Leon Richter für #kkl45 „Mutter, Vater, Eltern“
Sommergewitter
„Mamaaaaaa, es ist so heiß!“, nölte das Mädchen vom Fußboden aus, sämtliche Gliedmaßen von sich gestreckt. „Und wenn du es mir noch fünfmal sagst, ich werde sicher nicht spontan zu einer Schneehexe.“ „Warum denn nicht, fehlt ja nur noch der Schnee.“ Zwischen den dunkelbraunen, wirren Haarsträhnen blitzten weiße Zähne als Zeichen eines Grinsens auf. „Pass auf, sonst verwandele ich dich in eine Kröte!“, kam es von ihrer Mutter zurück, die ebenfalls grinste, sich etwas Schweiß von der Stirn wischte und einen Schluck ihres eisgekühlten Wassers trank. Sämtliche Eiswürfel im Glas waren bereits unter den wachsamen Augen der kleinen Hannah geschmolzen und hatten die Außenseite des Glases mit Kondensation bedeckt. „Ich hab nichts gegen Kröten… Die schwitzen aber auch bei so nem Wetter.“
Ihr Blick fiel auf die Terrassentür, deren Vorhänge beinahe vollkommen zugezogen waren. „Ich könnte natürlich losmarschieren und Eis einkaufen, wenn ich hier fertig bin…“ „Aber?“ Hannahs Blick richtete sich skeptisch auf ihre Mutter, sie kannte diesen Ton. „Aber dann könntest du mitkommen und mir bei den Einkäufen helfen.“ Es folgte ein geräuschvolles Stöhnen des Mädchens, das sich auf den Bauch rollte und anschließend vor sich hin grummelte. „Also nein?“ „Neeeeeeeeeein!“ Auf den Lippen ihrer Mutter zeichnete sich ein wissendes Grinsen ab. Sie hatte es sich bereits gedacht, schließlich kannte sie ihre Tochter. Für einige Momente legte sich ein Schweigen über den Raum. Einzig die Geräusche von der Arbeit ihrer Mutter, das Schleifen von Metall auf Stein, war zu hören.
Tock. „Hast du das gehört?“ Hannah richtete sich beinahe kerzengerade auf.“ Tock, tock, tock. „Mhm…“ Auch ihre Mutter blickte von ihrer Arbeit hoch und ließ ihren Blick zur Terrassentür wandern, wo sich das Geräusch der kleinen Wassertropfen mehrte, welche auf die Scheibe prasselten. Sofort sprang das Mädchen auf, eilte zum Vorhang und riss ihn übermotiviert zur Seite, um das Schauspiel anzusehen. „JA! Endlich!“ Noch immer voller Elan öffnete sie die Tür, durch deren Glasscheibe mittlerweile kaum noch Sonne fiel, die durch dunkle Wolken vom Himmel verdrängt wurde. Sofort peitschten ihr die ersten Tropfen in ihr Gesicht und verteilten sich auf den Boden.
Unter großem Jubel eilte sie raus in den Garten und blieb dort auf dem nassen Gras stehen, breitete die Arme aus und genoss die Abkühlung durch Wind und Regen. Ihre Mutter hatte ihren Arbeitsplatz mittlerweile verlassen und stand im Türrahmen, ein Lächeln auf den Lippen, das eine Mischung aus Erleichterung und Genuss ausdrückte.
„Komm schon Mama!“ Mit nackten und mittlerweile klitschnassen Füßen rannte Hannah zurück zur Terrasse, ergriff dort den Arm ihrer Mutter mit beiden Händen und zog sie in den Garten. Binnen weniger Sekunden war auch sie völlig durchnässt und wurde ordentlich durchgepustet. Wie ein wildgewordener Wichtel, eine manische Hexe oder auch einfach wie ein fröhliches Kind hopste und sprang sie durch den Garten, ohne jegliche Sorgen und bis auf die Knochen durchnässt.
Kurz stand ihre Mutter wie nicht abgeholt im Regen, dann begann sie zu lachen. Sie zog ihre Hausschuhe aus, warf sie zurück durch die Tür in das Wohnzimmer und schloss sich ihrer Tochter an. Wie Rumpelstilzchen um sein Feuer tanzt, so tanzten die beiden über das nasse Gras, teils jeder für sich, teils gemeinsam. Erst nach einigen Minuten des Tanzens, des schallenden Gelächters und der Ausgelassenheit, als die ersten Wolken wieder langsam zu brechen begannen und die ersten zögerlichen Sonnenstrahlen Hannahs Gesicht berührten, kamen sie zum Stillstand.
Auch ihre Mutter, welche sich mittlerweile etwas erschöpft auf der Terrasse niedergelassen hatte, wurde von den ersten Sonnenstrahlen geblendet. Sie streckte die Hand in Richtung ihrer Tochter aus. „Wie wäre es, wenn wir uns das Eis von Papa stibitzen? Auf meine Verantwortung.“ Sie grinste breit ob der Idee, das heilige Eisfach von Hannahs Vater zu plündern, der sich wahrscheinlich nach einem Arbeitstag bei dieser Hitze schon danach sehnte. „Aber nur ein paar Bällchen, sonst bekommen wir von ihm Eisverbot.“ Es folgte ein Nicken ihrer Mutter, die ihr unumgänglich zustimmte. „Wie wäre es dann mit einem Kakao mit Vanilleeis?“ „Au, ja,“ gab sie begeistert zurück,ergriff die Hand ihrer Mutter und stapfte… oder vielmehr tropfte zusammen mit ihr zurück durch die Tür, um sich dieser kleinen Köstlichkeit hinzugeben.
Als ihre Mutter, vorwärts gezerrt von ihrer energischen Tochter, noch einen letzten Blick nach draußen warf, erkannte sie, dass die Wolken sich wieder bereits lichteten. Sieben Minuten. Der ganze Spaß hatte sieben Minuten angehalten. Mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen ging sie in Richtung Küche. Was ein paar Regentropfen und ein wenig Zeit nicht alles ausmachen konnten.
Leon Richter, geboren 1997 in Siegen, gelernter Drucker und Student der Archäologie hat seine Liebe für die wunderbar faszinierende Welt der geschriebenen Worte bereits in früher Kindheit durch seine ebenfalls literarische begeisterte Mutter kennengelernt.
Während er an verschiedenen größeren Romanprojekten arbeitet veröffentlicht er beinahe jährlich Kurzgeschichten zu unterschiedlichsten Themen in den Anthologien von Word&Shield e.V.
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