Das Haus mit der blauen Tür

Hendrik Fischer für #kkl28 „Dahinter“




Das Haus mit der blauen Tür

Ist Ihnen auch schon mal aufgefallen, dass es in jeder Stadt Häuser gibt, die leer stehen?
Egal ob Immobilienkrise, Wohnraumnot oder günstige Zinsen, es gibt Häuser, die immer
leer stehen und auch nicht abgerissen werden. Es wirkt, als ob ein Fluch auf ihnen liegen würde.
In einer mittelgroßen Stadt in Westfalen steht, unweit der Innenstadt, solch ein Haus.
Nicht nur dieses recht große Haus mit einer blauen Tür ist verlassen, auch die Häuser darum, oder sie befinden sich in einem beklagenswerten Zustand. Wie ein Virus, der sich auf die umlie-genden Zellen übertragen hat. Nur ein paar Häuser weiter in derselben Straße befinden sich einige der schönsten Häuser der Stadt. Es steht einfach da, ohne dass jemand großartig da-rauf achtet. Das einzig auffällige da diesem Haus ist diese blaue Tür. Nur wenige fragen sich, welche Geschichte dahintersteckt.
Das Haus mit der blauen Tür an sich ist schön und einladenden aus, wenn es renoviert wer-den würde.
Nur eine Straße, in Blickweite, weiter steht eine Kirche. Eine katholische Kirche aus festem Stein. Kann das Haus dann verflucht sein, nah einem heiligen Ort?
(Nur gegenüber von dem Haus steht ein graues Haus im besseren Zustand. Es ist zwar nicht schön, aber es sieht bewohnbar aus.)
Man könnte meinen es sei das Haus des Pfarrers gewesen, aber knapp daneben, es war das Haus einer anderen vergangenen Autorität in kleinen Städten. Es war das Haus eines Lehrers und seiner Familie.
Dieser Lehrer lebte vor einigen hundert Jahren mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen. Der ältere Sohn war ganz nach des Lehrers Geschmack: Er war fleißig, sportlich, intelligent. Der jüngere hingegen, konnte es seinem Vater nie recht machen. Egal was er begann, er führte es nie zu Ende, da sein Vater ihm schon von Anfang an das Gefühl gab, er mache es nicht richtig und könne es sowieso nicht schaffen.
Die Mutter quittierte das Geschehen häufig nur mit einem Seufzen und Achselzucken. Von ihr war keine Hilfe zu erwarten.
Während der ältere Sohn nach Münster zog, um Medizin zu studieren, lebte der jüngere noch in dem Haus mit der blauen Tür. Unfähig einen Beruf zu ergreifen, selbst der kleinste Bauer hatte ihm vom Hof gejagt, weil die Schweine die er hüten sollte, hinfort gerannt waren. Der junge Mann hätte einfach die ganze Zeit vor sich hingeträumt.
Der strenge Vater hatte eines Tages genug von seinem Sohn und jagte ihn, laute Beschimp-fungen aus dem Haus. Die Mutter seufzte nur, während sie weiter das Abendessen für drei Personen vorbereitete.
Mit gesenktem Kopf schlenderte der Sohn die Straßen entlang und überlegte, was er nun tun sollte.
Da fiel ihm die Baustelle der Kirche erst richtig auf. Die Baustelle existierte noch nicht lange, ein Baukran wurde gerade erreichtet. Der Architekt stand mit einem Bauplan in der Hand vor der Baustelle, um ihm herum die Vorarbeiter.
Da wird es sicherlich Arbeit geben, dachte sich der Sohn, selbst für jemanden wie mich. Ge-rade machte er sich auf den Weg, die Herren nach möglicher Arbeit zu fragen, da sprach ihn jemand an.
Er lehnte an einer Häuserwand und sprach den Sohn bei seinem Namen an. Der Kerl sah aus wie erfunden: Er trug Kleidung wie aus einem vorherigen Jahrhundert, dazu ein breit-krempiger Hut. Der Fremde fixierte den Sohn mit seinen auffallend dunklen Augen. „Du suchst doch in Wahrheit keine Arbeit, mein Junge. Ich weiß genau was, du suchst.“
