Frederik Durczok für #kkl27 „Loslassen, Weglassen, Unterlassen“
Ahnung wie
Alles wie grau. Die Felder, deren Frühlingszwiebeln noch nicht zu erahnen sind – wie grau. Der Himmel von angefetzten Wolken – wie grau in sinnlosem Wind. Mein Unbehagen, grau.
Ich laufe durch die Felder, die als Gemüsegarten der Republik beworben werden, nahe an der Bruchkante, der „Höhe“ wie sie sagen. Der Hang von wenigen Metern ist im Grund unkenntlich, die meiste Zeit. Manchmal muss man den Blick regelrecht führen, mit Kopf in Schräglage, um in eine Straße hinein den leichten Anstieg vom Feld ins Dorf zu schätzen. Es ist auch weniger Spazieren. Dazu ermüdet mich diese Landschaft zu sehr. Hier ist Bewegung bloße Funktion, frei von Genuss. Eben Laufen. Nur Laufen.
Hier ist mir die Wirklichkeit wie ein ungewisser Traum. Kann die Vorderpfalz im Februar real sein?
Wenn ich von der Bruchkante, der „Höhe“, wie sie sagen, träume, ist diese ganz anders. In diesen Träumen ist es eine Küste am Meer. Und wo mir die Wirklichkeit beim Laufen schwarz-weiß, nein, in Graustufen erscheint, ist dieser Traum immer trennscharf farbig. Klar wie Strandbilder nur sein können.
In den Träumen frage ich durchaus nach der Logik. Wie kann es sein? Ist der Rhein doch kein Meer und längst nicht hier, so weit westlich. Doch dann ist Acker Wasser und Wogen sind Feld. Und der Träumende ist überzeugt. Farben lügen nicht.
Als ich weiterlaufe, fällt mir ein recht kleiner, aber etwas stämmiger Mann auf, der sich mit dem Rücken zu mir ins Feld hineinbeugt. Er werkelt an dem Verbindungsmechanismus zweier Wasserleitungen herum.
Als ich näherkomme, huscht eine Ahnung wie eine viele Meter entfernt fliegende Möwe an mir vorbei. Ich bin so nah, dass es schon üblich wäre zu grüßen, also tue ich das:
„Servus.“
Zunächst höre ich nur ein leichtes Grummeln oder Murren. Sein Kopf dreht sich fast unsichtbar wenig in meine Richtung. – Dann sagt er doch etwas. Er spricht ins Feld hinein:
„Oh, de junge Herr Durczok.“
Ich bleibe verdutzt stehen, erkenne ihn nicht.
Er tüftelt unter einigen nur rudimentär sprachlichen Geräuschen weiter. Dann hebt er eine Leitung über einen Meter an. Die Öffnung zeigt zu mir. Er blickt mich mit fischigen Mundwinkeln an.
Ich blicke nach allen Richtungen, komme mir vor wie ein arroganter Städter, weil ich offensichtlich nicht verstehe.
„Heb’e’mol, Bu!“
Ich greife ungeschickt nach der Leitung und halte diese jetzt seltsam breitbeinig und frage:
„So?“
Herr Wernz, dessen Name ich plötzlich wieder kenne, antwortet, indem er auf ein anderes Rohr klopft. Ich überlege irgendeine höfliche auflockernde Frage, da schießt ein Schwall Wasser ohne Ankündigung in mein Gesicht.
Ich spaziere wieder die Küste entlang. Fast fliege ich am Rande der „Höhe“ – so sagt man doch. – Da fällt mir wieder Herr Wernz ein. Der Landwirt. Der Vater einer Kollegin im Verein. Der FDP-Lokalpolitiker. Der Urpfälzer.
Herr Wernz ist doch aber seit 15 Jahren tot? Ich fliege weiter, genieße wie die salzige Luft meine Nebenhöhlen befreit und bin jetzt sicher: die Wirklichkeit war nur ein Traum und dies ist die Wirklichkeit.
Schauernheim liegt doch am Meer.
Frederik Durczok (*1986) arbeitet als Musiker, Historiker, Pädagoge und freischaffender Autor. Der gebürtige Mannheimer schreibt seit langer Zeit lyrische Texte und seit 2018 vermehrt Kurzprosa. Im Oktober 2022 ist Durczok Stadtschreiber in Soltau (Niedersachsen).
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