Bernhard Horwatitsch für #kkl34 „Klarheit“
Auf dem Altar der Liebe
Ego autem, cum mihi molesti essent, induebar cilicio, das Büßerhemd aus Rosshaaren und Schweineborsten liegt nun ausgebreitet vor mir. Der eiserne, beringte Büßergürtel liegt daneben. Ich werde diese nun anziehen und mich auf eine lange Pilgerfahrt ins Nichts begeben. Ich pilgere ein letztes Mal zu Ehren einer falschen Göttin und weiß das.
So lange habe ich diesem Götzen Literatur nun all die Jahre gedient. Ich habe einer falschen Göttin meine Lebenskraft überlassen. Ihr, dieser bigotten Hüterin der Feder, dieser achtlosen Musengöttin, ihr, die in der großen Bibliothek heimlich furzt, habe ich alles geopfert. Arm und allein hause ich in einer heruntergekommenen Hütte, bin zum Bettler vor dem Herrn geworden. Ich habe sie mit allem was ich bin geliebt. Hier, mein letztes Hemd, auch dieses, opferte ich ihr. Dafür hat sie mich meist ignoriert und wenn nicht, dann lediglich im Vorgarten empfangen. Aber ich muss zugeben, dass ich auch nie das nötige Selbstbild hatte, um mir selbst zuzugestehen, von ihr geliebt zu werden. Nein. Im Gegenteil. Da ich diese Göttin anbetete wie einen echten Gott und das nicht nach der Art eines eitlen Bischofs, sondern wie ein Mönch, ein Mystiker, ein Asket, scheute ich ihre öffentliche Welt. Die offiziellen Kirchen der Göttin mied ich. Eher war ich ein Wandermönch, der seine Gebete nachts unter freiem Himmel abhielt. Ich war immer näher an einem echten Gott mit meinem Verhalten. Ich war viel zu ehrfürchtig. Heute weiß ich, dass die Literatur keine Göttin ist, sondern eine verdorbene Schlampe. Ein Geschöpf, nachts aus den Sümpfen des Geistes geschlüpft um bei Tageslicht mit viel Popanz und Gehabe Zaubereien und Gaukeleien darzubieten. Zaubereien und Gaukelspiel habe ich stets verachtet und nicht gescheut, ihr das bei unseren heimlichen, nächtlichen Begegnungen offen zu gestehen. Sie hat mich nur ausgelacht. „Küss mich“, lachte sie nur, „küss mich du alberner Tor.“ Doch ich küsste sie nicht, ich ging in die Knie vor ihr und flehte um ihre Reinheit, schwor ihr meine reine Liebe. Sie war nie rein und wird es nie sein. Ja, ich war und bin ein Tor.
Nachdem ich jetzt vierzig Jahre die Göttin Literatur verherrlichte, sind meine falschen Gebete zu mir selbst geworden. Meine Arme, meine Beine, mein Bauch, mein Rücken, mein Kopf, meine Augen, meine Nase, mein Mund, meine Ohren alles wurde so, wie es nun ist, um ihr, der falschen Braut zu gefallen. So bin ich ein falscher Bräutigam geworden. Gleiche ich doch mehr einem echten Mönch! Und was sollte dieser Sumpfgeburt eines goldenen Kalbs an einem echten Mönch gefallen? Nichts. Sie, diese überschminkte Greisin mit ihren falschen Brüsten, ihren Botox gestärkten Lippen, ihrem Grand Dame Gehabe, die sich stets Luft zu fächert, weil sie vor Verlangen beständig schwitzt, diese alte Schnepfe Literatur fühlt sich von einem alten schäbigen Mönch in seinen ausgelatschten Sandalen nur noch abgestoßen. Wenn wir uns begegnen, in den Hinterzimmern, den geheimen Orten, dort, vor der Öffentlichkeit verborgen, wenn wir uns dort begegnen, ich, der alte staubige und verschlissene Mönch und sie, die alte und verderblich herausgeputzte Salondame, dann geben wir schon ein sehr seltsames Paar ab. Es ist nicht so, dass die alte Kuh keine Sympathien für mich hegt. Nur würde sie niemals in der Öffentlichkeit zugeben, dass dem so wäre. Wir sind ein geheimes Paar. Diese Amour fou et secret war nie einseitig. Aber offiziell wollte die alte Dame nie etwas mit mir zu tun haben. Ich war für sie nie standesgemäß. Als ich noch jung war und in meine Göttin frisch verliebt, schmeichelte meine Leidenschaft ihrem ausgeprägten Ego. Gerade in jungen Mönchen brennt ein Feuer, das auf Frauen aphrodisierend wirkt. Doch die Liebe, die der junge Mönch den von solchem Feuer angezogenen Frauen schenkt, ist zu sehr Agape und viel zu wenig Eros. Ich verwechselte meinen Eifer für die Literatur mit Selbstlosigkeit, hielt mein Talent für eine göttliche Gabe. Grand Dame wollte nur spielen, lockte mich mit ihren Reizen und wendete sich – gelangweilt gähnend – ab von meiner falschen Liebe. Ich konnte ihr nicht geben, wonach ihr verlangte. Sie war keine Göttin, sie war so fleischlich und so wenig geistig und ihre Zuneigung war käuflich. Heute weiß ich das alles, schon lange weiß ich das. Aber da ich während meiner vierzig Jahre Anbetung der Literatur gleichzeitig den echten Gott oder die echten Götter verfluchte, ihnen, den echten Göttern wie ein Bischof begegnete, sie nur abstrakt und falsch liebte, war die