Sophie Kremslehner-Czerny für #kkl26 „Säen und Ernten“

Frage: Geben Sie bitte Ihren vollständigen Namen zu Protokoll.
Antwort: –
Frage: Haben Sie die Frage verstanden?
Antwort: Ja.
Frage: Warum antworten Sie dann nicht?
Antwort: –
Frage: Beantworten Sie die Frage. Wie lautet Ihr Name?
Antwort: Ich habe viele Namen.
Frage: Ihr Name macht die Identität aus. Beantworten Sie daher die Frage.
Antwort: Er macht die Identität aus? Hoffentlich nicht.
(schüttelt den Kopf und lacht)
Frage: Beantworten Sie die Frage. Ihr Name!
Antwort: Schneidet ihr meine Fesseln los, wenn ich ihn euch verrate?
Frage: –
Antwort: Also gut, wenn ihr darauf besteht, dann nennt mich Meier.
Frage: Sie verkennen den Ernst der Sachlage. Ich muss Sie daran erinnern, dass das hier eine offizielle Befragung ist.
Antwort: Sie können mich auch Smith, Chen oder Abebe nennen. Ich bin jeder und keiner. Alle und niemand.
Die Vernehmung wird um 11:59 Uhr unterbrochen.
Fortsetzung der Vernehmung um 12:15 Uhr.
Frage: Sie haben eine ärztliche Untersuchung verweigert. Leiden Sie an einer psychischen Erkrankung?
Antwort: Nein.
Frage: Keine Stimmen, die Sie hören?
Antwort: Doch, Ihre.
(schmunzelt)
Frage: Sonstige Erkrankungen?
Antwort: –
(schüttelt den Kopf)
Frage: Sie müssen für das Protokoll die Frage mit JA oder NEIN beantworten. Also noch einmal: Irgendwelche Vorerkrankungen?
Antwort: Nein.
Frage: Stehen Sie unter Medikamenteneinfluss oder haben Suchtmittel eingenommen?
Antwort: Nein.
Frage: Dann wiederhole ich ein letztes Mal: Wie lautet Ihr Name?
Antwort: Suchen Sie sich einen aus. Es hat keine Bedeutung.
Frage: Wissen Sie, warum Sie hier sind?
Antwort: Ich kenne den Grund. Und Sie?
Frage: Sie sind hier, weil Sie verantwortlich sind.
Antwort: Ist das so?
Frage: Ich korrigiere: Sie sind maßgeblich beteiligt gewesen, nicht wahr?
Antwort: Ist das so?
Frage: Wie würden Sie es sonst bezeichnen?
Antwort: Es besteht ein kausaler Zusammenhang. Nicht mehr. Doch die Kausalitätskette hat zu viele Glieder. Keine Chance, sie bis zu ihrem Anfang zurückzuverfolgen. Verstehen Sie?
Frage: Sie geben also zu, dass Sie in die Sache verstrickt sind?
Antwort: Nein.
Frage: Wie meinen Sie das dann mit dem Kausalzusammenhang?
Antwort: Nehmen wir an, jemand steckt ein Samenkorn in die Erde. Es beginnt zu keimen und wächst zu einem stattlichen Baum heran. Später fällt man diesen, verarbeitet ihn zu Planken und fertigt daraus ein Schiff. Auf diesem überquert ein Mann den Ozean. Er lässt sich anderenorts nieder und setzt Kinder in die Welt. Viele Jahre später, an irgendeinem Tag nimmt eines dieser Kinder ein Messer zur Hand und versetzt damit einer Frau tödliche Stiche. Wärt ihr dann auch der Meinung, dass derjenige, der das Samenkorn in die Erde steckte, verantwortlich für den Tod der Frau ist?
Frage: –
Antwort: Sehen Sie, ich bin nicht verantwortlich.
Frage: Doch! Sie sind untätig geblieben.
Antwort: Was nützt eine helfende Hand, die niemand ergreift?
Frage: (unverständliches Gemurmel)
Antwort: Ich verstehe nicht.
Frage: Schweigen Sie! Nur wir stellen hier die Fragen.
Antwort: Dann stellt mir eine, deren Antwort ihr erträgt.
Frage: –
Antwort: Eben. Es sind eure Hände, an denen Blut klebt, nicht meine. Was habt ihr mit dem Geschenk gemacht, das in eure Obhut übergeben wurde?
Frage: (unverständliches Gemurmel)
Antwort: Ich verstehe nicht.
Frage: Niemand wusste, wie wertvoll es ist.
Antwort: Manche haben es erkannt. Was habt ihr mit ihnen gemacht? Habt ihr sie weggesperrt, so wie ihr es mit mir vorhabt?
Frage: Aber es muss einfach Ihre Schuld sein!
Antwort: Weil ich der Geschenkgeber war?
Frage: Warum haben Sie das überhaupt getan…?
Antwort: Ich hatte Vertrauen.
Frage: –
Antwort: Ist mein Name jetzt klar? Ihr wisst ihn längst, habe ich recht?
Frage: –
(schneidet die Fesseln durch)
Antwort: Das letzte Sandkorn ist längst hindurchgeglitten.
Frage: Aber was bleibt dann?
Antwort: Seht selbst.
Frage: –
Antwort: Ihr habt weggeschaut. Trotz aller Chancen, aller Möglichkeiten.
Frage: Wir haben auf Lösungen gewartet.
Antwort: Hätte ich irgendetwas anders machen können?
Frage: –
(schüttelt den Kopf)
Antwort: Ich glaube, Sie müssen für das Protokoll die Frage mit JA oder NEIN beantworten.
Frage: Nein.
Antwort: Ich bedaure das genauso wie ihr.
Frage: Heißt das, dass das schon alles gewesen ist?
Antwort: Es ist alles, was ihr daraus gemacht habt.
Sophie Kremslehner-Czerny, geboren 1979, lebt in Wien. Studierte Rechtswissenschaften (Mag., Dr.; Universität Wien). Absolvierte zwei Masterlehrgänge (LL.M., MBA; Donauuniversität Krems, Technische Universität Wien). Bis 10/2021 selbstständige Rechtsanwältin. Aktuell Juristin und freie Autorin. Teilnehmerin der Leondinger Akademie für Literatur 2022/2023. Bisherige Veröffentlichungen: „Kunst und Kultur im Unionsrecht“ in Pfeffer/Rauter, Handbuch Kunstrecht2, Manz Verlag Wien 2020; „Strange New World“, Die Rampe 4/2022.
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