Eros 433

Rene Gatterer für #kkl41 „Rasender Stillstand





Eros 433

»Steine, Krater, Meteoriten und alle anderen aus Mineralien bestehenden Körper die sich unter die Kategorie Konglomerate mischen, haben eine Sache gemeinsam.« So ungefähr leitete Gerald Weißbeck, ein junger Geologie und Astronomie Dozent an der Universität Schlosshofen seine Kurse ein, um die jungen Gesichter für den Unterricht zu ermutigen und sie im  Erstsemester willkommen zu heißen. Professor Weißbeck führte ein recht überschaubares Leben und versuchte von dessen geradlinigen Verlauf nur selten, sowie in den äußersten Notfällen abzubiegen. Er lebte in einem dieser Hundezwinger, die sich Single Apartments schimpften, doch ihn aufgrund der Größe und der geringen Nebenkosten nicht allzu viel Kröten aus der Tasche zogen. Und wenn er sich gerade nicht dort aufhielt, befand er sich in seinem Labor an der Universität oder gab einen seiner Kurse, und nachdem er die Theorie durch die leeren Köpfe seiner Studenten gepeitscht hatte, verlor er sich nicht all zu selten bis in die späten Abendstunden in irgendwelchen neuen Studien zu unbekannten Flugobjekten. Ein etwas verschrobener aber liebenswürdiger Einzelgänger, der seine Glückseligkeit nicht in einen anderem Individuum fand, sondern in leblosen Gesteinsarten, mit denen er sich nicht über den Abwasch streiten musste und genau so wenig würden sie ihn auf irgendwelche Familienfeiern hinschleppen. Es war eine einfache Konstellation, die Liebe zu Forschung und der gemeinsame Weg zur Gewinnung neuer Daten und Fakten.

»Also nicht vergessen, heute Abend findet der Meteoritenschauer statt.«

»Laut der Wettervorhersage sollten wir klare Sichtverhältnisse haben, sodass wir das Naturschauspiel bewundern können«, sagte Professor Weißbeck und musterte die zum Teil gelangweilten Gesichter seiner Studenten.

