Oxytocin

Tanna Künemund für #kkl45 „Mutter, Vater, Eltern“




Oxytocin


Ich hätte ja nicht kommen wollen, hatte mir meine Mutter

>oft genug empört über mich

>oft genug gesagt.

Man hätte mich holen müssen, weil ich so ein Trotzkopf sei.

Das hatten sie dann am 6.6. getan.

Sonst wäre ich noch im Wonnemonat Mai geboren worden.

„Weshalb ist der Juni keine Wonne?“, fragte ich.

„Er ist doch viel vorsommerlicher und wärmer und sein Name ist schön.“

Der Name des Mai ist auch schön, dachte ich noch.

Eigentlich gibt es viele schöne Namèn: April, Mai, Juni, Juli, August


„Du folgst halt einfach ned!“, sagte meine Mama als Antwort darauf. „Ned mal s Geborenwerden ging, ohne dass man Dich extra holen muss. Du brauchst halt immer eine Extrawurscht.“

„Das ist übrigens jetzt auch schon länger her.“, sagte ich. „Du kannst also gerne eine Vergangenheitsform nutzen, wenn Du´ s erzählst.“

Oft hatte ich darüber nachgedacht,

dass ich schon als Ungeborenes

eine Chemieladung abbekommen hatte,

damit ich faules Ding mich endlich bewegte,

bis ich verstand,

dass als Wehenmittel,

seit den Neunzehnhundertsechzigern

Oxytocin

genutzt wurde,

ein Mittel,

das sich für meine Mutter emotional wahrscheinlich neu und ungewohnt angefühlt hatte.


Neues, Niegelnagelneues und Brandneues mochte sie eigentlich sehr.

Mich nicht so…

Ich war da ja auch schon neun Monate alt, als ich noch nicht neun Monate alt war, also null Tage war ich alt, aber eben doch schon bekannt und eventuell nicht neu genug gewesen

und dann noch unpünktlich

und weder blond

noch blauäugig,

auch nicht lockigen Haares.

Ich hatte dunkelbraunes Haar und braune Augen.

Das war nicht schön.


Bei der eigenen Geburt unpünktlich anzukommen

oder sogar nur,

weil ich geholt worden war,

das roch fast danach,

als hätte es mir

bei ihr gefallen,

in ihr,

in der Mutter in der Mutter,

wie in einer Matjroschka,

in ihrer Gebärmutter

vielleicht geborgen

und gefühlt dort

nur mit mir zusammen,

so dass ich hatte in ihr bleiben wollen,

doch schon vor meiner Geburt

hatte sie mich loswerden wollen.


Ich weiß nicht mehr,

ob ich sie hatte treffen wollen

und näher kennenlernen.

Ab dann war aber alles

eher weiter weg als nah.

Durch das Oxytocin hätte unsere Bindung klappen können.

Hätte hätte Fahrradkette.

Die Milchproduktion wird durch Oxytocin angeregt,

das heißt, sie hätte mich

doppelt gut vorbereitet

stillen können,

wenigsten einmal

oder zwölf mal

oder auch öfter,

doch das wäre für ihre schönen Brüste ausleiernd gewesen,

hatte das Krankenhauspersonal ihr gesagt.

Hätte hätte Leierkasten.

Dafür hätte sie mich auch in den Arm genommen.

Durch jede Art angenehmen Hautkontaktes

würde dann wieder Oxytocin ausgeschüttet.

Wie schön.

Sie hätte mich nackt in den Arm nehmen können.

Hätte hätte Fahrradkette.

Wir hätten beide nackt sein können

oder ich wäre nackt gewesen

oder nur gewindelt

und ohne Leibchen

im warmen Juni

unter ihrem Hemd.

So hätten wir zusammenfinden können.

Hätte hätte Fahrradkette.


Vielleicht waren wir auch schon in ihrem

oder meinem

Mutterleib

nicht

zusammen gewesen.

Durch das Oxytocin hätten wir zusammenfinden können.

Durch das durch uns Nahsein

und das dadurch

immer wieder erneut ausgeschüttete Oxytocin

wären wir ein wundervolles MutterTochterPaar geworden.

Sie hätte mich lieben können.

