Monika Schlößer für #kkl27 „Loslassen, Weglassen, Unterlassen“
Er muss es seinlassen
Beim täglichen Spaziergang mit dem Hund komme ich gelegentlich am Firmengelände eines ortsansässigen Gebrauchtwagenhändlers vorbei. „Du musst endlich loslassen!“, hörte ich gestern eine energisch klingende Stimme fordern. Die lauten Gesprächsfetzen drangen bis zum Bürgersteig vor. Nun ja, unser Hund blieb neugierig stehen, und so entdeckte ich zufällig den Urheber dieser Worte. „Es geht wirklich nicht mehr“, versuchte der junge Mann einen älteren Herrn zu überzeugen, der mittlerweile vom Lichtschatten einer Konifere freigegeben wurde. „Neulich war es ein Huhn, vor Ostern die Katze von Tante Billa.“
Die Körperhaltung des Älteren zeigte deutlich, wie verzweifelt er war. Seine Hand zitterte ein wenig, als er auffallend sachte über den Kotflügel eines dunkelblauen Mittelklassewagens strich. Obwohl der korpulente Mann einige Meter von mir entfernt stand, konnte ich erkennen, dass er erfolglos mit den Tränen kämpfte.
Unser Hund Toni beschnüffelte derweil ausgiebig den Laternenpfahl, vor dem wir standen, und ließ sich partout nicht zum Weitergehen überreden. Während Toni der Laterne noch seine eigene Duftmarke zufügte, musste ich ungewollt mitansehen, wie der junge Mann seinen Arm um die Schultern des anderen legte. Die Geste wirkte überraschend vertraulich. Auch die Stimme des jüngeren klang auf einmal weicher, beinahe schon tröstend: „Was ist, wenn du morgen oder übermorgen ein Kind anfährst?“
„In unserer Straße wohnen keine Kinder“, kam es trotzig. „Das weißt du … “
„… oder die Oma“, unterbracht ihn der andere, vermutlich sein Enkel.
Der Alte winkte ab: „Die läuft nicht einfach wie ein blindes Huhn über die Straße.“ Diesmal glitt seine Hand über die blankgewienerte Motorhaube. „Außerdem muss ich sie ja ständig zur Fußpflege, zum Metzger und sonst wo hin kutschieren.“
„Dann werden wir der Oma eben klarmachen, dass sie solche Aufträge unterlassen soll.“
„Und wer wird das alles für uns erledigen, Sven?“, brauste der Großvater auf.
„Wir machen einen Plan, verteilen die Besorgungen unter uns auf. Oder so … “ Die klugen Argumente ließen Sven im Stich.
„Aha! Und was wird aus mir?“, kam es kläglich von seinem Opa.
„Alles wie immer, nur eben anders. Reisen mit Bus oder Bahn zum Beispiel“, vernahm ich Svens Vorschlag, der dem alten Herrn offensichtlich missfiel.
Doch jetzt bemerkte ich aus den Augenwinkeln, wie sich der Autohändler näherte und Sven diskret von der Seite ansprach: „Hat sich Ihr Herr Großvater bereits entschieden – oder …?“
„Der Herr Großvater wird sich erst äußern“, fiel dieser dem Händler ins Wort, „wenn er sieht, dass Sie die dämlichen Preisschilder an den Fensterscheiben weglassen. Was sollen denn die Nachbarn von mir denken? Noch ist das mein Wagen!“ Abrupt wandte er sich um. „Noch …“, fügte er kaum hörbar hinzu. Dann folgte er mit hängenden Schultern seinem Enkel ins Büro des Händlers.
Der Hund jaulte verhalten. „Na komm, Toni“, sagte ich und zog sachte an der Leine. „Er wird es packen. In ein paar Wochen wird er gemerkt haben, wie schön es sein kann, liebevoll umsorgt zu werden.“
Monika Schlößer
Geboren 1949, lebt in Bad Münstereifel, verheiratet, 2 Töchter. Mittlerweile über 100 Veröffentlichungen von Lyrik, Kurzkrimis und Kurzprosa in zahlreichen Anthologien, Kalendern, Jahrbüchern, (Literatur)-Zeitschriften, Schaufenstern, im Internet, auf einer Lyriksäule und natürlich bei kunstkulturliteratur.com
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