Cornelia Koepsell für #kkl27 „Loslassen, Weglassen, Unterlassen“
Saukerl
„Ich liebe ihn“, dachte Marianne jeden Morgen, wenn sie unter der Dusche stand. Sie wollte es nicht denken, jedoch, das warme Wasser, das den Körper herunterlief, so dass ihre Haut sich rötete, die Poren sich weiteten, entspannten, all dies schien die guten Vorsätze in ihrem Kopf zu stören und der Gedanke formte sich aus den vielen einzelnen Poren, drang nach oben, übersprang die Schaltzentrale, welche Vernunft hieß und schon drängte sich der Satz aus ihrem Mund, in den das warme Wasser lief.
„Nein – verdammt“, schalt sie sich, ich will ihn nicht lieben, es wird nichts, es hat keinen Zweck. Gerade das letzte Mal war er fürchterlich reserviert.
„Mach dich nicht unglücklich“ sagte der Rest Verstand, der sich vor der Auflösung durch das warme, rauschende Wasser gerettet hatte.
„Ich liebe ihn“, dachte sie erneut, wagte es jedoch nicht, den Satz laut zu sprechen in der Hoffnung, der Verstand würde es nicht hören.
Warum bloß kann dieser Mensch mir nicht aus dem Kopf gehen?
Vor dem Einschlafen betete sie einen Rosenkranz. Bei jeder Perle die gleichen sechs Worte. Verschon – mich – Herr – vor – Liebe.
Aber Gott kriegte es nicht hin.
„Ich liebe ihn“, sprach es in ihr, während sie Daten und Fakten in den Computer hackte.
Marianne befürchtete irgendwann nicht aufzupassen, die Kontrolle zu verlieren und den Satz laut zu sagen. So wie die Pennerin an der Ecke
Balanstraße, die sie jeden Tag traf, die laut vor sich hinsprach, bei ihr waren es fünf Worte „du Saukerl, ich krieg dich“. Jeder ging ihr aus dem Weg, als ob es ansteckend wäre mit körperlich nicht anwesenden Saukerlen zu reden. Marianne fühlte sich ihr seltsam verwandt.
Jahrelang hatte sie gegen den Satz gekämpft, ohne Erfolg, sich eingeredet, ihn zu hassen, gehofft, dass er ihr gleichgültig werde, bloß um immer wieder zurückgeworfen zu werden auf drei Worte „Ich liebe ihn“.
Marianne rief sich sein inzwischen faltig gewordenes Gesicht in Erinnerung, doch völlig gegen den Trend rührten sie genau diese Falten. Sie kramte Angewohnheiten von ihm hervor, welche sie störten, aber offensichtlich nicht genug, um die Produktion der Worte „Ich liebe ihn“ in ihrem Kopf zu stoppen. Zeitweise gab sie das Duschen auf. Bald fand der Körper andere Momente der Entspannung, um ungehindert den Satz hervorzuholen und zu den Lippen drängen zu lassen.
Es war so sinnlos, diesen Menschen mit einem Gefühl zu verfolgen, für das er keine Verwendung fand. Warum also immer wieder „Ich liebe ihn.“
Sollte das ihr Leben sein – eine aussichtslose Liebe auf immer und ewig. Nie seine Hände auf ihrer Haut so wie die Tropfen des Wassers in der morgendlichen Dusche.
Sollte sie aufhören, sich gegen den Satz zu wehren? Würde er dann verschwinden?
„Ich liebe ihn“ sagte sie zu der Freundin und es tat gut, es laut auszusprechen.
Als sie ihm gegenübersaß, redeten sie über die Arbeit. Solange Marianne sprach, konnte sie die Worte zurückdrängen. Dann ergriff er das Wort, erklärte ihr Probleme, von denen sie eindeutig mehr verstand und mitten in seine Erläuterungen über einen Computerabsturz und seine Behebung sagte sie:
„Du Saukerl – ich krieg dich.“
Cornelia Koepsell
Jahrgang 1955
literarisches Schreiben seit 2002
über 100 Einzelveröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien
Auszeichnungen: 3. Preis des Schwäbischen Literaturpreises 2011
3. Preis Frauen Literaturpreis 2014
3. Preis Berner Bücherwochen 2015
3. Preis Frauen Literaturpreis 2016 (Theaterstück)
1. Preis Kunsthaus Lisa 2021
Publikationsliste
Debütroman „Das Buch Emma“ , September 2013
Geest Verlag, ISBN 978-3-86685-409-3
Roman „Lauf weg wenn du kannst“ Juli 2017, Geest Verlag ISBN 978-3-86685-6097
Interview mit Cornelia Koepsell HIER
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