Familie ist eigentlich was?

Serafina Campestrini für #kkl45 „Mutter, Vater, eltern“




Familie ist eigentlich was?

ELFTE THERAPIESTUNDE, PSYCHIATRIE  I, ABTEILUNG 11

Michael

Eine weitere Sitzung, ein weiterer Plan der Kunst des “In die Seele schauen” muss erprobt werden, dieses Mal soll ich an einer Familienaufstellung teilnehmen, ein Versuch offenbar Unbewusstes zu ergründen, um vielleicht dann Problemen – schon wieder Probleme deren ich mir so gar nicht bewusst bin – auf den Grund zu gehen.

Dabei war es uns beiden doch tatsächlich schon fast gelungen, eine andere Form der Annäherung zu finden – den Dialog. Auf den Grund zu gehen, auf meinen Grund würde das heißen, auf diesen Boden meiner Erkenntnis. Ich denke da schon eher an “Verkenntnis”, oder glaubt man, mich besser kennenzulernen durch jene Charaktere, die sich als meine Familie vorstellen? Sie behaupten ja sogar dass ich mich selbst dadurch besser kennenlernen würde, alle diese Verkettungen, die sich dann in Ketten wandeln, kein schöner, loser Kranz aus Gänseblümchen mehr, an die man sich aber ganz sicher erinnert, man hat sie zusammen mit Geschwistern und Freunden gebunden, oder gezupft mit den Worten “Er/Sie liebt mich, Er/Sie liebt mich nicht”, und man wusste dass es ein Spiel war. Nun will man die Schwere einer Erbsünde auf mich bürden, ich weiß, dass dieses Wort auch nur ein weiterer Pfeil ist, mit dem Versuch, mir damit mein Herz zu vergiften, um Wunden künstlich zu erzeugen.

ICHael

Wann darf ich es endlich sagen, dass eigentlich alle Menschen dieser Erde, und alle Lebewesen, und sogar Berge und Flüsse aus deren Gesichtern Wasser fließen, und dann noch Bäume die mir ihre Hände entgegenstrecken, meine Familie sind? Jetzt gerade kann ich Coco hören, piepsend, und mit ihrem aufgeregten Herumtanzen mir bedeutend, dass ich mich nicht schon wieder verlieren sollte in philosophischem Geschwätze. Ach Coco, ich weiß ja, dass es auch eine eigene Familie gibt, aber dazu gehören bei mir eben, neben der Familie Michaels, auch noch die Familie ICHaels.

Michael

Wie kann man eigentlich “Familie” erklären, nach weltlichen Maßstäben? Keinesfalls möchte ich, für diese Frage alleine schon, als psychisch auffällig gesehen werden, daher werde ich also vorerst einmal versuchen dieser Familienaufstellung zu folgen, obwohl schon wieder dieses Hämmern in meinem Kopf einsetzt, weiß ich doch, wie immer ich auch auf diese Ersatzfamilie reagieren werde, dass mein Widerstand gegen eine mir aufgezwungene Gruppe von Personen schlussendlich dazu führen wird, mich wieder einmal nicht einordnen zu können. 

Ich habe Angst davor. 

Was ist eigentlich Familie? Eltern, Geschwister, Großeltern, neue Eltern, wir leben in einer Gesellschaft mit immer neuen Trennungen, Vereinigungen, Entweihungen im wirklichen Sinn, neue Kinder, alte Kinder, oder auch Kinder die man Sternenkinder nennt, da sie kurz vor oder nach ihrer Geburt gestorben waren.

Familie ist eigentlich was? 

ICHael

Gehören dazu auch Mäuslein aus meiner Kindheit die ich im Wald fand, die über nackte Füße huschen, und die mich seither durch mein Leben begleiten, ach, Michelangelo, Coco und Knöpfchen Himmelblau, ihr seid ganz sicher meine Familie! Oder Förster, die dich lehren, den Baum als Leben zu sehen, oder sogar Nebelschwaden, die eigentlich Elfen sind? Oder meine zukünftige Liebe, die ich doch schon so lange in meinem Herzen trage, und dennoch nur durch silberne Schleier zu sehen bekomme, dafür aber ihr Ewiges Lied in mir lebt?

Wo sie auch sein mag, ich werde sie finden.

Michael

Vielleicht bei dieser Familienaufstellung? Nein, natürlich nicht, und wenn, dürfte ich das niemals irgendjemandem wissen lassen, eine neue psychologische Erkenntnis würde das bringen, amtlich bestätigt, dass ich tatsächlich verrückt bin.

Man ist dabei mir zu helfen, gerade jetzt, auf dass auch ich den Begriff “Familie” besser verstehen möge!

