Michael Eschmann für #kkl27 „Loslassen, Weglassen, Unterlassen“
Hundeleben
In der Antike, etwa 400 – 500 Jahre vor Christus, gab es in Griechenland eine Gruppe von Menschen, die Kyniker (griechisch: Kynos = Hund) genannt wurden. Es ist unklar, ob sie Philosophen, Sonderlinge oder gar eine Sekte waren. Ebenso unklar ist, wie sie zu ihrem Namen „Kyniker“ kamen. Vermutlich wurden sie nicht nur von ihren Feinden so genannt, sondern gaben sich ganz selbstbewusst diesen zynischen Namen selbst.
Einer der Kerngedanken ihrer Philosophie bestand darin, jeglichen Besitz zu vermeiden und die Bedürfnislosigkeit zu leben.

Das ging nicht immer. Weil alleine die gesellschaftliche Verpflichtung, Kleidung tragen zu müssen, dieser Idee im Wege stand. So gesehen war das „Hundeleben“, das sie anstrebten, nur bedingt umsetzbar. Aber die Idee, die sie lebten, war dennoch einfach: Armut zur Lebensregel zu machen. Zunächst galt es „loslassen“ zu können von Dingen wie: Bildung, Eigentum, Macht und Reichtum. Alles Streben danach bindet negative Energien, verursacht Ängste und Sorgen zunächst um es zu erreichen, später, um es zu erhalten. Nein, die Glückseligkeit bestand in der Erkenntnis vielmehr darin, wer nichts besitze, kann auch nichts verlieren. Und was ebenso wichtig war, man konnte durch Armut von niemandem manipuliert oder gar selbst in Besitz genommen werden. Man befand sich in einem Zustand einer absoluten Freiheit. Lediglich die Natur schränkte diese durch die angeborenen Triebe (Essen/Trinken/Sexualität) etwas ein. Es wäre durchaus denkbar, dass die Kyniker bald wieder hochmodern werden würden. Erinnert mancher ihrer Gedanken doch an die aktuellen Diskussionen um den Minimalismus.
Wer etwas loslässt, „lässt auch etwas weg.“ Entscheidend hierfür ist aber immer eine Erkenntnis, die differenziert, was überhaupt wichtig bzw. richtig im Leben ist und worauf man deshalb bewusst verzichten kann. Im Kynismus nahm das extreme Formen an: schon ein fester Wohnsitz wurde eher als hinderlich anstatt als wünschenswert angesehen. So schliefen viele von ihnen auf Straßen oder in Tempeleingängen. Einer ihrer berühmtesten Vertreter, Diogenes von Sinope (ca. 391/399 v. Chr. in Sinope † 323 v. Chr. in Korinth) lebte angeblich in einem Holzfass und bewies damit, dass eine Philosophie des Verzichts zu einer radikalen Lebensreform werden kann. Man muss es eben nur wollen und letztendlich dann auch tun.
Wer aber etwas „unterlässt“, läuft nicht Gefahr, viel falsch zu machen. Wobei die Existenzialisten dies differenzierter sehen dürften. Ginge es nach ihnen, ist der Mensch durchaus für das verantwortlich, was er tut, aber auch für das, was er durch selbst verschuldete Versäumnisse nicht getan hat.
Bei den Kynikern ging das tragisch aus. Sie hatten es unterlassen, eigene Gedanken in Schriften zu verewigen, womit sie sich jeglicher Möglichkeit beraubten, philosophische Nachfolgegenerationen aufzubauen. So gerieten sie schnell in Vergessenheit. Einige ihrer Gedanken wurden von der Philosophie der Stoa übernommen.
Michael Eschmann, geboren 1958 in Mannheim. Er schreibt neben journalistischen Beiträgen über Literatur und Kunst auch Essays, Gedichte, Hörspiele, Kurzgeschichten und Theaterstücke. 2015 Veröffentlichung des Dramas: „Dantons Tod in Weiterstadt“. Letzte Veröffentlichungen: „Franz Kafka in Kierling“ (Informationen eines Pirckheimers). „Wechsel“ (#kkl23 „Leitstirne und Irrlichter“), „Morgen“ (#kkl24 „Erlauben“), „Zuhause“ (#kkl25 „Raum“). *** Er betreibt in Griesheim bei Darmstadt ein Versandantiquariat.
Über #kkl HIER
Ein interessantes Thema, sehr gut geschrieben. Der Verzicht auf Bildung war ein großer Fehler. Ob man Macht und Reichtum erstrebenswert findet, sei dahingestellt. Ohne festen Wohnsitz zu leben, kann ich mir gar nicht vorstellen. Selbst, wenn man einen mobilen Wohnsitz hat (z.B. Wohnwagen) und damit von Ort zu Ort zieht, gibt es damit einen Rückzugsort, ein Zuhause. In unseren Breiten ist die Zeit, im Freien zu nächtigen, auf den Sommer beschränkt. Obdachlosigkeit wäre für mich der schwerste Schock, weil man damit aus dem gesellschaftlichen Leben herauskatapultiert wird. Die Philosophie der Kyniker konnte hier im Norden wegen der „feindlichen“ Umweltbedingungen (Schnee, Kälte, lange und dunkle Winter) gar nicht entstehen. Das war im warmen Griechenland möglich, aber wie man hier lesen konnte, auch nicht auf Dauer umsetzbar. Der Mensch hat höhere Ansprüche und strebt nach mehr Komfort.
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