Tanna Künemund für #kkl42 „Selbstachtung“
ba r e n F u ß e s oder bahrer Füße
Ich habe verschiedene Texte begonnen, von denen ich nicht wusste, ob ich sie nun wirklich wählen sollte, um sie heute laut zu lesen, denn all diese Texte waren aus mir eher unerfindlichen Gründen ins Politische abgerutscht, doch genau darüber wollte ich heute nicht lesen.
Egal, wie ich welchen dieser Texte begann, wandelte er sich zu einer politischen Schönheit, um mir zu zeigen, dass alles, aber auch alles im Leben, der Natur, der Liebe und auch anderer Nahrung politisch ist. Was wir kaufen, was wir essen, ob wir durch unseren Kauf die Landwirtschaft mit ihren Pestiziden unterstützen und diese Gifte, die eine klare Überschreitung unserer Körpergrenzen und eine Körperverletzung darstellen, die wir einatmen, aber die auch unsere Umwelt, unser Grundwasser und die ganze Welt vergiften fördern oder eben nicht, sondern Biolebensmittel kaufen oder aus Solawis unser Gemüse beziehen, das alles ist politisch. Alles, aber auch alles, was wir konsumieren oder nicht konsumieren, ist eine politische Aussage.
Auch dass ich mich vehement dagegen entschieden habe, heute einen politischen Text zu lesen und das Thema Politik vollkommen ausspare, ist eine Aussage politischer Art.
Deshalb widme ich mich eher meiner Haut. Immer schon hat es mich interessiert, was meine Haut an verschiedenen Stellen bevorzugt oder verabscheut. Ich fand es schön, mich in ihr wohlzufühlen. Sie gab mir regelmäßig afferente Rückmeldungen. Afferent und efferent unterhielten wir uns mal angeregt , mal abgetörnt darüber, was für sie ging und was eben gar nicht klar ging.
Letzte Woche stand ich im Drogeriemarkt an der Kasse und fühlte mich innerhalb der Zahlungsmodalitäten der addierten Geldsummen unwohl und weil ich schon wieder fasziniert war von meinen wunderbar geschmeidigen und neurologisch topp funktionierenden Bewegungen beim raschen Einpacken, fühlte ich mich synchron so richtig nicht…pudelwohl, eher waschbärenwohl oder hasenindersassewohl, denn ich fand dass ich das richtig gut erlernte und neurologisch perfektionierte Weitergegeben zahlreicher Güter, die ich beidhändig vom Band der Bewegung in den stillstehenden Wagen schwungvoll und zielgenau legte, bewundern musste, denn ich wüsste schließlich nicht, wie lange ich dies noch tun könnte oder ob ich vielleicht auf dem Rückweg vom Einkauf schon gegen oder in ein anderes Auto und direkt ins Koma schlittern würde. Also beobachtete ich beglückt meinen Zustand organisierter Perfektion und perfektionierter Organisation, der sich in Wohlgefallen und entspanntes Einkaufswagenschieben auflöste, als ich von einer peinlich berührten älteren Frau angesprochen wurde, die mir hinter vorgehaltener Hand das Detail meiner Beschämung zuflüsterte. Ich dachte kurz, ihren Blicken mit meinen folgend, darüber nach, ob ich oben an meinen Schenkeln eingeblutet war, als sie zu mir sprach:
„Ich muss ihnen etwas sagen, was Ihnen sicher peinlich ist. Wissen Sie was? Ich dacht` einfach, ich sag`s Ihnen besser: Sie haben aus Versehen – Ihre Hose – auf links angezogen!“
Peinliche Stille. Peinlich ist ein schmerzhaftes Wort aus den Folterkellern der Inquisition. Eine peinliche Befragung, so hieß diese Folter, hat wahrscheinlich niemand, zumindest nicht unbeschadet, überstanden. Folter finde ich unfaßbar. Dass Massen an Menschen gefoltert worden waren und noch viel mehr, dass auch heute noch täglich irgendwo gefoltert wird. Ich finde schon Mittelaltermärkte gräßlich. Das Wort „peinlich“ heißt bei mir „beschämend“, doch mit der Scham hab ich`s nicht so. Ich hatte eine Mutter und Liebesbeziehungen, die sich fremdgeschämt haben meinetwegen, wegen meiner Worte, meiner Kleidung, meiner Schuhe, meiner Art zu tanzen. Meine beste Freundin war mir eine Hilfe. Sie hatte mir auch bei der letzten Beziehung geschrieben, bitte bleib genau so, wie Du bist. Es gibt keinen Grund für Scham. Es ist deren Scham, deren Problem. Sie kommen mit uns zusammen, um uns zu verändern. Das aber ist schamlos übergriffig und mies. Laß uns bitte anders, so richtig schön schamlos sein. Ich übte es.