Der Fremde hatte eine wunderschöne, wenn nicht gar süße Stimme. Der Sohn hörte ihm gerne zu, er war aber auch erschrocken, was der Fremde alles über ihn wusste. Als ob er ihn schon kennen würde, wenn auch nicht direkt.
Der Fremde kenne das Schicksal von Lehrerkindern zu Genüge, er selbst habe große Prob-leme mit dem Vater gehabt und sich immer Bestätigung gewünscht, aber nie bekommen. Nun gehe es ihm, sich an dem Vater aller Väter zu rächen.
Der Sohn verstand; nur wollte er wissen, was für einen Vorteil er davon hätte.
Ohne zu zögern, warf ihm der Fremde einen kleinen Beutel zu. Silbermünzen waren darin.Einen weiteren Beutel davon sollte es nach getaner Arbeit geben. Was das für Arbeit sei, fragte der Sohn. Der Fremde lächelte geheimnisvoll: Er solle sich einfach um irgendeine Ar-beit auf der Baustelle bewerben, der Rest geschehe von allein.
Der Sohn hatte zwar seine Zweifel, aber das Geld konnte er gebrauchen, von dem Fremden, sowie von der Arbeit auf der Baustelle, also machte er sich auf den Weg zu den Bauherren und fragte, ob es Arbeit gäbe.
Die Bauherren kamen von weiter weg und so kannten sie das Lehrerkind nicht und stellten ihn als Nachtwächter ein. Der Sohn kehre fröhlich nach Hause zurück und berichtete dem Vater, dass er Arbeit hätte. Der Vater, der sich wieder beruhigt hatte, erkannte dies an und sagte, dass er nun Miete zahlen müsse. Die Mutter quittierte den freudigen Bericht des Sohnes nur mit einem seufzen.
Die Nacht trat ein und der Sohn schlenderte über die Baustelle; schnell wurde ihm langweilig und er wurde müde. Er schaute den Baukran hoch, der in der Dunkelheit kaum zu erkennen war. Der Ständer des Kranes wurde von einigen Säcken mit Zement festgehalten.
Hier passiert sowieso nichts, dachte sich der Sohn und schleppte ein paar von den Säcken vom Kran weg, um sich ein Bett zu basteln. Die Zementsäcke waren zwar nicht besonders bequem, aber für einen müden Hilfsarbeiter reichte es allemal und schnell schlief er ein.Mitten in der Nacht zog plötzlich ein Sturm auf, er war mit allzu stark, dennoch stark genug, um einen nicht korrekt befestigten Baukran zum Sturz zu bringen. Der Sohn schlief, und träumte, so tief und fest, dass er selbst dies nicht zur Kenntnis nahm.
Als er aufwachte, erschrak er und wusste nicht, was er machen sollte. Er schleppte die Ze-mentsäcke, auf denen er geschlafen hatte, zu einem nahen Graben und schüttete sie dort aus, die Säcke verbrannte er.
Die Bauherren kamen und fragten den Nachtwächter entsetzt, was passiert sei. Er hatte sich die Geschichte ausgedacht, dass Diebe sich die Zementsäcke gekrallt hätten und geflohen seien, als er sie bemerkt und angelaufen sei.
Die Bauherren schienen seiner Geschichte nicht so recht zu glauben. Nur, überlegten sie, er wird wohl kaum zu den Dieben selbst gehören, wenn er auf der Baustelle geblieben ist. Dazu kam der Gedanke, dass niemand an seinem ersten Tag so dumm wäre, solch einen Mist zu bauen. Trotzdem beschlossen sie den Sohn nicht mehr als Nachtwächter einzusetzen.
Aber egal welche Tätigkeit man ihm zuteilte, er machte es falsch: Er war langsamer als die anderen Bauarbeiter und er verursachte Unfälle, die den Bau der Kirche verzögerte. Ein paar Tage nachdem der Sohn seine Arbeit auf der Baustelle begonnen hatte, tauchte der Fremde Mann wieder auf. Er sagte dem Sohn, er sei, sehr zufrieden mit seiner Arbeit und überreichte ihm ein weiteres Säckchen voll Geld.
Dies beobachte einer der anderen Bauarbeiter und nahm die Verfolgung auf, dieser Fremde sah doch sehr eigenartig aus. Doch sobald er um eine Häuserecke gegangen war, war der fremde verschwunden. Der Bauarbeiter traute seinen Augen nicht. Da ging es doch nicht mit rechten Dingen zu, dachte er sich.
