Darüber, nach der Ernte einmal mehr und einmal mehr zu säen oder: Maldewar

Maxim Ha für #kkl26 „Säen und Ernten“ 




Darüber, nach der Ernte einmal mehr und einmal mehr zu säen oder: Maldewar

Die Überreste des Helios bäumen sich langsam am Himmel auf. Maldewar freut sich auf die jungen, ihn bald übergießenden Sonnenstrahlen. Seine Hand fährt behutsam und in kreisender Bewegung durch Laub und Mulde, die sich unter ihm zuhauf befindet, er in der Hocke. Die kalt-peitschenden Vormorgenbrisen streicheln seine Wangen, begrüßen ihn und führen ihn zugleich in den neuen Tag hinüber. Der Wind mag jetzt zwar so kalt sein wie das Eis in den unschönsten Zeiten des Winters. Jedoch ist er Maldewar jeden Morgen willkommen, während die Winterwinde und Nordwinde ihn in die Flucht strafen. Diese und fast alle anderen Winde hasst Maldewar, sie bereiten ihm Schmerz.

Wennzwar Maldewar bevorzugt von Kälte als von Wärme geschweige denn den sengenden Temperaturen umgeben ist, gibt er sich keinesfalls der Narretei hin, den Körper an Eiseskälte schmieden zu können und zu müssen. Nicht aus einer disziplinierten Routine heraus stellt Maldewar, noch ehe das Tageslicht anbricht, sich nach draußen und lässt sich von Kälte, Wind und stiller Wildnis begrüßen. Er wird angeleitet von höflichstem Respekt gegenüber dem Wind, im Gegenzug auch diesem allmorgendlich ein herzliches „Hallo“ zu widmen.

In einem Sack, der neben dem Rahmen der Eingangstür zu Maldewars beneidenswertem und doch heruntergekommenen Landhaus steht, die Tür hat Maldewar diesen Morgen lediglich angelehnt und die bestimmt vorwärts reisende Morgenbrise hält diese Tür nunmehr auf sogleich sie gute, frische Morgenluft ins Haus trägt, in diesem Sack befindet sich nun das Streugut, das Maldewar in den nächsten Tagen auf dem ihm verfügbaren Feldboden verstreuen will. Beispielsweise will Maldewar für diesen sowie den nächsten Sommer seinen Kümmel wieder aufstocken. Da sein Kümmel quasi keinen Absatz erfährt, dieser wird ausschließlich von Inverkehrbringern aus den eigens verwalteten, weitläufigen Kümmelfarmen eingeholt, zu denen sein Land eben nicht zählt, und da es sich nun mal so zwischen Maldewar und seinem Kümmel verhält, sieht er sich des Öfteren in der Situation zu rechtfertigen, weshalb er denn derart viel fruchtbaren Boden an seinen Kümmel verschwende, einige wenige Sträucher seien ja nachzuvollziehen, aber mit dieser seiner gegenwärtigen Kümmel-Haltung nehme er sich doch letztlich selber das Vermögen, umso mehr Kohl zu kultivieren. Maldewar bearbeitet überwiegend wilde Gemüsekohlsorten auf seinem Land. Um den Kümmel rentabel in Reinkultur anzubauen, dafür hat er keinen Platz. Die Früchte, inmitten derer er den Kümmel als Untersaat kultivieren könnte, baut Maldewar nicht an und fehlt ihm auch das Interesse, sich vom Kohl abzuwenden.

– Kohl ist ganz groß. Die Leute sind dazu bereit, Kohl zu genießen in jedweder Zubereitung, auch ohne mehrwöchiges Einlegen in Unmengen von Zucker, auch ohne das stundenlang währende Einkochen in Säften und Weinen. Dieser Tage isst man Kohl roh, scharf, knackig gärig und schleimig milchig. Gläsern und trüb. Miefig. Miefiger als zu meiner Kindheit noch, ja.