„Joa,…“ antwortete ich, „das ist Absicht.“
Meine Antwort war ihr noch „peinlicher“ als meine Peinlichkeit der auf links angezogenen Leggings, bei der alle Nähte sich nicht in meine Haut und mein Gewebe, das eigentlich sogar mit feinster Haut überzogenes Fleisch ist, hineindrückten und manchmal nicht nur Druckstellen, sondern auch ein Jucken ergaben, das nicht angenehm war, sondern attraktiv nach außen abstanden.
Ich versuchte ihr zu erläutern, wie viel angenehmer Kleidung „sich trug“ (so passiv ist sie ja manchmal ganz gerne, die Kleidung), sie sich trug, die inside-out getragen wurde, doch rasch ging die Person voller Fragezeichen und vielleicht auch etwas empört weg. Ich schob hinterher. Den Einkaufswagen.
Meine Füße mögen innen angenehme Schuhe, ledergefüttert oder auch ohne Futter. Ich könnte sie mir auch mit Gras oder Heu gefüttert vorstellen, wie die Stiefel der Sami in Lappland. Es gibt Futter für Tiere und Futter für Füße oder Stiefel. Manche Stiefel sind weich und warm gefüttert, manche mit dem allerzartesten Handschuhleder, hergestellt aus der Haut anderer, Haut, die wir gestohlen haben. Synthetisches Futter lehnen meine Füße ab. Ich frage sie nicht, denn schon bevor aufsteigende Nervenbahnen mir dies mitteilen, rufen meine Füße: „Urgs!! Stopp, raus da!“ Sie mögen es auch, Raum in Schuhen zu haben. Gerne wollen sie Bewegungsfreiheit für die Zehen. Diese Bewegungsfreiheit ist ein ganz normales und übliches Wort für die Kleidungs- und Schuhindustrie. Immerhin dort.
Ich trage schon seit zwanzig Jahren Schuhe und Stiefel unbesockt und auch Strümpfe mag ich nicht mehr an meinen Füßen fühlen. Ich schneide von Strümpfen die Fußstücke ab. Dann finde ich sie erträglich. Sie werden zu Stulpen verstümmelt, amputiert oder umgestaltet. Als junger Mensch hatte ich noch Naturtextilsocken in meinem Laden in Lüchow vercheckt und hatte sie sogar als sehr angenehm an meinen Füßen empfunden, so wie Omas gestrickte oder von mir selbstgestrickte, doch Füße verändern vielleicht auch ihr Dasein? Irgendwann schienen meine großen Onkel aufzuatmen, wenn sie sich erfolgreich durch Socken gebohrt hatten. Immer mehr löchrige Strümpfe drängten sich in einem Flickbeutel, der dann zu eng ward. Sie zogen um in einen Wäschesack, der wie ein Kopfkissen wirkte. Die Socken meiner Kinder flickte ich noch, als ich sagte, Sockenstopfen sei nun nicht mehr so meins. Meine durchgelaufenen oder auch durchgegangenen und durchgestandenen Socken sind seitdem, und zwar schon seit 1996, auf standby. Erst 28 Jahre lang leben meine Füße sockenlos. Ich wusste aus Sockenstopferfahrung, dass Löcher immer wieder kamen und realisierte auf einmal ganz deutlich, dass ich mich lieber um andere Dinge auf dieser Welt kümmern wollte, oder eher um Ozonlöcher und die Klimadramatik, als um Löcher in Socken und diese auch nicht verscheuchen musste, weil ich eh nicht mehr auf sie stand. Also ließ ich sie dort wohnen und stand nicht mehr auf Socken.
Auch beim Castor (leider nicht stoppen) saß ich mit nackten Füßen in wundervoll warmen Stiefeln stundenlang auf den Schienen.