Am folgenden Tag berichtet er seinen Kollegen, was er gesehen hatte. Schnell war klar, wer der fremde Mann nur seien konnte und, dass der Sohn ein Vasall von ihm war. Bis zu den Bauherren sprach sich das Gerücht herum und sie beschlossen den Sohn am fol-genden Tag zu entlassen. Die Arbeiter waren aber schneller in ihrem Beschluss. Sie nahmen ihr Werkzeug und gingen auf den Sohn zu. Der merkte schnell, was sie mit ihm vorhatten und nahm die Beine in die Hand. Er kannte sich in der Stadt aus und so führte er die Bauar-beiter in die Irre und schaffte es vor ihnen zum Haus mit der blauen Tür zu gelangen.
Der Vater ließ ihn hinein und fragte, was geschehen sei. Der Sohn berichtete ihn schnell, aber ausführlich, auch von dem Fremden. Den Vater ergriff ein Schaudern. Seine Wut stieg ins unermessliche, doch dann hörte man den Mob, der den Sohn töten wollte. Schnell befahl der Vater dem Sohn, sich im Keller zu verstecken. Die wütende Meute stand vor der blauen Tür und verlangte, dass die Tür geöffnet würde, um den jungen Mann auszuliefern. Der Vater nahm all seinen Mut zusammen, öffnete die Tür und erzählt mit bebender Stimme dem Mob, dass er seinen nichtsnutzigen Sohn schon lange verstoßen hätte. Die Männer sahen hinten dem Lehrer die Frau stehen, die seufzte. Dies und die glaubwürdige Rede des Lehrers überzeugte die Männer woanders weiterzusuchen.
Der Lehrer wusste zunächst nicht, was er tun sollte. Sein Sohn war ein Nichtsnutz, aber töten lassen wollte er ihn deswegen nicht. Seit langer Zeit empfand er Mitleid mit seinem zweit-geborenen. Er musste ihn schützen, bevor er sich wieder mit bösartigen Mächten einlässt.
Der Sohn war noch im Keller, indem er sich versteckt hatte. Der Vater ging zu Tür, die zum Keller führte, warf einen letzten Blick auf seinen Sohn, der auf den Boden saß und schloss die Tür.
Der Lehrer und seine Frau erzählten, wenn sie darauf angesprochen worden sind, dass ihr jüngerer Sohn schon lange fort war. Auch dem älteren Sohn erzählten sie diese Geschichte und ließen ihn und niemanden sonst nicht in die Nähe des Kellers.
Ein paar Jahre später starb der Lehrer an einem Herzinfarkt. Die Trauerfeier fand in der prächtigen Kirche statt, die kurz darauf fertiggestellt worden war. Als die Trauergemeinde die Kirche verließ, bemerkten einigen einen Mann, der altertümlich gekleidet war und mit, zumin-dest etwas, Genugtuung auf die Trauergemeinde blickte.
Die Mutter wurde mit der Zeit immer wirrer und verstarb, wie es schien, alleine in dem Haus mit der blauen Tür, sodass es erst einige Zeit später festgestellt wurde, dass die seufzende Frau verstorben war.
Die Stadt ordnete an, das Haus zu räumen. Erst jetzt entdeckte man auch die Leiche des jüngeren Sohnes im Keller des Hauses. Wie es aussah, ist er verhungert. Das konnte noch nicht allzu lange Zeit her sein, stellten die Ärzte fest.
Man versuchte oft das Haus zu verkaufen, nur hielten es die neuen Bewohner nie lange aus, wie ihr bereits wisst.
Irgendwann blieb das Haus verlassen und erstarrte in dem Zustand, in dem es sich heute noch befindet.
Manchmal, so berichten die Leute, wenn man nachts an dem Haus vorbeiläuft, hörten man ein leises Seufzen.




Hendrik Fischer
Studium, Angewandte Philosophie und Historische Studien, Universität Duisburg – Essen
Industriekaufmann






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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