André Hénocque für #kkl34 „Klarheit“
Gewiss
Sie ging langsam zum Fenster und schaute auf die trostlose Industrielandschaft,
die sich kaum gegen den grauen Novemberhimmel abhob. Der Nebel hatte sich
zum Qualm der Schlote gesellt und zeichnete ein gespenstisches Bild. Kein Laut
drang durch die Dreifachverglasung, so als ob jemand den Ton abgestellt hätte.
Sie stieß den Rauch der Zigarette aus, wodurch die Aussicht noch nebliger wurde.
„Das muss aufhören“. Sie sprach die Worte laut aus. Dabei war unklar, ob sie die
gelblich-weißen Emissionen draußen oder den Zigarettenqualm drinnen meinte.
Sie setzte sich an den Tisch und betrachtete ihre Hände. An der linken Hand
funkelte der kleine Brilliant ihres Verlobungsrings. Unwillkürlich strich sie mit
dem Zeigefinger darüber, nahm ihn ab uns legte ihn vor sich. „Ob er es gewollt
hat? Er hätte es mir sagen sollen. Später bin ich wieder die Schuldige“. Bei den
verbalen Auseinandersetzungen hatte sie den Eindruck immer den Kürzeren zu
ziehen. Am Vorabend war alles eskaliert, als er wieder von einem gemeinsamen
Leben sprach. Eine größere Wohnung, vielleicht ein kleines Haus mit Garten.
Sie widersprach heftig. Ihre Freiheit, ihr Freiraum waren ihr wichtig. Dabei hatte
er recht. Sie waren bereits seit drei Jahren ein Paar, wenn sie auch bis jetzt ihre
jeweiligen Wohnungen behalten hatten. Sie griff nach der Zigarettenpackung,
legte sie aber gleich wieder hin. „Ich rauche sowieso zu viel. Wäre nicht schlecht,
wenn ich es aufgeben könnte“. Der Vorschlag mit einem gemeinsamen Zuhause
war nicht ohne Reiz. Außerdem würden dadurch die Kosten deutlich gesenkt.
Es fehlte ihr aber der letzte Anstoß, das Argument, was Klarheit und Gewissheit
bringen würde. Sie ging ins Bad. Als sie wieder herauskam, nahm sie das Telefon
und wählte seine Nummer. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. Tränen liefen
über ihre Wangen und sie konnte kaum sprechen. „Wegen gestern. Wenn du noch
willst werden wir unser Leben gemeinsam verbringen. Mir ist klar geworden, dass
wir eine Zukunft haben“. Er war außer sich vor Freude und versprach zum
Abendessen eine gute Flasche Wein mitzubringen. Sie hatte nichts dagegen.
„Vielleicht wäre Champagner angesagter“ sagte sie sich, als sie die zwei roten
Streifen auf dem Teströhrchen betrachtete.
André Hénocque, Philipp-Reis-Str.8, D50126 Bergheim
Geb. 29.08.1948 in Hagen/Westf.
Verheiratet, 3 Kinder, 5 Enkel
Rentner, früher Industriekaufmann
Publikationen seit 2020:
Kurzgeschichten in 8 Anthologien
Gedichte und Kurzgeschichten im Netz
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