Nun trage ich konnnnsequent keine Socken mehr und nein, ich friere nicht. Leider kann ich mich, weil ich keine Socken mehr trage, der Queen nicht mehr nähern, ohne ein britisches Gesetz zu brechen. There is a law against being sockless within 100 yards of the Queen.
Aber die Queen ist schließlich jetzt tot. Ob ich mich wohl ihrer Grabstätte nähern dürfte?
Es gibt unsinnige alte britische Gesetze. Mensch darf sich auch nicht innerhalb einer britischen Kneipe betrinken. There`s an old law against getting drunk in a pub. There`s also a law against singing a lewd ballad… das ist krass so als Touretteler*in.
Ich habe allerdings kein Tourette. Ich konnte dem Sog widerstehen, politische Inhalte in diesem Text zu verarbeiten.
Ich war vollkommen unpolitisch.
Aber manchmal lehne ich mich zu weit aus dem Fenster, während es mir wie Schuppen von den Augen rieselt.

Kopfschmerzen
Ich habe Kopfschmerzen.
Nicht diese ich-hab`-meine-Migräne-Migräne,
aber Kopfweh,
das scheiß-auf-alles-Kopfweh.
Ich schlage alles kaputt
und schreie dazu peace.
Ich schmeiß die blöden Rosen
in die Suppe
und koche sie zu Rosenbrei
mit darmkrebskranken Shrimps
und schleimspurziehenden Nacktschneckenschwänzen.
Dieses Drecksketchup fülle ich in Dein Motorenöl,
damit Deine Karre Blut pumpen kann
und leben
und lachen.
Schade, dass ich nichts getrunken habe;
geht so schlecht bei Kopfschmerzen.
Die Rosen krallen sich mit ihren Dornen
in meiner körpereigenen Teflonschicht fest.
Ich werde undicht
und alle Shrimps verlassen,
mit einzelnen Rosenblütenblättern als Röckchen umwickelt
die undichte Hülle meiner Selbst.
Dicke, sämige Suppe überschwemmt den Fußboden,
auf dem ich vorhin noch
im Liegen tanzte.
Wenn meine Fragen
keine Antworten wert sind,
lass´ ich´s halt
und lasse mich,
der Kälte wegen,
ins heiße Wasser fallen,
zerweiche darin,
löse mich halb auf,
ziehe den Stöpsel aus der Wanne
und lasse mich wegspülen
an allen Überschwemmungen vorbei
durch Auenland und Matsch und Schlicker
hinein in ein leeres Bett
aus Blässhuhndaunengedanken
und Gänseblümcheninnereien.

ich will
beschlossen habe ich es
alles wird,
verdammt nochmal,
so gut,
wie es ist,
wie es scheint,
weil
ich will,
was man nie sagen durfte
als Kind,
immer:
ich möchte gerne…
dürfte ich bitte…
ich wünsche mir so sehr von Dir….
vom Christkind….
bittebitte, darf ich… ?
ich würde und hätte gerne,
aber :
ich will !!
ich will keine Konjunktive mehr !
ich will.
will.
will von wollen.
will Sonne im Äußeren und Inneren,
will die Nachtigall bis zur Wintersonnwende
und danach
will ich ihr immer noch lauschen,
will nackte Violistinnen,
sechseinhalb Zentimeter groß,
auf meinem Kopf tanzend,
will den Duft der violetten Fliederblüten beim Aufwachen
neben meinem Bett
im Spätherbst
und die geheimnisvollen Nebel,
ja, die will ich schwülwarm
mit schwitzenden Hirschkühen dazwischen.
niemand soll mehr nach Deo riechen.
mein Auto soll endlich wiehern
und steigen soll es, wenn ich Gas gebe.
viel mehr sex appeal auf dem Dorfplatz will ich
und in der Politik,
sex appeal.
Farbtage, in denen alle Brötchen und Hörnchen
lila, rosa und orange sind
und von echten Bäckern
mit Händen,
die noch Teig kneten wollen.
