Schlafen

Frederik Durczok für #kkl41 „Rasender Stillstand“




            Schlafen

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Ich halte es gar nicht für erklärungsbedürftig, wenn man allein in Urlaub fährt. Im Gegenteil, es waren einige der schönsten Reisen, die ich allein gemacht habe. Alleine im Kino. Allein beim Italiener an der Ecke. Ich vermisse auch überhaupt nicht den sanften Atemluftzug meiner Ex an meinem Ohr, ihr lästiges Füßeln beim Einschlafen und die stets knapper werdende Decke. Wie entspannt das ist in Gesellschaft nur auf alle Rücksicht zu nehmen und nicht auch noch auf die Solidargemeinschaft mit einer Partnerin. Und das schlimmste: der Pärchen-Abgleich.

Ja, die machen die eindeutig besten Wandertouren. – Den Lieferdienst hatten wir am Anfang auch kurz. – Das machste ohne Berater. – Ach, habt ihr noch gar nicht? – Kita-Platz acht Jahre vor der Geburt; Rasenmähroboter. – Ach, habt ihr noch gar nicht? – … seine CDs endlich in den Keller; lohnt sich im Rabattsystem ja ab zwei Wochen erst; würde ich aber schon protokollieren – Ach, habt ihr noch gar nicht? – Zahlt ja nicht ohne Doppelschloss, die Versicherung; ach, ach, ach, ach! – Habt ihr schon jetzt?!

Und so liege ich in meinem Bett und habe ausreichend Platz, kann lüften, wie ich will und habe eine nachttreue Bettdecke. Erst auf dem Rücken liegen – wie angenehm. Ich dämmere meist weg, wache wieder auf und dann geht es genüsslich auf die Seite, kleines Kissen zwischen die Knie. Heute hänge ich im Dämmersumpf fest; weiß, dass ich gerade auf dem Rücken liege, gleich wieder erwachen werde. Dämmersumpf, wie in einer gelblichen Blase. Ein Windhauch drückt sich durch die gekippten Fenster. Umspielt seltsam meine Beine. Bin nicht ganz orientiert. Das Fenster ist ja immer links, egal ob in Köln oder Koblenz. Wo wohne ich gerade nochmal. Ist nicht so wichtig. Die weiße Treppe. Ich sehe eine weiße Treppe. Links eine Wand. Ich kann das tiefe Ende nicht sehen.

Dann platzt die gelbe Blase. Ich spüre den Raum, weiß wieder genau, wo ich bin und wie ich mich gebettet habe. Nur in diesem Moment weiß ich genau, dass sie da ist und frage mich, ob sie im dritten Stockwerk über mir oder unter mir – aber es gibt ja gar kein höheres Stockwerk.

*

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Ich halte es gar nicht für erklärungsbedürftig, wenn man allein einen Haushalt führt. Um so skurriler sind dann all diese heteronormativen Momente, wo man einer Hälfte von Tätigkeiten, die man ohnehin machen muss, zugeschrieben wird. Alles andere könne man ja eh nicht. Und dann soll man noch Sachen können, die man noch nie in Erwägung gezogen hat, gemacht gehabt zu haben. – Also Männerrunde:

Du stehst so im Kreis um einen defekten Rasenmähroboter mit lauter Rasenmähroboter-Dilettanten. Dürfen sie aber nicht zeigen. Du sehnst dich nach dem Gemüseschneiden in der Küche und verfluchst Menschen, die unbedingt so einen verschissenen Rasen haben müssen. – Und dann liege ich am Abend im Bett und muss auf einmal lachen, weil man mir ein Verantwortungsgefühl für den Rasenmähroboter einreden wollte, den Alex aus der Männerrunde einfach ohne Anhauch von Ironie Charly nannte. Und dann auch Jochen und Rob und auch Thomas sagt Charly und, während ich höre, wie Alex zu mir sagt „Du tust Charly weh“, sehne ich wieder die lange weiße Treppe herbei und bin heute gar nicht mehr in der gelben Blase, sondern tief beim Treppenabgang und links ist die weiße schützende Mauer und rechts gibt es keine Begrenzung.