Hätte sie.

Hätte hätte Fahrradkette.


Der Oxytocinspiegel ist bei der Interaktion mit Neugeborenen

noninvasiv

im mütterlichen Speichel nachgewiesen worden.

Sogar noninvasiv geschah dies.

Bei ihr

…. nicht.

Mütter sind nicht gleich Mütter.

Was vielleicht auch daran liegt,

dass Väter nicht gleich Väter sind.

Aber ich war ein Kind

und ich war niedlich

und „liebenswert“,

ich schwör!

Mit ihr war etwas nicht in Ordnung.

Mit mir schon.


Ich leide nicht an Endorphin- und Oxytocinüberschwemmungen.

Doch ich habe damit zu tun

und liebe es.

Ich bin sehr glücklich.

Seltsam oft.

Wegen des Wehenmittels?




Tanna Künemund

geb. 6.6.69

Als sie zehn Jahre alt war, reichte Tannas Lehrerin heimlich ihren Text über den Zerfall von Körpern und Tod durch Krebs ein. Dass dieses Gedicht abgedruckt wurde, rief das Entsetzen ihrer Mutter hervor. Nie wieder sollte sie „so etwas tun!“. Schon sechs Jahre zuvor war ihre Mutter von der vierjährigen Tanna peinlich durch deren kindlichen Auftritt eines Gedichtes sowie eines Liedchens blamiert worden

All dies hätte sie nie wieder zu tun. 

Danach war Schluß mit der Kunst.

Bemüht hat sie sich nie. Warum hätte sie dies tun sollen?

Sie hat einiges studiert und eine ordentliche Ausbildung mit Staatsexamen.

Lieber schreibt sie und macht Kunst.

In freien Blättern und im … internet hat sie hie und da ein Gedicht abdrucken lassen oder freche Erzählungen.

Der Ort der Augen hat eine ihrer Geschichten im Dr. Ziethen Verlag verlegt.

(Ort der Augen ODA ist die offizielle Literaturzeitschrift des Landes Sachsen-Anhalts des Friedrich-Bödeker-Kreises).

Auch im Konkursbuchverlag wurde eine ihrer Kurzgeschichte (Der Plüschfrosch) mit selbstinszenierten Photos von ihr verlegt.

Sie hat im Theater der Stadt Stendal beim Poetry Slam Texte gelesen

und ebenso beim Wendland Poetry SlamJam,

beim Poetry Slam in Uelzen,

und im Raum2 in Neu Tramm,

beim Kampf der Künste in Lüneburg

und beim KdK in Hamburg,

auf dem roten Stuhl der Lesungen in Uelzen,

im Schlachthof in Bremen, der Oberlahn,

bei einigen Festivals wie der Fusion und kleineren Festivals wie dem Simsalaboom war sie auf Slam Bühnen,

zur kulturellen Landpartie im Wendland war sie schon 15 Jahre lang literarisch aktiv.

Sie veranstaltet Lesungen und oder Lesungs Jams:

im Kulturverein Raum2, Neu Tramm,

in der Sofaauffangstation Kriwitz,

im Kuhdamm Kaulitz,

sie hat einen Poetry Slam für Wagen und Winnen im Bahnhof Salzwedel

veranstaltet und

einen Friedensslam 2018 im Rathaussaal der Stadt Uelzen, 

mehrere Slams und Lesungen am Zwischenlager Gorleben,

„ Slams am Peckfitzsee zu 2 Solarfestivals

und Lesungen in ihrem Arbeitsumfeld.

Poetry Slams, Poetry Jams und Lesungen organisiert sie seit 2010.

Sie stellt auch ihre queerfeministischen Skulpturen

und „Zahn der Zeit Installationen“, „weiche Betonteppiche“ und „Flickwerk“ aus.

Oft thematisiert sie das Thema Tod

und die immense Freude, am Leben zu sein..

Sie arbeitet auch als Ergotherapeutin, wo sie manchmal Menschen zur Kunst und Schreibkunst inspirieren konnte, auch im Ausland.

Sie macht vielleicht etwas zu viel,

weshalb manches einfach so mit ihr mitläuft oder neben ihr her.






Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

Hinterlasse einen Kommentar