Michaela Grüdl-Keil für #kkl42 „Selbstachtung“
Was lange währt…
„Die junge Frau könnte seine Tochter sein“, flüsterte die Frau am Nebentisch.
Karin wusste, dass er keine Kinder hatte. Aber sie war überrascht, Rolf ausgerechnet im Theater zu sehen. Mit ihr ging er nie ins Theater.
„Wir sind ein Paar, Karin. Ich muss mich nicht mehr verstellen, um dich zu beeindrucken. Geh allein hin.“ Sie hatte gelacht und nicht mehr gefragt. Doch die Zurückweisung schmerzte.
Karin wusste, sie war nicht die einzige Frau in Rolfs Leben. Er forderte eine ‚offene‘ Partnerschaft und sie hatte es akzeptiert, weil sie ihn nicht verlieren wollte. Rolf hielt nichts von den Verpflichtungen einer Ehe und wollte keine Kinder. „Reiche ich dir nicht?“, hatte er Karin vorwurfsvoll gefragt und damit war das Thema erledigt gewesen.
Das war lange her. Jetzt war sie schon fast vierzig, Rolf sechs Jahre älter und im folgenden Monat würden sie ihren zwanzigsten Jahrestag feiern. Er hatte sie mit einer Mittelmeer-Kreuzfahrt zu dem Jubiläum überrascht.
„Eine kleine Entschädigung dafür, dass ich am Wochenende wieder beruflich unterwegs bin. Aber nur für drei Tage, Karin-Schatz“, hatte er zu ihr gesagt, „am Sonntagabend bin ich wieder bei dir.“
Sie kannte diese beruflichen Reisen, und tat, als ob sie ihm glaubte. Ihn nun hier im Foyer zu sehen, war eine Ironie des Schicksals.
Die beiden sahen tatsächlich aus wie Vater und Tochter, verhielten sich aber nicht so. Rolf trank Sekt, seine Begleiterin Mineralwasser. Sie schmiegte sich an Rolf und hatte seine Hand auf ihren Bauch gelegt. Die Frau strahlte vor Glück.
Nein! Das konnte nicht wahr sein! Karin wurde schwindelig. Das Glas in ihrer Hand zitterte und sie spürte die Übelkeit in sich aufsteigen, die sich seit einigen Tagen in ihr Leben geschlichen hatte. Ein Gedanke blitzte auf und sie keuchte. War das möglich?
„Ist Ihnen nicht gut?“, fragte die Frau vom Nachbartisch. „Sie sind ganz bleich.“
Karin schüttelte den Kopf und lief nach draußen.
Ein Taxi brachte sie nach Hause, wo sie sich mehrmals übergab. Die Nacht war unruhig, Karin schlief nur wenig. Am nächsten Morgen waren die Beschwerden verschwunden. Trotzdem ging sie zur Apotheke und der Test brachte die Gewissheit.
Rolf kam früher als angekündigt zurück. Karin stand im Schlafzimmer und wappnete sich für das Gespräch, das jetzt folgen würde. Sie hatte ihn an diese junge Frau verloren.
Zu ihrem Erstaunen überreichte er ihr einen Strauß Rosen.
„Du hast mir Blumen gekauft? Schnittblumen verwelken doch so schnell, sagst du immer?“
Rolf sah sie prüfend an. „Wir müssen reden.“ Er seufzte.
Sie hatte es befürchtet und nickte.
„Karin“, begann er verlegen, „ich möchte, dass du …“
„Sie ist schwanger, diese andere Frau.“ Es war eine Feststellung, keine Frage.
„Woher?“
„Ich war im Theater.“
Er schwieg und warf ihr einen entschuldigen Blick zu. Karin schwieg zurück. Sie beobachtete den Sekundenzeiger der Uhr. Eine Minute. Zwei.
„Ja, Anja ist schwanger. Sie hielt es für romantisch, mir bei ‚Romeo und Julia‘ von der Schwangerschaft zu erzählen. Du weißt ja, wie romantisch ich bin…“
Rolf lachte unsicher.
Karins Gesicht zeigte keinerlei Reaktion. „Und weiter?“
„Sie will mich heiraten und eine Familie gründen. Was junge Frauen sich eben vorstellen. Du warst auch so.“
War sie. Aber musste das so abschätzig klingen? „Was hast du ihr gesagt?“, fragte sie.
„Das ich keine Kinder haben will, zu meinem Fehler stehe und entweder den Eingriff oder notfalls Alimente bezahle. Dass ich kein Vater sein will und mit Anja und diesem Kind, sofern sie es behält, nicht Familie spielen werde.“
Karin starrte ihn an. Das konnte doch nicht wahr sein. Er redete über sein Kind, als sei es ein Fehlkauf mit Widerrufsrecht! Sie dachte an das andere Kind, ihr Kind, von dem er noch nichts wusste.
Rolf ging vor ihr auf die Knie.
„Karin-Schatz! Du bist die Frau, die ich behalten will. Wir zwei haben es so schön zusammen. Mir ist klargeworden, dass du die einzige Frau bist, die mich nimmt, wie ich bin, ohne Forderungen zu stellen. Die einzige Frau, die mich wirklich versteht.“
„Ich verstehe.“
Sie konnte seine Erleichterung förmlich mit Händen greifen.
„Karin, ich brauche dich. Du tust alles für mich. Heirate mich!“
Immer noch sprachlos betrachtete Karin erst auf die Rosen, dann den Ring, den er ihr entgegenstreckte. Wie viele Jahre hatte sie auf diesen Antrag gewartet, gehofft. Endlich war sie am Ziel ihrer Träume angelangt. Karin fühlte sich… – sie fühlte nichts!
„Karin!“
Er griff nach ihrer Hand. Seine feuchte Hand umschloss unangenehm die ihre. Sie ließ die Rosen fallen und betrachtete die Schweißperlen auf seiner Stirn. Sah, wie sie langsam über sein Gesicht rannen. Fast wie Tränen. Wie schütter sein Haar geworden war. So von oben herab hatte sie ihn noch nie betrachtet. Sonst war es immer umgekehrt.
„Sag doch endlich, willst du mich heiraten? Wir waren doch immer ein gutes Team.“
„Liebst du mich eigentlich?“.
„Sicher doch, auch.“
Karin sah sich im Schlafzimmer um. Die Tapete, die sie allein ausgesucht hatte, genau wie die Möbel und das Bett, in dem sie sich in den Schlaf geheult hatte, während Rolf mit einer anderen Frau ein Bett geteilt hatte. Sie dachte an die Nächte neben ihm und doch allein. Dachte an seine Hände, die ihren Körper routiniert berührten, wie er sich danach umdrehte und sie allein in der Zweisamkeit zurückließ.
„Karin?“ Rolf kniete noch immer.
Sie sah auf den Mann, mit dem sie die letzten zwanzig Jahre gelebt hatte. Es konnte nur eine richtige Antwort geben. Karin lächelte.
„Nein!“
Michaela Grüdl-Keil, Jahrgang 1972, lebt im Westerwald.
Sie ist Lehrerin, Schreibtrainerin mit einer Weiterbildung in Integrativer Poesie- und Bibliotherapie, Autorin von Kurzgeschichten und Mitglied der Literaturwerkstatt Altenkirchen.
Schreiben bietet ihr Entlastung („Schreiben statt Schreien“) und Herausforderung zugleich. Zurzeit arbeitet sie an einem Roman, der keine Kurzgeschichte bleiben wollte.
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