Ich will und Hände wollen.
lilaorangerosa Brötchen wie die Kniestrümpfe der Fußballspieler,
aller Fußballspieler dieser bunten Welt,
geringelt und getupft,
alle in gleichen Kniestrümpfen und gleichen Trikots.
zerfließen will ich im Sommerlicht,
damit Sonne mich anmacht,
wie angemachter Salat.
in meinen langen, sich verschlingenden Schlangendärmen
soll gleißendes Licht fließen
und vielleicht fange ich dann an
zu essen,
eine Dampfnudel,
ganz ohne irgendetwas,
aber mit karamelisierter Kruste darunter
und betrinke mich drinnen
in mir drin
am Licht,
torkele in die Mitte einer Blaubeerpizza
und schlafe mich dort aus,
ganz aus,
endlich mal aus,
bin nach dem Erwachen so richtig wach,
ziehe mir alles verkehrtherum an
und weil´s nach nix Gutem aussieht,
ziehe ich´s wieder aus,
besuche Mary
und streichle ihr kleines Lamm.
ganz niveauvoll
hebt das seinen life style.
mein Unterdrüberrock
wirft seine Blütenblätter ab
und seine Saat fällt auf Sahnepudding.
sie explodiert als glitzerndes,
ungewickeltes
Gedankenbaby.

Tanna Künemund
geb. 6.6.69
Als sie zehn Jahre alt war, reichte Tannas Lehrerin heimlich ihren Text über den Zerfall von Körpern und Tod durch Krebs ein. Dass dieses Gedicht abgedruckt wurde, rief das Entsetzen ihrer Mutter hervor. Nie wieder sollte sie „so etwas tun!“. Schon sechs Jahre zuvor war ihre Mutter von der vierjährigen Tanna peinlich durch deren kindlichen Auftritt eines Gedichtes sowie eines Liedchens blamiert worden
All dies hätte sie nie wieder zu tun.
Danach war Schluß mit der Kunst.
Bemüht hat sie sich nie. Warum hätte sie dies tun sollen?
Sie hat einiges studiert und eine ordentliche Ausbildung mit Staatsexamen.
Lieber schreibt sie und macht Kunst.
In freien Blättern und im … internet hat sie hie und da ein Gedicht abdrucken lassen oder freche Erzählungen.
Der Ort der Augen hat eine ihrer Geschichten im Dr. Ziethen Verlag verlegt.
(Ort der Augen ODA ist die offizielle Literaturzeitschrift des Landes Sachsen-Anhalts des Friedrich-Bödeker-Kreises).
Auch im Konkursbuchverlag wurde eine ihrer Kurzgeschichte (Der Plüschfrosch) mit selbstinszenierten Photos von ihr verlegt.
Sie hat im Theater der Stadt Stendal beim Poetry Slam Texte gelesen
und ebenso beim Wendland Poetry SlamJam,
beim Poetry Slam in Uelzen,
und im Raum2 in Neu Tramm,
beim Kampf der Künste in Lüneburg
und beim KdK in Hamburg,
auf dem roten Stuhl der Lesungen in Uelzen,
im Schlachthof in Bremen, der Oberlahn,
bei einigen Festivals wie der Fusion und kleineren Festivals wie dem Simsalaboom war sie auf Slam Bühnen,
zur kulturellen Landpartie im Wendland war sie schon 15 Jahre lang literarisch aktiv.
Sie veranstaltet Lesungen und oder Lesungs Jams:
im Kulturverein Raum2, Neu Tramm,
in der Sofaauffangstation Kriwitz,
im Kuhdamm Kaulitz,
sie hat einen Poetry Slam für Wagen und Winnen im Bahnhof Salzwedel
veranstaltet und
einen Friedensslam 2018 im Rathaussaal der Stadt Uelzen,
mehrere Slams und Lesungen am Zwischenlager Gorleben,
„ Slams am Peckfitzsee zu 2 Solarfestivals
und Lesungen in ihrem Arbeitsumfeld.
Poetry Slams, Poetry Jams und Lesungen organisiert sie seit 2010.
Sie stellt auch ihre queerfeministischen Skulpturen
und „Zahn der Zeit Installationen“, „weiche Betonteppiche“ und „Flickwerk“ aus.
Oft thematisiert sie das Thema Tod
und die immense Freude, am Leben zu sein..
Sie arbeitet auch als Ergotherapeutin, wo sie manchmal Menschen zur Kunst und Schreibkunst inspirieren konnte, auch im Ausland.
Sie macht vielleicht etwas zu viel,
weshalb manches einfach so mit ihr mitläuft oder neben ihr her.
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