Angelina Noll für #kkl28 „Dahinter“
Flut
Das Meer wirft Wellen. Schwarze, bedrohliche Wellen. Sie rollen auf mich zu, überfluten mich. Leere Worte von leeren Menschen, schwarz gekleidet, mit Schatten auf ihren grauen Gesichtern. Eines entspricht dem anderen. „Mein Beileid“, sagen sie. „Viel zu früh“, sagen sie. „Ein so toller Mensch“, sagen sie, so lange bis die Worte zu einem Rauschen werden und ineinander schwimmen wie Wassermassen in einem Sturm. Sie greifen nach meinen Händen, als sei ich eine Ertrinkende und sie der Retter in Not. Ihr Hände sind so nass wie das Meer, das mich verschlingt. Keiner hält inne, um sich zu fragen, ob ich gerettet werden möchte, ob ich den dunklen Gewässern entkommen möchte, ob ich überhaupt ertrinke. Keiner zieht in Erwägung, dass sie selbst die Ertrinkenden sind. Dass ich hunderte von Metern weit entfernt auf dem Festland stehe, Sand unter meinen Füßen, und ihren verzweifelten Kampf gegen die rollende See beobachte. Nicht ihre Hände sind der Rettungsring, sondern meine. Sie sind fest entschlossen, mich zu retten. Sie sehen nicht, dass ich diejenige bin, die sie über Wasser hält. Nicht meine Lungen bersten mit salzigem Wasser, nicht meine Luft zum Atmen wird knapp. Mein Gesicht ist eine Mauer, bemalt mit Emotionen, die sich auf den Gesichtern von Menschen in dieser Situation widerspiegeln. Mit Trauer, mit Fassungslosigkeit, mit Schmerz. Mein Gesicht ist ein Spiegel des ihren. Mein Gesicht ist kein Spiegel meiner Seele. Meine Seele, die ist leer. So leer wie ihre Worte. Mein Beileid, zu früh, ein so toller Mensch. Ich will ihre Worte nicht. Ich stehe am Strand, Sand unter meinen Füßen, und schaue ihnen beim Schwimmen zu.
Das Meer wirft Wellen. Schwarze, bedrohliche Wellen. Sie rollen auf mich zu, überfluten mich. Worte, kaum verständlich über das Rauschen des Wassers, über meine eigenen Schreie. Schreie, die mir über die Wangen rollen, feucht, salzig wie das Meer, in dem ich ertrinke. In dem ich ums Überleben kämpfe. Hände strecken sich mir entgegen, kommen näher, ergreifen meine. Gleiten ab von meinen Händen. Lassen mich zurück. Eine Ertrinkende allein im Meer, ohne Boden unter den Füßen. Meine Retter geben auf. „Wünschte, wir könnten etwas tun“, sagen sie. „Würden gerne helfen“, sagen sie. Leere Worte von leeren Menschen. Sie wollen mich nicht retten, wollen es kein zweites Mal versuchen. Sie retten sich selbst, zurück auf festen Boden. Meine Lungen bersten mit salzigem Wasser, meine Luft zum Atmen wird knapp. Wünschte, wir könnten etwas tun. Würden gerne helfen. Ich brauche ihre Worte nicht. Worte sind keine Rettungsringe. Worte halten mich nicht über Wasser, schützen mich nicht vor dem brodelnden Wasser. Ich sinke. Ich ertrinke.
Ich bin ein hohler Baumstamm, ausgebrannt und leer.
Ich bin ein tiefer Brunnen, randvoll und steigend.
Ich erkenne mich nicht mehr.
Angelina Noll
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