Fastenhalbzeit

Hendrik Fischer für #kkl28 „Loslassen, Weglassen, Unterlassen“




Fastenhalbzeit


Vier Wochen ohne Kaffee. Noch etwas mehr als zwei Wochen. Zweimal habe ich es bereits geschafft. Zwei Fastenzeiten lang kein Kaffee. Das erste Experiment war erfolgreich: Direkt nach dem Aufstehen ist man fitter. Beim zweiten Mal konnte ich besser schlafen.
Aber beim dritten Mal? Nichts; nur etwas weniger Magenschmerzen als sonst.
Nur einen anderen Effekt hat der Kaffeeentzug: ein merkwürdiges Gefühl während der Arbeitszeit.
Die Arbeit hat sich nicht verändert, nur das Gefühl währenddessen. Es ist keine zunehmende, anhaltenden Müdigkeit, auch keine Kopfschmerzen. Eher ein Gefühl der Leere. Leere ist allerdings das falsche Wort.
Die Arbeit kommt einem sinnloser vor als sowieso schon. Träge zieht sich der Tag im Büro hin. Ohne den regelmäßigen Gang zur Kaffeemaschine während der Arbeitszeit fehlt einem mehr als die Bewegung.
Man mach und tut, aber man erreicht nie ein Ziel. Wäre Sisyphus glücklich gewesen, wenn es zu seiner Zeit schon Kaffee gegeben hätte? Zumindest wäre seine Arbeit erträglicher gewesen.
Wie würde die Arbeitswelt ohne Kaffee aussehen? Der größte Vorteil der größten Zahl läge in der Gerechtigkeit für die unterbezahlten Arbeiter auf den Plantagen. In der Hoffnung, dass sie bessere Arbeit finden, versteht sich.
Unendliche viele Büros und Werkshallen wären leer und ihre Insassen würden rausgehen, um etwas anderes zu machen; nur was würde man den ganzen Tag machen ohne Kaffee? Wie soll man wieder Geld verdienen? Geld, das man sonst für Kaffee ausgegeben hat.
Wie jemals wieder entspannen? Das Getränk dient zum Wachwerden sowie zur Entspannung. Wie kann das sein, dieser Widerspruch?
Macht man sich nur solche Gedanken, wenn man keinen Kaffee trinkt? Wer weiß, auf welche Gedanken man kommt, wenn man jahrelang keinen Kaffee trinkt.
Oder eben auf welche nicht, ohne die überschüssige Energie. Es ist sicher kein Zufall, dass die Industrialisierung nach der Verbreitung des Kaffees begann. Genauso die Verbreitung der Filterzigarette. Weniger rauchen durch weniger Kaffeekonsum.
Vielleicht sogar keine Kriege mehr?! Ok, die gab es schon vor dem Kaffee. Aber die Atombombe nicht! Jetzt übertreibe ich es aber. Ob das am Koffeinentzug liegt? Mehr Koffein für weniger Grübeln.
Das wird in zweieinhalb Wochen aufhören, dann gibt es wieder Kaffee. Oder doch nicht? Endlich ein Job mit Sinn, eine glückliche Partnerschaft, ein ausfüllendes Hobby. All dies kommt in greifbarer Nähe. Oder es bleibt auch ohne Kaffee alles wie bisher. Wenn die diese Welt weiterdrehen soll, braucht es Kaffee. Nur, soll sie sich überhaupt weiterdrehen, so wie sie jetzt ist?
Ja, das soll sie. Nur nicht so schnell. Der Kaffee dieser Welt lässt sich nicht verbieten. Nur seine Menge lässt sich regulieren. Weniger Kaffee, dann wird alles angenehmer. Die Arbeit nur noch halb-sinnlos. Die Welt nur noch halb-verrückt. Meine Gedanken nur noch halb-wirr. Ich freue mich auf den Verzicht; den Verzicht nach der Fastenzeit.




Hendrik Fischer
Studium, Angewandte Philosophie und Historische Studien, Universität Duisburg – Essen
Industriekaufmann






Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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