Zugleich dient Maldewar sein Kohl als Schutzwall gegenüber den Urteilen, die über ihn des Öfteren ergossen werden. Er ernähre sich schließlich zu großen Teilen auch von dem Kohl, der nunmal nicht zuverlässig vollständig abgesetzt werden könne, und dazu brauche er, dessen Mikrobiom so gebrechlich sei, all diesen Kümmel und also viel mehr Kümmel, als man in der durchschnittlichen Haushaltung verwende. Dass er doch in Wahrheit den Kümmel an und für sich liebt, darüber erlaubt er sich nicht viel zu sprechen. Zwar, in Gedanken, formuliert er pausenlos und immer tiefergehender über das Wunder, was der Kümmel in der Natur ihm scheint, dennoch ist ihm seine Schweigsamkeit doch die oberste Tugend, an die er festhält und in der er begabt ist, also sagt er nichts, was einer nächsten hinreichenden Erklärung bedürfe, so auch seine Gedanken zum Kümmel, die seine Liebe zum selbigen begründen, und stattdessen übt er sich weiter im Beschwichtigen.  Gleichfalls verhält es sich für Maldewar so mit seinem Namen, der durchaus ungewöhnlich ist, umso ungewöhnlicher vor dem Hintergrund, dass sein Name phonetisch derart nah dem gebräuchlichen Vornamen Waldemar ähnelt, dass sein Name wiederum, Maldewar, formal einem Witz, einer Parodie der Waldemare verdächtig ähnlich ist, was Fremden oder oberflächlich Bekannten in ihrem tiefsten Inneren irgendwie zu missfallen scheint. Sein Name entlehnt sich offensichtlich dem Fluss Moldau, weniger offensichtlich der winzigen Gemeinde Moldava in Tschechien, und ist eine gebeugte Variante des Moldavaren: der an der Moldau lebt. Die genaue Art der Beugung muss mit der russischsprachigen Tendenz irgendwie zusammenhängen, die im Lateinischen mit a, o und e beschrifteten Vokale oftmals wie das jeweils andere auszusprechen, weshalb innerhalb gewisser Idiolekte und noch unerforschter, kaum gesprochener mikroethnischer Sprach-Varietäten der Ausspruch Maldeva üblich geworden sein muss. Und daraus hinwiederum musste die Idee entstammen sein, den Sohn Maldewar auch so zu nennen, den Moldavaren oder eben Maldevaren. Genaugenommen waren seine Eltern dem nomadischen Leben in deutschsprachige Lande entflohen, um dort für einen alten Bauern, der ihnen Obdach und Nahrung gewährte im Gegenzug, alle Arbeiten zu verrichten, für die sie hätten gerecht entlohnt werden müssen, allerdings gierte es den Alten trotz Ersparten, und aus einer Gewohnheit heraus beutete er munter weiter diese Moldavaren aus, und auch den Maldewar schonte er kein Stück. Nach dem unerklärlichen Tode des Alten und aufgrund niemandes Reklamation weder der Trauer um den verstorbenen Knechttreiber noch um das beackerbare Land mitsamt Haus und Hütte ging der Besitz über in Maldewars Familie. Die amtlichen Dokumente zu finden und zu eigenen Gunsten zu überarbeiten, war ferner ein leichtes, denn der Familie blieb erstaunlich viel Zeit, bis die Verwaltung zur Kontrolle der rechtmäßigen und profitmäßigen Vorgänge auf ihrem frisch erbeuteten Stück Land eintraf, das zwar nicht den Obrigen der Verwaltung gehörte, aber dennoch inmitten des Obrigkeitsbereichs und also inmitten der Zuständigkeit deren Verwaltung lag. Sodann galt es, zumindest die finanzielle Bringschuld begleichen zu fordern, auf die sich die Gesellschaft irgendwie vertraglich geeinigt hatte, doch die Abgabe der jeweiligen Summen waren für die Moldavaren nie ein Problem, und erschien es der Verwaltung auch nicht als Problem, den Alten, den sie hier gewohnt waren, nicht zu Gesicht zu bekommen, und ob es je einen Alten gab, die Erinnerung ist schließlich trügerisch, darüber waren sie sich unlängst auch nicht mehr sicher. Nun sprach Maldeva auch deutsch und die Eindeutschung seines Namens in ein stattliches Maldewar geschah aus rein physiologischen Gründen, die, durch das viele Deutschsprechen, seine Zunge verformten. Ursprünglich war es Maldewars Vater, der sich für diesen herkunftsstolzen Namen für den erst- und letztgeborenen Sohn einsetzte, und obwohl es Maldewars Mutter, Anna, die lieber Viktorie oder Viktoria geheißen hätte¸ missfiel, dem Sohn einen derart grobschlächtigen Namen mit auf den Lebensweg zu geben, beugte sie sich dem Diktum des Mannes selbstverständlich. Unter den Deutschsprechenden begann ihr, die ihr die Moldau und auch die Moldavaren zunehmend in Vergessenheit gerieten, der Name des Sohnes zunehmend besser zu gefallen, während Maldewars Vater fortschreitend, er war demselben Vergessen anheim Gefallen wie Maldewars Anna, seine großartige Ma, Gefallen an dem Namen verlor, proportional zu dem in ihn eingebetteten Stolz, den die deutsche Sprache ihm und jedem anderen, der kein eindeutig und amtlich zuzuordnendes Deutsch sprach, radikal abtrug. Der Missmut dieser Deutsch sprechenden Ächter darüber, Maldewar wäre ein wandelnder Schabernack, der den großen Namen Waldemar, so würde er in Deutschland ausgesprochen und vergeben, nicht achte, gefiel Anna nämlich. Sie hatte einen ausgesprochen guten Humor. Maldewar, der früh lernte, den Vater in den meisten Momenten zu ignorieren und mit Schweigen zu strafen, hat diesen guten Humor erben dürfen, wenngleich er ihn für sich behält, also keineswegs daran Interesse zeigt, diesen hinwiederum weiterzuvererben. Er ist von der Pflege der Nachkommenschaft seines Gemüsekohls und all der Kümmelsträucher ausreichend beansprucht, sagt er sich.  Der Tag zieht, in die Stille wattiert, die für das Leben wichtiger ist als die Luft zum Atmen, so dahin. Wie Maldewar die Haare sich aufbäumen, wenn am Morgen der Wind ihn nicht zur Begrüßung aufsucht, stattdessen die Luft steht, aufgeladen mit Hitze, feinkörnigem Schmutz mit sich wie die Lasten eines Esels schleppend, so bäumt sich mit dem fortschreitenden Tage die Nervosität in ihm auf, denn er weiß, zum Nachmittag hin verläuft sich immer irgendein Genius in seinen Hof und will unter dem Vorwand, eingemachten Kohl und Unmengen trockenen Kümmel einzukaufen, ihm Vorträge halten, ein Gespräch führen zu wollen ist hierbei gleich der zweite Vorwand der eigentlichen Absicht, ihm vorstellig zu werden, Vorträge darüber, was sie in ihrer mikrobischen Geisteswelt beschäftigt, auch wenn es niemand sonst und schon gar nicht auf diese Art und Weise interessiert. Während Maldewar in der kleinen Scheune, in der er Regale mit Gläsern voll Kohl aufbewahrt, die er entweder selber verköstigt oder, ohne jegliche Relevanz für sein Einkommen, auch das eine oder andere Mal an interessierte Käufer abtritt, gebeugt da steht, darum bemüht, eines der Regale, dessen Holz sich mit der Zeit so verzogen hat, dass es eines Ausgleichs am rechten Regalbein bedarf, mit einem feinen und doch unregelmäßig kleingehackten Stück Holz zu korrigieren, klopft es an der hölzernen Außenwand, und nachdem es ein zweites Mal klopft ruft man nach ihm.

