Wiederkehrender Albtraum

Petra Dahlemann für #kkl41 „Rasender Stillstand“




Wiederkehrender Albtraum

Wie sieht es denn hier aus. In der Küche türmt sich das Geschirr, jemand hat vergessen, sauber zu machen. War ich das etwa. Egal. Ich kenne meine Aufgaben. Die fettigen Teller, die Tasse mit Teerand, die Gabel, auf der noch eine Nudel gespießt ist. Zwiebelschalen und Tomatenkerne. Ich schüttele die Flasche, noch ein Bodensatz von Wein, ich habe ihn nicht getrunken, aber stelle ihn weg. Wieder ein Fest ohne mich, Mitwirkung beim Aufräumen erwünscht.

Wo bleiben eigentlich die Herrschaften, ihr Spiegelei ist fertig, in der Kanne dampft der Tee. Ich öffne das Fenster, um den Rauch hinauszulassen, das Sonnenlicht blitzt zwischen welkendem Basilikum, Leergut und ausrangierten Schachteln. Ich reiße sie ein und staple sie säuberlich beim Altpapier. Jeder Gegenstand hat sein Zuhause, finde es. Die Feder zurück an das Vieh, der Korken auf die Flasche, die Gabel in die Schublade, die Träne aufs Auge. Vorsichtig balanciere ich die Kuchenreste Richtung Kühlschrank, da fällt die Kirsche aus der Torte auf den Boden. Ich begutachte den Schaden, dann trete ich ­­­­­­­sie flach. Ich sehe, wie sich die Sahne in Zeitlupe ums geplatzte Rot drapiert, oh je, jetzt muss ich auch noch wischen. Alles bleibt immer an mir hängen.

Und während ich die Tür mit einem Fuß offenhalte und den schwankenden Turm aus gespülten Tassen zum Schrank trage, knirschen Krümel unter meinen Schuhen, legt sich neuer Staub auf die Regale. Während ich das fleißige Fegen des Nachbarn höre, wird mein eigener Balkon gewiss unter Laub begraben, kann der Korb die Fülle von Altpapier nicht mehr halten, das Spiegelei gibt den Geist auf, findet die Maus unter dem Schrank neue Nahrung. Und der Hund muss zum Tierarzt und die Wäsche abgenommen werden, und ich wringe Tuch und Hände und knirsche mit den Zähnen. Es ist ja nicht so, dass du nie etwas machst, sage ich streng zu mir, aber eben immer das Falsche. Während ich die Ölflaschen der Größe nach aufstelle, höre ich, wie die Gummistiefel leise kichernd neuen Dreck durch den Flur latschen. Während ich das verstorbene Basilikum beerdige, fehlt dem Stuhl ein Bein, löst sich die Tapete von der Wand, werde ich mir selbst fremd, schlägt eine Uhr dreizehn.

Fünfzehntausend Gegenstände hat diese Küche, minus die abgestürzte Kirsche. Nicht viel hat unter meinen Händen schon zurück an seinen Platz gefunden. Entropie, denke ich und schaue auf die Uhr, die unruhig meinen Blick erwidert, das Pendel hängt ihr aus dem Maul wie einem hechelnden Hund. Im Traum, sagt man, sei alles möglich.

Da liegt sie, die Schläferin, hin gemeuchelt von den Gegenständen des Alltags, dem aufsässigen Geschirr, den Wäschebergen, den Staubflusen. Immerzu ist etwas tun und sie kommt zu nichts, aber die Schläferin weigert sich, die Augen aufzuschlagen. Nur eine kleine Pause für Zwischendurch, murmelt sie, sich an der Tischkante festhaltend. Verhindern, dass sie fällt, in den Strudel aus Einkaufstüten, Kalendern, überquellenden Abfalleimern. Sich wie besessen an den Gedanken krallen, dass man gebraucht wird.

Im Traum ist jeder und alles man selbst.

Sagt man.

Jeder Teller, jede Tasse, jeder Gast.

Es ist ganz einfach.

Ich blättere mich um.

Fange noch mal an.

Nase putzen.

Gesicht waschen.

Die Tassen zurück ins Oberstübchen.

Schrank schließen.

Das Herz wieder an den rechten Fleck stopfen.

Haare bürsten und zu einem Nest für Luftgeister stecken.

Mir ein Spiegelei braten oder auch zwei. War sowieso meins.

In der Flasche ist noch ein Schluck Wein.

Bleistifte spitzen, ein leeres Blatt.

Das Schreiben beginnen.


Ist besser jetzt.

Irgendwie aufgeräumt.




Petra Dahlemann ist 1962 geboren in Berlin und lebt bei Augsburg. Schreibt Erzählungen und Kurzprosa, sowie Theaterstücke und gestaltet Künstlerbücher.

Klanginstallationen, Mitorganisatorin bei Literaturfesten. Arbeitet als Bildungsreferentin, ist Lehrtrainerin für Biografiearbeit und leitet Schreibwerkstätten.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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