Das Finale

Fernand Muller-Hornick für #kkl41 „Rasender Stillstand“




Das Finale

Schneller, haben sie gesagt, Hop Hop, ein bisschen dalli dalli, wir sind nicht hier um zu träumen, die alten Sprüche, Zeit ist Geld, Geld ist die Macht, und die Macht ist die Herrlichkeit, und die Herrlichkeit ist Gott, und Gott ist das Kapital, und das Kapital sind die Konzerne, die Aktionäre, ein bisschen mehr Dynamik, Beschleunigung anstatt Trödelei, ich kann nicht mehr, ich muss können, jederzeit verfügbar, selbst auf dem Klo, ein Hoch auf die moderne Technik, ein dreifaches Hoch auf die Erfinder der Beschleunigungstechnik, auf die Entwickler der Hochleistungsrechner, hoch sollen sie leben, dreimal hoch, verdammt seien sie in alle Ewigkeit, in der Hölle schmoren, soll ich vielleicht in die Hose scheißen, nur, damit die Firma innerhalb von drei Minuten, länger hat das Entleeren des Verdauungstraktes gefälligst nicht zu dauern, Arsch abwischen inbegriffen, kein finanzielles Desaster erlebt oder, noch schlimmer, die Weltwirtschaft zusammenbricht? Pinkeln: eine Minute, Urin gefälligst ansammeln bis genug Druck auf der Blase zwecks Entleerung entstanden ist, Hände waschen, dreißig Sekunden, Hygiene ist zwar in einem gewissen Sinn wichtig, aber so dringend notwendig auch nicht, Haare striegeln und sich selbstgefällig im Spiegel betrachten, alles verlorene Zeit, die man sinnvoller nutzen kann. Wer es nicht schafft, seinen Darm innerhalb von drei Minuten zu entleeren, gehört nicht hierher, drei Minuten, eine Ewigkeit, was kann alles innerhalb von drei Minuten oder auch nur einer Minute passieren: Fall der Aktienkurse, feindliche Übernahme der Firma durch die Konkurrenz, Horrorszenario; Zusammenbruch der Weltwirtschaft, Milliardenverlust für den Konzern, innerhalb einer Minute kann die Welt im Chaos versinken, die gesamte Weltwirtschaft in den Abgrund stürzen, nur, weil jemand das Bedürfnis verspürte, seine Blase zu leeren. In den Papierkorb strunzen geht schließlich auch, dieser Jemand bin ich, ein Angestellter, ein Funktionierender, ein zu Funktionierender, immer mehr Aufgaben in immer weniger Zeit erledigen, nur auf den kleinen Knopf im Gehirn drücken, schon bin ich einsatzbereit, ständig verfügbar, Beschleunigungsstufe sechs, immer schneller, immer rasanter, immer mehr Anhäufung von Kapital, egal, auf wessen Kosten, es interessiert doch niemanden, ob plötzlich zweitausend Arbeiter und mehr auf der Straße stehen, ob Familien mit Kindern, Hunden, Katzen, Kaninchen und Meerschweinchen am Hungertuch nagen werden.

 Großes Gerede, vor allem, wenn die Kamera läuft, den Mund voll nehmen im Scheinwerferlicht, herunterrasseln von Schlagwörtern, was der Konzern alles tut, soziales Engagement, nicht nur gegenüber ihren Arbeitern, sondern auch gegenüber den Drittländern. Mal ehrlich: Ist der Arbeiter oder die Arbeiterin aus Dschibuti, Botswana, Pakistan, Bangladesch oder Indien nicht froh und dankbar, Arbeit zu haben und ein paar Pfennige zu verdienen, um sich und der lieben Familie ein Brot oder ein paar Reiskörner kaufen zu können, diese Menschen sind ja bescheiden, eine Handvoll Reis oder ein Maiskolben genügt denen ja schon. Ach wie gut dass niemand weiß, dass alles nur eitles Geschwätz ist und das wahre Elend der vor Hunger, Armut und Seuchen leidenden Länder in Afrika und Asien verharmlost wird.

Das Management als Retter der ganzen Welt, ist das nicht wunderbar, die reinsten Wohltäter, vielleicht werden sie noch eines Tages heilig gesprochen.

Schneller, haben sie gesagt, gestern, heute, morgen, sie werden es immer und immer wieder sagen, wie eine tibetanische Gebetsmühle, ich kann nicht mehr, hocke nun schon zehn Minuten und einundvierzig Minuten auf dem Klo, presse und drücke mir das Gehirn aus dem Schädel, nur die Scheiße will nicht heraus, hat sich fest gesetzt, verweigert die Ausscheidung, sie werden schon nach mir suchen, obwohl, andererseits bin ich unauffällig, meine Präsenz vor dem Bildschirm und dem PC wird zwar wahrgenommen, aber meine Nichtpräsenz löst, sobald die für den Klobesuch vorgesehenen drei Minuten überschritten sind, Alarm aus. Keine heulenden Sirenen, keine rot flackernden Scheinwerfer, auch keine Sprinkleranlage, die alles unter Wasser setzt. Aufruf über Lautsprecher: der Betreffende, also ich, der seinen Arbeitsplatz zwecks Erledigung privater Geschäfte verlassen und die dafür vorgesehene Zeit überschritten hat, habe sich schleunigst auf seinen Arbeitsplatz zu begeben, ansonsten mit einer schriftlichen Mahnung und einer Lohnverminderung zu rechnen sei.

Fünfzehn Minuten, zwanzig Minuten, ich kann nicht mehr, die vierte und letzte Aufforderung, meinen Arbeitsplatz aufzusuchen, die können mich mal, den Buckel sollen sie mir herunterrutschen, ein für allemal, totaler Zusammenbruch, Burnout, Fatique Syndrome, sie werden mich ausschalten, als unbrauchbar erklären, als Schrott definieren, in die Mülltonne mit ihm, es warten hundert andere darauf, meinen Stuhl besetzen zu dürfen. Ich werde es nicht zulassen, ich muss den Wahnsinn stoppen, stopfe, nachdem ich die Scheiße mit aller Kraft heraus gepresst habe, den alles bestimmenden Hochleistungsrechner im Raum 212 voll, ein kurzes Ächzen, ein jämmerliches Stöhnen und Ächzen, ein fürchterlicher Gestank, ein dumpfer Knall, dann Stille, wie auf dem Friedhof.  





Fernand Muller-Hornick
Geb. 1947 in Luxemburg,

Bücher: u.a.

Knecht oder die Liebe zu den Sternen, Roman, Rauhreif Verlag, Zürich 1985

Sage nicht immer Mama zu meiner Mama, Erzählung für Kinder, Verlag Op der Lay, Esch-Sauer, (Luxbg.) 1989.

Anthologien: u. a.

Ich denk, ich denk, was du nicht denkst…, Neuer Breitschopf Verlag, Wien, 1991. (für Kinder)

Wenn ich zaubern könnte, Neuer Breitschopf Verlag, Wien, 1993

Zeitschriften: (u.a.)

;Protokolle, Verlag Jugend& Volk, Wien; Wiener Journal; Literatur und Kritik, Salzburg, November  2019. Der Maulkorb, Dresden. Experimenta, 2019. Mosaik, Salzburg, 2021.Veilchen, 2021, 2022 UND, Innsbruck 2024.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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