„Herr Waldemar, ich bin es. Ich war in der Gegend, ein Spaziergang hat mich etwas weiter raus geführt als üblich, aber diese absonderlichen Wege, die ich manchmal beschreite, kennen Sie ja schon von mir, ja? Ich habe großes Interesse an Ihrem Kohl. Sie wundern sich sicher nicht. Vom Kohl, bitte!“

Maldewar ist in den letzten Zügen, seinen Holzkeil unter das schiefstehende Regal zu schieben, und ehe er sich dem Gast zuwenden würde, würde er dieses Vorhaben also noch zuende bringen. Und so tut er es auch. Das Regal stabilisiert, Maldewar richtet sich langsam und vorsichtig auf, und fast zögerlich dreht er sich um, dem ihn anrufenden Mann den Blick zuwendend. Den Mann, der sich verhält wie ein ausdrücklich geladener und ohnehin gern gesehener Gast auf dem Hof einer Herberge und nicht wie der in ein Kohlfeld gestolperte Tourist, für den Maldewar ihn empfindet, diesen Mann hat Maldewar in seinem Leben noch nicht gesehen. Maldewar weiß die eine oder andere Figur aus Erinnerungen hervorkramen zu können, die in regelmäßigen Abständen seinen Hof aufsucht – unter den zuvor erst erwähnten Vorwänden freilich –, aber das primitive Gesicht, was ihm erwartungsvoll entgegengrinst, daran erinnert er sich bei aller Mühe nicht.

„Hallo, Hallo, ja, Kohl!,“ sagt Maldewar schließlich, dreht sich einmal mehr zu seinen Regalen um und hält nun auch den Arm bereit, eines der Gläser zu ergreifen.

