Lara Maria Krejci für #kkl45 „Mutter, Vater, Eltern“
Über Mütter und Töchter
Die Mutter:
Was wir über die Mutter wissen, ist, dass sie ebenso wie die Mutter einer Tochter, die Tochter einer Mutter ist. Eine Fehlannahme wäre es an dieser Stelle zu schreiben: Sie ist die Tochter einer Frau, weil sie früh lernen musste, dass eine Mutter und eine Frau sich nicht zu einem Begriff zusammenschustern lassen, und genau so wenig als eigenständige aber untrennbare Geschlechtsbezeichnungen dienen können.
Sie ist eine Mutter und sie ist eine Frau.
„Als du dann da warst, hat es keine Zeit mehr für derartige Rebellion gegeben. Dann arbeitest du eben mit den Dingen, die dir gegeben sind und das ist eine Liebe, da ist kein Platz mehr für diesen Trotz“, sagt sie zur Tochter.
Bevor die Mutter eine Mutter war, hat sie sich jedes Mal, wenn sie den Zug von Salzburg nach Innsbruck (und von dort den Anschlusszug nach Bozen) nahm, eine Ausgabe der Spiegel-Zeitung gekauft. „Bis zu deiner Geburt habe ich mich genau wie du sehr für Politik interessiert. In gewisser Hinsicht sind wir uns sehr ähnlich“, hatte sie ihrer Tochter einmal augenzwinkernd über einer Pizza Norma erzählt.
„Danach hattest du vermutlich genug anderes zu tun?“
„Vor allem wichtigeres.“
Das sind alles Dinge, die die Tochter nicht versteht. Die Tochter hat die Mutter nicht gekannt, bevor sie eine Mutter gewesen ist. Was sie auch nicht versteht, ist dass sie sich manchmal mit ihrer Mutter aber manchmal auch mit der Frau, die ihre Mutter ist, streitet. Eine Tochter kennt den Unterschied nicht. Die Tochter möchte auch erst eine Frau werden.
Die Mutter bezeichnet sich selbst als glücklichen Menschen. Da sind viele Leidenschaften, die großen und die kleinen. Die Tochter denkt sich manchmal, dass ein individuelles Glück schwierig wird, wenn man Kinder bekommt. Das sich alles so vereint, das Mutter-sein, das Frau-sein und das Mensch-sein.
Als Mädchen hat die Mutter sich eine CD von Modern Talking gekauft, auch wenn die Großmutter solche Musik als Unfug bezeichnet. Das sind kleine, aber wichtige Akte der Rebellion, denkt sie sich.
Die Tochter:
Die Tochter hat keine Studentenwohnung in Wien und studiert nicht Kommunikationswissenschaften oder Literatur oder Philologie oder eben alles, was in Wien studiert wird. Die Tochter schaut viel in den Spiegel und verdreht die Augen, wenn die Frau, die ihre Mutter ist, eine Bemerkung darüber macht. Deshalb denkt sie zurzeit nicht gerne an das Glück.
Eine Tochter sein ist auch schwierig, das denkt sie sich gerne. Vielleicht denkt sie das gerne, weil sie weiß, dass Mutter sein schwierig ist. Vielleicht wird ihr an dieser Stelle auch Unrecht getan.
Alle sagen der Tochter immer, wie viel Glück sie hat. Das löst in der Tochter allerdings eher Gefühle der Unzulänglichkeit als die der Dankbarkeit aus.
So etwas gibt man öffentlich nicht zu.
Wenn es ihr Spaß macht, zählt sie die Bücher in ihrem Regal und rechnet sich aus, wieviel sie insgesamt gekostet haben müssen. Wenn die Summe sehr hoch ist, erzählt sie der Frau, ihrer Mutter vielleicht davon. Vielleicht.
Wenn die Mutter und die Tochter einen Streit haben, dann geht das Mädchen, das die Tochter ist in ihr Zimmer und denkt daran, so kalt und unnahbar wie ein Stein zu sein. Das kälteste und unnahbarste zu sein, das man in der Wohnung in der sie wohnt, finden kann.
Das Mädchen, das eine Tochter ist, isst manchmal gekochte Karotten und manchmal nicht.
Die Leute verstehen oft so wenig um die Tochter, wie die Tochter um ihr Glück.
Das ist alles ein bisschen zu kompliziert, deswegen spricht die Tochter lieber von Zeitungsartikeln und Trennungen im Freundeskreis, wenn ihre Mutter halb zuhört und halb nicht, als vom Glück.
Das Glück:
Das Glück wird mit den Einkäufen vom Dienstagvormittag in die Wohnung getragen. Dann rollt es irgendwo zwischen dem Chili-Bohnen Aufstrich und dem Eingekühlten Käsekuchen herum und die Tochter sagt beiläufig: „Oh, schau mal!“
Oder das Glück vermischt sich mit dem Staub unter der Wohnzimmercouch und sitzt selbstgerecht in Augen und Nasen. Das Glück arbeitet nicht gerne nach Stundenplan.
Das Glück wird oft skeptisch von der Tochter beäugt: Sie vergleicht es mit dem Glück, dass sie sich aus Kindheitstagen hervorträumt oder aus alten Schuhkartons kramt. Staubiges, getreues Glück.
„Das habe ich mir alles nicht so vorgestellt“, grunzt sie in den Schuhkarton. Dann sagt die Mutter: „Ich kann dein Gesicht vor lauter Staub nicht sehen.“
Die glücklichen Momente werden selten fotografiert. Auf den meisten Fotos sind die Gesichter der glücklichen Familie oft rigide und wirken unbequem, die Umrisse hart und unbeweglich, man könnte meinen die scharfen Kanten eines zahnigen Lächelns mit der Hand…
Schneid dir bloß nicht in den Finger!
Das Glück hat andere Pläne. In den schwammigen Erinnerungen an Südtiroler Herbstspaziergänge ist alles in warmes Licht getaucht. Wer es wagt, in Andenken zu schwelgen, denkt an Kakao und Gutenachtgeschichten, in einem Zimmer mit Wänden wie pinke Limonade. Denkt an die große Liebe und vergisst die Bürokratie der letzten Jahre. Das hat alles mit Veränderung zu tun.
(Hier verliert der Autor/die Autorin das Publikum-macht nichts! Ein Erinnernder macht sich keine Sorgen um Kitsch)
Wenn einer dem Glück auf den Fersen ist, schaut ein anderer gerne weg. Darum geht es nicht, Dieser Text ist ein Versuch, das zu erklären. In diesem Text geht es um das Finden und nicht das Suchen.
Die Mutter und die Tochter, beide erinnern sie sich an das gefundene Glück. Sie trinken Leitungswasser, unwissend, denn das Glück spinnt um ihre Wohnung in die Gassen, wickelt sich dicht um eine Stadt, dichter, und franst weiter und weiter und weiter….
Sie wünschen sich eine gute Nacht.
Lara Maria Krejci wurde am 23.04.2006 in Salzburg geboren.
Sie besuchte das musische Gymnasium Salzburg für acht Jahre und maturierte im Juni 2024.
Lara Maria Krejci lebt mit ihren zwei jüngeren Geschwistern und Eltern in Salzburg.
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