»Na gut, Schluss für heute, ihr könnt gehen.«

»Ach ja, vergesst nicht eure Hausarbeiten, die sind bis zum Ende der Woche … «, doch bevor das letze Wort über seine Lippen kam, wurde es vom dröhnenden klingen der Glocke übertönt, die den Unterricht enden ließ, worauf ein chaotischer Streifzug folgte wer zu erst den Lesesaal und die Universität verließ um sich von dem lehrreichen Wissen in Sicherheit zu bringen. Doch das Chaos verschwand so schnell wie es gekommen war und nachdem nächsten Wimpernschlag herrschte eine friedsame Stille im Raum. Gerald versuchte es seinen Studenten gleich zu tun und die Universität schnellstens zu verlassen. Bevor er noch diesen neuen Dozierenden Wagner in die Quere kam und dessen Einladungen zu Wein und Abendbrot absagen musste, da er kein Freund von neuen Bekanntschaften war, von Leuten die noch penetranter waren als ihr in der Nase beißendes Parfüm, welches sie auf Schritt und Tritt verfolgte. Und so setzte sich auch Gerald in Bewegung, packte seine Unterlagen in die Tasche und spazierte  über den dunkelgrauen Teer der Parkanlage, die am Ostflügel der Fakultät angrenzte. Nach einem klimpern des Schlüsselbunds, wanderte der Autoschlüssel ins Zündloch seines Multivans und nach ein paar stotternden Startversuchen sprang der Motor an und hustete tackernd vor sich hin. Nach dem ersten Gasstoß legte sich eine schwarze Wolke über den Parkplatz und Gerald verschwand hinter dem rußigen Qualm der Abgase. Nach einer viertelstündigen Autofahrt und zwei Countrysongs über verflossene Liebe später, befand er sich in der Otto-Mainz-Allee, wo die Wohnblockanlage im dämmernden Schein der Straßenlaternen stand und mehr Melancholie als Geborgenheit versprühte. Eine bittere Pille, mit fadem Beigeschmack die er jeden Tag aufs neue runter schluckte. Nachdem er sich das Treppenhaus hinauf in den vierten Stock quälte und den Lichtschalter kippte, stand einem wohlverdienten Feierabend nichts mehr im Weg. Und so zog Gerald alle Register und ließ eine fünfundvierzig Minuten Lasagne vom Sparmarkt um die Ecke, in die Mikrowelle wandern. Wo diese Friedsam vor sich hin backte bis der Käse zu einer goldbraunen Kruste wurde und er das ein Sterne Menü genüsslich vor dem Fernseher verspeiste und sich eine Reportage über Energiegewinnung aus Fossilen Brennstoffen ansah. Nach einer zweiten Dose Diät Cola, zog er seinen Hosenbund unterhalb seines Nabels, um den engen Fängen der Baumwolle zu entkommen und packte seine Tasche für die Exkursion zusammen. Eine Thermoskanne mit frisch gebeutelten Hagebutten Frühstückstee vom Wochenmarkt, eine Taschenlampe, sowie sein Notizbuch und dazugehörenden Schreiberling, gefüllt mit blauer Tinte durften nicht fehlen. Und  zu guter letzt wurde sein Outfit mit einem Fernglas und einen dunkelbraunen Hut abgerundet. Alles im allen, ließ es ihn wie einen Abklatsch von Indiana Jones aussehen, der nicht mit einer peitsche bewaffnet das alte Ägypten erkundet, sondern sich mit einem Fernglas in die von Blumen bedeckten Wiesen oberhalb der Stadt stürzt, um den Meteoritenschauer vor die Linse zu bekommen. Sein silberner Streitwagen brachte ihn hinter die Stadtgrenze, wo es auf erdigen Feldwegen hinauf zu den Hügeln ging, und sich die Sträucher zu wildem und struppigen Gewächs unter sternklarem Himmel verwandelten. Eine Hügellandschaft, die sich über und um die moderne kleine Stadt entlang zog und abertausende Menschen in einem tobenden Pool, am Grund eines Kessels einfing. Und Gerald Weißbeck, der sich mit jeden Höhenmeter der moderne entzog und mit dem Panorama eins wurde bis er am höchsten Punkt der Landschaft ankam und sein kleines Lager errichtete. Ein Campingstuhl wurde zum Außenstützpunkt umfunktioniert und sein Fernglas wurde genaustens justiert als würde es sich um das Hubbel Weltraum Teleskop handeln, welches in irgendwelchen Sphären schwebt und magnetische Spektren aufzeichnet. Und je näher er den Boden seiner Thermoskanne kam, desto ungeduldiger wurde er. Er setze zum letzen Schluck aus der Verschlusskappe an, als ein grell leuchtender Schweif am Horizont glitzerte und ein Hauch von Funken an der Himmelsdecke kratzen, worauf hunderte Feuerkugeln folgten und den Nachthimmel erhellten. Ein funkelnder Schwall, welcher brisant am Himmel streifte änderte seine Laufbahn und wurde zu einem glühend roten Punkt, der sich immer schneller näherte bis er unterhalb des Hügels