„Was genau mögen Sie…

 „Ach, Herr Waldemar! Sie reden ja so mit mir, als wäre ich Ihnen ein Fremder. Oder sind Sie aufgewacht in der Früh‘, und der viele Meilen weit gereiste Polarwind hat Ihnen einen gefrierenden Schock versetzt, den Sie zur Spätmittagsstund‘ noch abzuschütteln sich abmühen?“

Der Arm des Kohlbauern senkt sich, vorsichtshalber dreht er sich wieder dem wirren Kerl, diesem nervtötenden alten Schrumpel entgegen. „Einer von denen also,“ denkt Maldewar sich, „es gibt sowieso nur eine Hand voll,“ denkt Maldewar sich des Weiteren über die Menschen, und statt gebannt zu lauschen, was ihm im Weiteren zu krakeelt wird, erlaubt Maldewar sich den Moment stattdessen zu nutzen und, da er gerade nichts zu schaffen hat, ein wenig nachzudenken, über seinen Kümmel vielleicht… Wie eine alarmierende Sirene bohrt sich der Fremde durch den Wall an Gedanken, und Maldewar hält nicht länger stand, sodass er nicht umhinkommt, dem Mann schließlich doch ausführlich zuzuhören.

„Es muss fantastisch sein, und ich finde es im Übrigen beneidenswert, derart bescheiden Leben zu dürfen wie Sie. Einsam wie Sie, umgeben von der reinen Natur, mit Händen und Füßen zugange und nicht in überreizten Gedanken an die komplexen und doch auch guten, zutiefst verzahnten Vorgänge der Zivilisation. Dass alles mit Recht und Ordnung vonstatten geht, wissen Sie?“

Ja, ja, ich freue mich, Sie zu sehen… Haben Sie auch ein Eisbad hier? Es heißt ja, in meiner Abteilung erzählte mir ein geschätzter Kollege, stämmiger Mann, von außen müsste man meinen, er würde ein hartes Leben führen wie Sie, Herr Waldemar, es heißt ja, so ein Eisbad, alle paar Tage, schütze einen vor jeder Krankheit. Ich bin ja nie krank. Herausragenderweise, erst letzte Woche habe ich mich erholt von knapp drei Wochen Bettlägerigkeit, üblen Schmerzen im Rachen und brummendem Schädel (als wäre der brummende Schädel nicht ohnehin allzu gewohntes Hintergrundrauschen meines feierabendlichen Dickschädels tagein, tagaus, Sie verstehen ja sicher, wie es bei uns zugeht). Aus der Abteilung haben Sie mich geworfen, nach Hause geschickt und zur Geruhsamkeit verordnet, um alsbald wieder tüchtig sein zu können. Aber das war eine Ausnahme. Ich habe mich mit Sicherheit angesteckt bei diesen, Sie wissen, tief innerorts, sehr zentral, da arbeite ich,“ diesen Leuten.“

„Ein Eisbad habe ich nicht,

unterbricht Maldewar den redelaunigen Alten,

„und soweit ich weiß, handelt es sich bei der Bädern, ob heiß, ob kalt, nachgesagten Heilkraft um nichts anderes als ebendies: Märchen.“

„Also, so ganz stimmt das ja nicht,“

erwidert wiederum der Kerl, der daraufhin munter fortfährt,

„diese Leute, Sie wissen schon, sind wir doch geradeheraus, wir kennen uns ein wenig, Sie sind vernünftig, wie mir scheint, und wie ich zuvor schon eingestand, ich beneide Sie,“

ein Lachen,

„so dreckig wie diese Leute sind, wer weiß, welchergestalt Viren diese Leute kultivieren auf dem Moder, der ihre dunkle Haut bedeckt, der sie wärmt unter der dünnen, unbrauchbaren Kleidung, ach was unter den widerlichen Fetzen, die sie tragen, auch sie müsste man fast beneiden… Mit Sicherheit habe ich mir, entweder auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Weg zurück Daheim, etwas ganz absonderlich Aggressives eingefangen, als mich einer dieser Schabenmenschen streifte. Ich bin mir sicher, dieser eine, der voll und ganz dafür zu Verantwortung zu ziehen ist, dass es mir wochenlang schlecht ging, also es ging schon aber verhältnismäßig, nicht dass Sie mich für einen Kränkling halten, der eine muss mich gestreift haben beim Versuch, mich zu bestehlen, aber ich lasse das nicht mit mir machen, ich bin mindestens genau so gewieft wie die, und obendrein anständig, also beklauen wird man mich nie, aber den Virus, ja… Genau, dreimal eingemachten Kohl im Glas, die Wahl der Sorten überlasse ich Ihnen, Métier.“

Und so reicht Maldewar ihm drei Gläser Kohl.