Verwechslungskomödie perfekt. Zwei Arten falsch zu lieben. So verzehrte mich Eros durch die echten Götter. Sie lehnten meine fleischliche Zuneigung zu ihnen ab. Und die so sinnliche falsche Göttin lachte über meine Treue zu ihr, meine wohlwollende Gnade war ihr peinlich, meine nachsichtige Barmherzigkeit machte sie sogar wütend. Aber ich konnte nicht mehr zurück, oder wollte nicht mehr zurück. Wer weiß das schon? Glaube ich immer noch, ich hätte es selbst in der Hand gehabt, was aus mir werden sollte? Diese Komödie passt in kein Theater, wird auf keiner Bühne der Welt je gespielt werden. Sie ist zu pervers. Und doch hat sie sich abgespielt und kennzeichnet alles, was mich nun zum Ende meines Daseins zur Reue zwingt. So falle ich auf die Knie vor dem wahren Gott, den echten himmlischen Göttern, vor Odin, vor Zeus, vor Jahwe, vor Jesus, vor Brahma, vor Buddha. Ich kann nicht anders, als derart frevelhaft Reue zu zeigen. Denn war die Literatur auch eine falsche Göttin, eitel, käuflich, Staub und Wind, so war sie doch da. Ich habe sie auf die falsche Art geliebt und hielt diese Art sie zu lieben doch immer für die einzig echte Art ihr zu begegnen. Und sie, die Dame von Welt, hofft vielleicht heute noch im Stillen, ich würde sie küssen, sie dort berühren, wo ich sie nie berührte, weil ich zu ehrfürchtig war und es immer noch bin. Der Traum dieser Liebe blieb für uns beide unerfüllt.
Und nun, wo alles Feuer in mir erlischt, beinahe erloschen ist, schenke ich die letzten Funken dieser ausgehenden Glut ihr, und fluche den Göttern ein letztes Mal. Dies ist meine Buße. Ohne Schuhe und von einem einfachen Gewand umhüllt, die eisernen Ringe schneiden mir ins Fleisch, ins sündige Fleisch, pilgere ich in ein fernes, unbekanntes Land, ein Land das es nicht gibt und wo mich niemand empfangen wird. Mich selbst geißelnd und mit falschen Hallelulja-Rufen einer für immer verschwundenen Braut opfernd, ein ewiger Tor der Weisheit dienend, pilgere ich, ein Pilgrim, ein Fremdling für immer.
Früher
Eine Zeitreise
Nie hätte ich gedacht, jemals einen Satz mit „früher“ zu eröffnen. Die ganze Zeit liegt vor einem und plötzlich hinter einem, so als sei man selbstvergessen und verträumt an der Zeit vorbeigegangen, ohne besonders schnell zu gehen. Ich habe die Zeit überholt, die immer vor mir lag und nun hinter mir. Irgendwie habe ich sie überholt ohne es zu merken. Dabei habe ich mich nicht besonders schnell bewegt. Die Zeit ist wohl langsamer als ich dachte. Sie lag so lange vor mir und ich konnte sie nicht sehen, so weit weg war sie. Nun liegt sie urplötzlich hinter mir und ich muss stehen bleiben und mich umdrehen, um noch einen letzten Blick auf sie zu erhaschen. Da ist sie, ist sie gewesen. Die Zeit. Ach, du warst nicht schön, aber auch nicht hässlich, du warst einfach so wie du bist. Vergangen. Du bist so lange vor mir weggehüpft, hast dich neckisch versteckt und hinter Stundenbüschen kleine, neckische Minuten nach mir geworfen. Du warst immer so kindisch und doch so weise wie ein altes Mütterchen, das mir eine Brühe kocht aus heilenden Kräutern. Hast dich verwandelt und verwandelt und bist immer du selbst geblieben. Warst ein kleines Mädchen, das naiv die Sommerblumen pflückte, warst ein schwer keuchender Mann in Gummistiefeln, der durchs Moor stapft und Verwünschungen ausspricht, warst eine Nymphe, eine Zierde, eine Schnepfe, Regenpfeifer, dein Salz überflüssig. Du warst und du bist und wirst und bist doch immer nie. Du fehlst mir und doch bin ich dir überdrüssig. Hätte ich dich nur verstanden! Aber, ach aber du Änigma du, hast einen Kult aus dir gemacht und dich hinter deiner langen Weile verborgen. Ich war mal kurz davor, dich einzufangen, für ein Immer und Ewig, aber, immer hast du – Zeit – ein Aber, aber du bist mir entwischt, hast vermutlich nur mit mir gespielt, mich rankommen lassen und kurz bevor ich dich schnappen konnte, bist du hinter einer Nachtwolke verkrochen und schüttetest kalten Dunkelregen auf mein Dornenhaupt. Jetzt bist du ganz verschollen und schickst mir aus deiner fernen Insel Erinnerungen, wie schmutzige Postkarten aus einem Altersheim. Meine Gebete waren Zeiger auf einem Blatt der Vergänglichkeit. Ich bin zerronnen in der Hitze der Jahre, weiche dir nicht mehr aus, nicht mehr. Nun, Zeit, nimm mich in dich auf.

Bernhard Horwatitsch https://www.literaturprojekt.com/
Schreibt seit vielen Jahren dies und das und wird es auch weiter tun. Warum er das tut, hat er längst vergessen.
Texte von BernhardHorwatitsch auch auf www.smartstory.at
Interview für den #kkl-Kanal HIER
Über #kkl HIER
