schon wie zu Hause, wie schön!“, sagt Schatzi.

Zu mir sagt sie tröstend: „Das wird schon, Molly, du wirst sehen. Bald werdet ihr beste Freunde sein.“

Dann gehen sie aus dem Zimmer, und Cleo und ich sind allein.

Wir sehen uns an. Ich frage sie vorsichtig, ob sie draußen mit mir spielen will. Ihre Antwort ist ein böses Fauchen. „Lass mich in Ruhe“, sagt sie, „ich bin müde, und werde jetzt schlafen.“

Ich bemühe mich, ganz still zu sein, und mache ebenfalls ein Nickerchen. Als ich aufwache, sitzt Cleo auf dem Fensterbrett und sieht interessiert hinaus.

Erfreut springe ich aus meinem Korb. „Komm“, sage ich, „ich zeige dir den Garten.“

„Lass mich in Ruhe“, sagt Cleo grantig, „der Garten interessiert mich nicht. Ich war und bin und bleibe eine Wohnungskatze.“

Sie hüpft wieder auf den obersten Sitz ihres Kratzbaumes und beachtet mich nicht mehr.

Mir bleibt nichts anderes übrig, als wie immer allein draußen die Vögel zu beobachten und im Sand zu buddeln.

Nach einem schönen langen Spaziergang mit Jonas und Schatzi versuche ich es noch einmal. „Ich freue mich, dass du da bist“, sage ich freundlich, „vielleicht können wir Freunde werden. Und vielleicht möchtest du ja jetzt mit mir im Garten spielen.“

„Lass mich in Ruhe“, faucht sie unfreundlich, „du und dein Garten interessieren mich nicht. Ich war und bin und bleibe eine Wohnungskatze.“

Ich winsele traurig, als ich später, am Abend, wie immer allein in meinem Korb liege. Schließlich bin ich doch auch nur ein Hund.

Mitten in der Nacht wache ich auf, weil es laut blitzt und donnert. Ich sehe, wie Cleo mit weit aufgerissenen Augen aufrecht auf ihrem Kratzbaumplatz sitzt. Sie zittert.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Das ist nur ein Sommergewitter“, sage ich, und erwarte ihr übliches Fauchen: ‚Lass mich in Ruhe..‘

Doch Cleo sagt nichts. Als es nochmals donnert, hüpft sie plötzlich in einem Satz vom Kratzbaum und in einem zweiten Satz in mein Körbchen und versteckt sich zitternd unter meinen Vorderpfoten.

Ich bin so verdutzt, dass ich gar nichts sagen kann. Still liegen wir da.

Es donnert und blitzt noch dreimal, dann ist das Gewitter vorbei.

Cleo entspannt sich.

„Wie ist es denn so im Garten?“, fragt sie unvermittelt. „Erzähle doch mal.“

Und ich erzähle ihr. Von Erde, in der man buddeln kann, von Heuschrecken, die man jagen kann, von Vögeln und Wolken, die man beobachten kann.

Cleo lauscht und beginnt zu schnurren.

„Weißt du, Molly“, sagt sie, „vielleicht bleibe ich doch nicht für immer eine Wohnungskatze.“

Dann sagt sie schnell, bevor ich antworten kann: „Aber jetzt lass mich in Ruhe, ich bin müde und möchte schlafen.“

Und schon schläft sie, an meinen Bauch geschmiegt, ein. Ich liege noch eine Weile zufrieden wach, und male mir aus, wie Cleo und ich im Garten spielen werden, bevor ich ebenfalls einschlafe.







Claudia Dvoracek-Iby, Text, *15.11.1968, lebt in Wien, schreibt Geschichten und Gedichte für kleine und große Menschen

Carina Dvoracek, Illustration, *17.11.2003, liebt Tiere und zeichnet diese gerne, besucht die Kunstschule Wien






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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