Wenn sie dann fragen, ob ich nicht manchmal abends allein im Bett und naja traurig, erzähle ich immer und immer wieder von dem Atmen ins Ohr, dem nervigen Füßeln und wie gut das ist mit nur einer Decke. Und ich hasse es immer wieder dieselben lustigen Dinge erzählen zu müssen. – Will mich an die weiße Treppe lehnen, aber links sind jetzt die Fenster – ich liege ja auch. Beim angenehm kühlen Luftzug an meinem Bein, spüre ich ein heftiges Glühen in mir aufsteigen und weiß, dass sie dort ist. Im vierten Stock, dass du im vierten Stock auf mich wartest und wir uns gleich wie ein Treppensturz lieben werden. Dass wir ganz ineinander verkeilt plötzlich ohne Dach. Immer mehr Luftzug.

Und ich springe auf. Stehe vor dem Bett, bereit zu dir, weiß nicht mehr, wo. Bin ja schon im vierten Stock. Kissen liegt auf dem Teppich. Die Wirklichkeit ist so dumpf. Warum war der Dämmertraum mir viel realer?

*

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Ich halte es gar nicht für erklärungsbedürftig, dass ich intensive Traumbilder habe, die sich oft wiederholen. Die Treppe, die Wohnung, die nicht meine ist und dann doch, in der anderen Stadt oder eher ein Seelenraum. Wer im Stockwerk unter mir – Jochen erzählt ungefragt und ununterbrochen, davon, wie die Steuerung von allen Lebensbereichen, auch Rasenmährobotern, durch KI und intelligente Apps. Unser gesamtes Leben. Ich frage mich, warum Simone heiraten musste und wir nicht einfach wieder frustriert saufen können. Ich hasse, dass ich mitreden kann, weil ich auch Alex’ fachkundige Meinung zu KI bei Rasenmährobotern, die sehr differenzierte Einschätzung von Rob zurückgreife. Überhaupt ist Thomas jemand, der wahrscheinlich die intelligente Standard Rasenmähroboter-Heimkoordinations-App erfunden hat. Warum führen Menschen Beziehungen? Warum müssen sklavenähnlich Beschäftigte in Afrika dafür sorgen, dass Spießer über KI-basierte App-Lösungen. – Ich schlage gegen die Matratze.

Dieser scheiß Tag. Dieses bekackte Brunchen. Ich glaube, Jochen ist das Böse. Leider nicht das unfruchtbare Böse. Die Rückenlage geht heute gar nicht, also schlafe ich direkt auf der Seite ein. Aus Zorn zwei Kissen zwischen den Knien. Ich bin erstaunlich schnell weg.

Und du streichst mir sanft wie ein Geist über die glattrasierte Wange.

„Franka.“

„Ich hatte zuerst Angst wegen der Treppe.“

„Die ist aber doch im fünften Stockwerk.“

 „Ich weiß.“

„Kannst du länger bleiben? Länger als die Dämmerung vor dem Aufwachen?“

„Nein, das geht nicht. Du bist allein.“

„Aber, ich bin doch allein glücklich, oder?“

„Die Treppe.“

„Ich wollte mir nichts vormachen. Nicht wie Simone, Jochen der Rochen oder Rob der Baumeister.“

„Wir machen uns doch alle etwas vor.“

Ich küsste Franka und schlief endgültig ein.

Ach ja. Und ich halte es übrigens gar nicht für erklärungsbedürftig, was ich in meiner halbwachen Dämmerphase glaube oder nicht.

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Frederik Durczok (*1986) ist Musiker, Historiker, Pädagoge und Autor. Der gebürtige Mann-heimer ist in der Kurpfalz (neudeutsch Metropolregion Rhein-Neckar) und Rheinhessen aktiv. Lesungen führten ihn darüber hinaus auch nach Soltau, in die Wesermarsch, nach Berlin (Brotfabrik Weißensee) oder auch Steinfurt (Westfalen).

Durczok arbeitet in den Bereichen Lyrik, Kurzprosa, Glosse und Erzählungen. Veröffentlicht wurden bislang Kurzprosa, Gedichte und Erzählungen in mehreren Anthologien. Im Mai 2021 gründete Durczok den Verlag „Innenseiten“.

Im Oktober 2022 war Frederik Durczok schriftstellerisch in der Künstlerwohnung Soltau, Niedersachsen tätig. – Nach Aufnahme auf die „A-Liste“ (17 von gut 100 Einreichungen) begann er im Herbst 2022 auch ein Schreibstudium an der „Schreibhain“ Schule, Berlin. Voraussichtlich 2024 erscheint im Baltrum Verlag ein Band mit vier Erzählungen.







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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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