Birgit Ramon für #kkl45 „Mutter, Vater. Eltern“
Sonntagsausflug | 1966
Sie stellte den Picknickkorb auf den Boden vor den Beifahrersitz. Während der Fahrt würde sie ihn zwischen ihre Füße klemmen und uns eine Caprisonne nach hinten reichen.
Ihr Gesicht war angespannt wie so häufig. Sie hatte noch schnell die nassen Geschirrhandtücher über die Gartenstühle verteilt und ihrer Schwiegermutter „Tschüß, Hanna!“ zugerufen. „Tschüß, Emmi!“ erwiderte diese leise.
Micha und ich saßen abfahrbereit auf der Rückbank und warteten. Heute war Sonntag und Vati hatte frei. Der Tag musste gefeiert werden. Er arbeitete im Schichtdienst, auch an den Wochenenden. Unserer Mutter gefiel das nicht und sie war auch deshalb oft genervt. Es kam also nicht häufig vor, dass wir alle vier zusammen in unserem neuen Käfer fuhren. Wobei, neu war er gar nicht. Bei der ersten gemeinsamen Fahrt hatte es so stark geregnet, dass das Wasser unten ins Auto spritzte und Vati uns für unsere Füße Pflastersteine in den Fußraum gelegt hatte. Vati zog das Garagentor herunter. Es quietschte.
„Bis heute Abend, Mutter!“
Er winkte Omi zu, die an der Gartenpforte stand.
„Wann kommt ihr zurück, Dieter?“
Ich glaube, sie wäre gern mitgefahren.
Er stieg ins Auto und es konnte losgehen. Ich atmete tief ein, fixierte meine Mutter und hielt einen Moment die Luft an. Ihre Lippen waren noch immer zusammengepresst. Alles war doch in Ordnung. Würde sie es bitte jetzt gleich endlich tun?
Micha nervte. „Lass uns spielen!“
„Jetzt nicht.“
Keinen Blick wandte ich von Mutti. Noch war sie nicht bereit. Noch lag ihre Stirn in Falten.
Sie schaute Vati auffordernd an: „Nun fahr los.“
Noch war sie damit beschäftigt, ihre Sachen zu arrangieren, ihr Kleid glatt zu streichen, ihre Strickjacke zusammenzufalten und über ihre Knie zu legen. Sie nahm ihre Handtasche auf den Schoß, öffnete sie, kramte darin mit spitzen Fingern, als wenn sie nach etwas suchte, und schloss sie wieder. Noch immer nicht. Prüfender Blick nach hinten, Micha und ich in Sonntagskleidung. Vati ließ den Motor an, das Geräusch des Käfers unvergessen. Rückwärtsgang, Schulterblick und raus auf die Straße. Wann würde es denn nun sein? Wann würde sie es endlich tun, das, was für die ganze Familie, oder vielleicht auch nur für mich, die Erlösung war? Wann würde sie noch einmal in ihre Handtasche greifen, die gelbweiße Schachtel hervorholen, eine Zigarette herausnehmen, sie sich zwischen ihre geschürzten Lippen stecken, ein Streichholz anzünden, das brennende Streichholz mit leicht geneigtem Kopf an die Zigarette halten und diese mit einem ersten tiefen Zug zum Glimmen bringen? Sie würde die brennende Zigarette ihrem Mann hinüberreichen, noch einmal in die Schachtel greifen, neue Zigarette, zur Seite gelegter Kopf, neues Streichholz, ratsch, tiefer Zug und dann, – ich sehe ihr Gesicht in Gedanken vor mir, – würde sich ihre Stirn glätten und ihr Mund würde endlich ein leises Lächeln zeigen.
Später würde sie mit ihrer linken Hand sanft an den Nacken meines Vaters fassen und einen belanglosen Satz sagen.
Der Schwefelgeruch des Streichholzes würde auch bei mir einen tiefen, schnuppernden Atemzug hervorrufen und ich würde gelassen dem Drängen meines Bruders, mit ihm endlich sein geliebtes Autoquartett zu spielen, nachgeben.

Birgit Ramon, geb. 1956 in Bremen, wohnt seit 20 Jahren in Oberbayern. Selbständige Beraterin; Fachpublikationen in den Bereichen Weiterbildung, Coaching und Personalentwicklung. Verwaiste Mutter; erfolgreiche Erfinderin von Tiergeschichten für ihre Großnichten und -neffen.
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