in ein Feld einschlug. Der Meteorit schoss wie eine Kanonenkugel vom Himmel herab und hinterließ eine Spur der Verwüstung. Ein faustgroßes Flugobjekt, welches über die Erdoberfläche kratzte als ob es eine Landmaschine wäre die gerade einen Acker pflügt und erst nach zehn Fuß zum Stillstand kam. Ein Naturspektakel welches zu einem außergewöhnlichen Fund führte. Professor Weißbeck wanderte im Laufschritt den Hang hinab und näherte sich vorsichtig der Absturzstelle. Ein Loch, welches dampfte und glühte wie seine Thermoskanne als er in der kühlen Sommerfrische zum ersten Schluck ansetzte, beherbergte die Überreste des abgestürzten Flugobjekts. Und nachdem die Überwältigung über diesen Fund, sowie auch die Überreste davon abgekühlt waren, wickelte Gerald diese in seine Decke und bemerkte das sie  noch so heiß wie ein frisches Blech Heidelbeerkuchen waren, welches gerade das Rohr verlässt, aber noch so heiß ist, das es von der einen in die andere Hand wandert, bis es irgendwo zu Stillstand kommt. Und einen Moment später befand sich der geborgene Fremdkörper in der Tasche des Professors und in der nächsten Sekunde im Kofferraum seines Multivans. In dem er die kostbare Fracht zu seinem Labor transportierte. Und als er die in Baumwolle gebetteten Überreste auf seinem Bürotisch verteilte, waren diese auch gänzlich abgekühlt und er konnte diese genaustens untersuchen. Das galaktische Gestein fühlte sich brüchig und spröde an, wie an verbrannter Holzscheitel, umschlungen von der schwarzen Kohle und Asche einer Feuerstelle. Seine Fingerkuppen waren umhüllt von einer grauen Schicht, die sich wie ein Schleier seine Haut legte aber so fein war, wie das Grafit einer Bleistiftmine. Nur nicht so leichtgängig und geschmeidig, sondern trocken und rau. Verblüfft notierte er seine ersten Notizen, doch die Feder wollte nicht ganz folgen und so wurden aus den typischen Fähnchen seiner Schreibschrift, kryptische Zeichen, die sich auf dem Papier verewigten. Es war das beklemmende Taubheitsgefühl in seiner rechten Hand, welches Gerald den Anlass gab für heute Feierabend zu machen, bevor er noch einen Krampf oder eine Sehnenscheibenentzündung riskieren würde. Und so nahm er sich selbst das Vergnügen und machte sich zur späten Stunde auf den Heimweg und verließ die Fakultät. Noch völlig trunken von der Freude über den Fund, begleitete ihn sein Lächeln über die Stufen des Treppenhauses. Und als er den Schlüssel ins Türschloss gab, bemerkte er seine dunklen Finger. Seine Hand fühlte sich steif an, als hätte er gerade einen Töpferkurs besucht und sich noch nicht den Lehm von den Händen gewaschen. Ein trockenes und brüchiges Gefühl, jeder vierjährige der einmal einen Kampf mit der Verschlusskappe eines Tubenklebers geführt hatte, war vertraut damit und kannte es. Gerald dachte sich nichts dabei, er ging ins Badezimmer und hielt seine Hände unter das strömende Warmwasser, seifte sie ein und beließ es dabei. Zur später Abendstunde wurde er wach, das Mondlicht schien durch die seidenen Vorhänge und streifte über sein Gesicht. Gerald schluckte, und noch bevor ihn der erste Gedanke überkam, blieb ihm der Speichel auf halben Weg stecken, wie der letzte Tropfen Wasser in einer verrosteten Rohrleitung. Der Schrecken überkam ihn in Sekundenschnelle. Sein Körper von Hals abwärts in grauen Kalk gebettet, sein einst weiches Fleisch wurde steif bis es sich in Kalk verwandelte, der langsam drohte auf zu brechen. Ein lähmendes Gefühl, welches sich ausbreitete und Gerald an eine Sanduhr erinnerte. Tausend kleine Sandkörner die den Flaschenhals hinab rieselten bis die Zeit abgelaufen war und sich sein Herz in ein lebloses Sediment verwandelte. Ein rasender Stillstand. Steine, Krater, Meteoriten und nun auch Gerald, der im grauen Tot sein Ende fand und nur noch die unbekannten Überreste eines Gesteins im Bettlaken übrig blieben.





Rene Gatterer wurde am 17.07.1996 in Lienz/Osttirol geboren.
Schon in jungen Jahren wurde er mit der Magie der Worte vertraut, so wurde ihm schnell klar dass die besten Geschichten im Kopf entstehen. Aus einer Idee wurde ein Hobby und daraus folgte die Leidenschaft für das schreiben von Geschichten.
Veröffentlichungen: Die Maschine (Story.One Verlag)







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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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