Malte Daug für #kkl27 „Loslassen, weglassen, Unterlassen“
Elenor
Und so sah ich ihr nach, wie ihre grazile Gestalt am Horizont für immer aus meinem Leben verschwand und mich mit einem nagenden Gefühl der Leere im Herzen zurückließ.
An dieser Stelle blieben meine Augen haften. Ich las sie mehrmals und musste mit jedem Mal stärker gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen. Denn mir wurde immer klarer, dass ich meine Elenor nicht wiedersehen würde.
Doch zu guter Letzt schaffte ich es, den Blick von dem Blatt Papier loszureißen. Ich legte es auf den Stapel und wischte mir mit dem Ärmel über die Augen, wobei ich mich ärgerte, dass ich beinahe wie ein kleines Kind geflennt hätte. Scheiße, ich bin doch viel zu alt dafür! Liebeskummer ist doch nur was für Idioten.
Und doch… bin ich einfach nicht fähig, den Schmerz darüber, dass Elenor gegangen ist, zu überwinden oder auch nur auszublenden. Jedes verdammte Mal stehe ich wieder kurz davor, loszuheulen.
Ich lehnte mich zurück und atmete durch. Nein, jetzt bloß nicht zusammenbrechen. Der Plan stand. An Neujahr hatte ich ihn gefasst. Da war es nämlich hart gewesen, denn es war seit langem das erste Neujahr ohne sie gewesen. Mit meinen Freunden war es zwar auch ganz schön gewesen und ich war zu meiner eigenen Freude auch nicht mitleidig angesehen und gezwungen worden, über dieses Thema zu sprechen; doch trotzdem war es nicht dasselbe wie mit Elenor gewesen. Als wir dann böllerten und Feuerwerksraketen detonierten, die den Himmel mit ihrem bunten Lichterspektakel schmückten, war mir die Idee gekommen. Eine Idee, an der ich bis heute festgehalten hatte.
Sechs Tage war das nun schon her. Nicht sehr viel, ich weiß, aber mit einem klaren Ziel vor Augen lang genug. Doch ich hatte vorher schlichtweg dieses Buch noch fertigschreiben wollen. Als eine Art Abschluss. Denn es war Zeit, loszulassen.
Genau zu diesem Vorhaben lehnte ich mich nun wieder über den Schreibtisch. Die Seite, die ich eben gelesen hatte, legte ich in die Mitte des Papierstapels, wo sie hingehörte – geschrieben hatte ich sie vor Tagen schon, ich hatte sie eben nur noch mal durchgelesen. Jetzt wiederum nahm ich ein unbeschriebenes Blatt heraus, legte es in die elektronische Schreibmaschine ein und drehte am Rad an der Seite, bis das Blatt so positioniert war, dass ich mit ein bisschen Raum oben das Papier beschreiben konnte. Die letzte Seite. Die, die noch fehlte. Die den Abschluss bilden und mir das Signal geben würde, dass ich meinen Plan endlich umsetzen konnte. Und den Inhalt kannte ich genau.
Dass ich die Schreibmaschine nutzte, hatte einen einfachen Grund: Es war mir persönlicher. Sonst schrieb ich eigentlich am Laptop oder Computer, was der schlichten Schnelligkeit und einfachen Korrektur von Fehlern geschuldet war. Doch auf digitalem Papier zu schreiben, hat zur selben Zeit etwas so Unpersönliches und Distanziertes an sich. Als ich aber direkt nach der Trennung beschlossen hatte, diese Geschichte niederzuschreiben und anderen geplanten Projekte vorzuziehen, wusste ich, dass ich sie nicht am PC oder Laptop tippen könnte. Dafür war sie schlichtweg ihres Inhalts wegen zu persönlich. Handschriftlich wäre es natürlich am persönlichsten, doch das würde zu lange dauern und ich wollte dies einfach so schnell wie möglich hinter mich bringen. Wollte die positiven Aspekte der Beziehung endlich niedergeschrieben haben, um loslassen zu können. Die negativen ließ ich weg – sie würde ich im Herzen behalten, um mir stetig aufzuzeigen, dass es nicht das Wahre gewesen war. Eine notwendige Sicherung, falls ich eines Tages doch sehnsüchtig zurückblicken sollte, etwas, das sich sehnlichst versuchen würde, zu unterlassen.
Daher war es die elektronische Schreibmaschine geworden. Die, die Elenor mir damals geschenkt hatte. Wenn man es so betrachtet, ist diese Variante also vielleicht doch persönlicher als die handschriftliche.
Meine Finger tippten auf die Tasten der Schreibmaschine, ohne sich um Fehler zu kümmern. Ich schrieb: Ich entzündete das Streichholz, warf es auf den vom Benzin getränkten Boden des Hauses und ging dann, während das Feuer hell aufloderte, zur Haustür hinaus. Ich unterließ es, zurückzusehen, und schritt Straße entlang, gespannt, wohin sie mich führen möge. Darunter notierte ich die Seitenzahl, 131, sowie: Ende.
Ich nahm einen Kugelschreiber und fügte unter all dies per Handschrift hinzu: Sollte dieses Buch gefunden werden, möge der Finder es unter seinem eigenen Namen veröffentlichen. Ich bin fertig hiermit. Dann legte ich das Blatt ans Ende des Manuskripts, auf dessen Titelblatt schlicht Elenor stand.
Kurz betrachtete ich das fertige Werk. Sehnsucht kam mir auf, doch ich gab mir einen Ruck, stand auf und legte es in eine dicke, schwere Holzkiste, die ich verschloss. Vielleicht würde das Manuskript das Folgende darin ja überstehen. Und wenn nicht, auch egal, ich war fertig damit. Stattdessen würde ich vielleicht was anderes schreiben, womöglich ja meine geplante epische Fantasy-Saga vom Aufstieg und Fall des Hauses Demagold. Doch das war nur Zukunftsmusik.
Ich stand auf, nahm den Benzinkanister, den ich neben dem Schreibtisch platziert hatte, und tränkte das gesamte Haus mit seinem Inhalt. Dann kehrte ich ins Wohnzimmer zurück, warf einen letzten Blick darauf. Dann nahm ich die Schachtel. Ich entzündete das Streichholz, warf es auf den vom Benzin getränkten Boden des Hauses und ging dann, während das Feuer hell aufloderte, zur Haustür hinaus. Ich unterließ es, zurückzusehen, und schritt die Straße entlang, gespannt, wohin sie mich führen möge.
Malte Daug wurde am 18. Dezember 2000 in Hannover geboren. Schon früh interessierte er sich für fantastische Geschichten und er begann schließlich bereits zu Schulzeiten damit, eigene Geschichten zu verfassen, von denen bislang jedoch keine veröffentlicht wurden. Nach dem Bestehen des Abiturs 2019 absolvierte er ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und nutzte dieses lernfreie Jahr unter anderem dazu, weiter und intensiver an eigenen Geschichten zu schreiben, die sich inzwischen auf verschiedene Genre ausbreiten. Nach abgebrochenem Jurastudium hat er 2022 eine Ausbildung zum Mediengestalter für Bild und Ton begonnen.
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