Sobald der ungebetene Gast und Schwafler sich auf den Weg zurück macht, geht Maldewar dem restlichen Tagewerk nach, welcher ihm heute noch bevorsteht. Unberührt von dieser sozialen Begegnung stellt Maldewar das Denken allmählich wieder ein und konzentriert sich voll und ganz wieder auf das Atmen seiner guten Luft, das Erspüren seiner zärtlichen Winde, das Erschnuppern der wilden Gräser und Geäste, die im Wald wachsen, inmitten dessen Lichtung sein Hof sich befindet, und zuletzt das Erspähen von rotwangiger Flora und Fauna. „Und doch, Maldewar!

Maldewar, wer schweigt gibt Recht, und man erntet, was man sät. Und man sät sein ganzes Leben, immer und überall, und man sät, und man sät, und die Winde tragen diese Saat, die man nicht säen wollte, die einem zuerst unbeabsichtigt in die Taschen gelangte, die einem beim Vorbeigehen an einem äußerst hässlichen Strauch, an einer unsäglich giftigen Pflanze zum Beispiel am Mantelstoff festhängen blieb, und dann aus der Tasche heraus und vom Mantel herabfiel, alle Saat trägt der Wind überall hinaus, und das meiste wird fast überall wachsen. Anders als der Kümmel und anders als der Kohl gibt es Saat, die wird überall wachsen. Und das meiste, was daraus hervorwächst, sollte man gar nicht erst ernten, und man macht es trotzdem, und man sollte es nicht handeln, und man macht es trotzdem, und essen schon gar nicht, essen sollte man solche Früchte schon gar nicht, und man macht es trotzdem, denn was anderes zu Fressen kann man sich nicht leisten, und je mehr man zum Handeln hat, umso besser fürs Geschäft, und sollen sie doch an den faulen Früchten verrecken, dem Handel geht’s gut, dem Handel geht’s munter. Und Maldewar geht’s munter, denn der muss sich nicht von solchen faulen Früchten ernähren, der darf an seinen Kohl und seinen Kümmel, aber doch nur solange, ehe die faulen Früchte, die so viel billiger sind als sein Kohl, ihm die Luft zum Atmen zudrehen, weil niemand sich den Kohl mehr leisten mag und niemand sich den Kohl mehr leisten kann, und dann lohnt der Kohl sich nicht länger, und dann gibt es auch keinen Kohl zum Verspeisen, und dann, vom letzten Ersparten, muss auch Maldewar sich von den billigen, faulen Früchten ernähren, und all die eingesparten körperlichen Mühen, der er nicht mehr arbeiten muss, der Kohl ist nun mal weg von jetzt an, die sollen seinen Hunger stillen, dass er mit immer weniger faulen Früchten am Tag zurechtkommt und satt wird. Aber dann ist Maldewar bereits so schwach, und dann ist ihm sein Körper schon so fremd, dass er nicht merkt, was für ein Gift in seinem Körper sich seine Wege bahnt, und wenn er also am Verhungern stirbt und nicht am Gift, so kann er sich glücklich schätzen. Hunger und Gift macht auch kein Kümmel bekömmlich“

Im Gesamten unberührt von dieser gedanklichen Entgleisung, Maldewar schämte sich nur allzu kurz darüber, dass er dem Mann, der ihn zuvor belästigte, nicht den Mund verboten hat, stellt er das Denken allmählich wieder ein und konzentriert sich voll und ganz wieder auf das Atmen seiner guten Luft, das Erspüren seiner zärtlichen Winde, das Erschnuppern der wilden Gräser und Geäste, die im Wald wachsen, inmitten dessen Lichtung sein Hof sich befindet, und zuletzt das Erspähen von rotwangiger Flora und Fauna. Und doch, Maldewar…




Maxim Ha, geboren und aufgewachsen in einer Grenzregion zwischen Pott und Sauerland (sowie früh von dort geflüchtet), schreibt wissenschaftliche Aufsätze, Prosa und Lyrik zu Themen, die vorzugsweise zorneserregend und Kampfeslust fördernd sind. Der Konflikt mit unseren symbolischen Vätern und jenes Unbehagen gegenüber Männern, die schreckliche Väter werden könnten, treiben Maxims Schreiben an. Ferner der Verzweiflung entfachen diese Themen jedoch auch produktive Wut und Willen zur Verbesserung unser aller Umstände in Maxim. Und, hoffentlich, in den Leserinnen und Leser gleichermaßen.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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