Vier Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, erscheinen nun, gemeinsam mit meinem Psychologiemädchen, in diesem Raum des Wissens. Einer würde meinen Vater mimen, ein zweiter meinen Großvater, eine meine Mutter, die Großmutter wurde wegen Belanglosigkeit ausgelassen, eine Weitere würde sich wahrscheinlich erst bei meinem erwarteten Zusammenbruch benennen können, und dann auch noch ein Hund. Dieser war nicht geplant in diesem Unterbewusstseins Spiel, er konnte nur nicht alleine gelassen werden, wurde mir erklärt. Jener Mann, als mein Vater auserkorener, hat graue Haare und einen Schnurrbart, den Blick des Zufriedenen, und vor allem sehr Selbstgerechten. Ich werde darüber aufgeklärt dass diese Menschen, unabhängig von ihrer Ähnlichkeit mit meinen Familienmitgliedern, später diese perfekt wiedergeben würden.

Wann ist später? Und darf ich nun ganz unerwartet meine Träume als Wirklichkeit sehen? Und warum sollte ich zusammenbrechen? Hatte man vergessen, dass ich doch schon zusammenbrach, und das genau doch der Grund ist, warum ich eigentlich in dieser Psychiatrie gelandet bin? Ich sollte mich einfach nur darauf einlassen, meinte man. Worauf soll ich mich einlassen? Warum lässt sich eigentlich niemand auf mich ein? Oder geht es etwa gar nicht um mich?

Nach einem Blick auf meine Uhr denke ich jetzt dass es wahrscheinlich unterhaltsamer sein wird, diese Menschen als meine Familienmitglieder zu sehen, als schon wieder über irgendwelche schrecklichen Ereignisse, oder Tötungen meiner Empfindsamkeit, sprechen zu müssen.
Nun denn, lasset uns das Spiel beginnen.

Ich bin nicht zusammengebrochen. Das Aufstellungsspiel, mit dem Hintergrund versteckter Ängste, Botschaften aus einer anderen Welt, manche Familienmitglieder waren schließlich schon tot, oder Aggressionen gegenüber dieser Familie, das alles sollte in der nächsten Stunde aufgelöst werden​, aufzufinden.

Mein Vater wurde vor mich gestellt, der Mann mit den grauen Haaren und dem Schnurrbart, und seine Selbstgerechtigkeit, die von mir ihm zugedachte, schien er für diesen Moment abgelegt zu haben. Eines war richtig bei diesem Spiel. Man konnte Gedanken entstehen lassen, die mit der richtigen Person aus dem Familienkreis assoziiert werden können, und ich beschloss, dieses auch zu tun. Immerhin möchte ich, nach allen diesen Evaluierungen meiner Person, im Zusammenhang mit meiner Familie, die Unsicherheit geklärt haben, ob es denn aus meiner Familiengeschichte Probleme gäbe oder nicht. Also bemühte ich mich die richtigen Fragen zu stellen, ganz​ wie es von mir verlangt wurde, tatsächlich bin ich ja, nach meiner Zeit hier mit allen diesen wissenden Menschen, schon sehr geschult im Suchen meiner versteckten Fehler, die es nun zu beenden gilt. Oder besser: Durch dieses Aufstellungsspiel auch meine Familie einordnen zu können. Wenn man doch endlich begreifen würde, wer die Mitglieder meiner Familie sind!

E​i​ne meiner ersten Fragen behandelte also das Thema, ob ich nun ein geliebtes Wunschkind gewesen sei, oder eben ein nur geduldeter neuer Erdenbürger. Das alleine könnte ja schon einen Großteil meiner Ängste schwinden lassen. Der Mann, mein momentaner Vater mit dem Schnurrbart, zwang sich zu einem Lächeln, dieses sollte wohl bejahend auf diesen Fragenkomplex sein, und ich hatte Frage Nummer eins abgehakt, wie ich an diesem zustimmenden Nicken meiner Psychologin erkennen konnte. Dann die üblichen Fragen nach Konflikten, und hier dachte ich, dass ich einmal erschrecken sollte, oder wenigstens mein Gesicht in R​i​chtung Zustimmung verändern, aber das war mir nicht möglich. Immerhin hatte ich definitiv keine Probleme mit meinem Vater, nicht mit meinem wirklichen Vater, und ganz sicher nicht mit meinem Ersatzvater für eine Stunde.

Ich zwang mich dazu, nicht von der großen Liebe zu ihm zu sprechen, er war es ja der mich in meinem zweiten Namen mit Papageno bedachte, und mich lehrte das Pfeifen und Singen der verschiedenen Vögel zu unterscheiden, und auch durch Wälder zu spazieren, viele dieser wunderschönen Märchen, von Prinzen und Elfen, und Bäumen als Kraftspender, mit mir gemeinsam entstehen ließ, aber dieser Ersatzvater konnte das wohl alles gar nicht so richtig begreifen. Immerzu lächelte er mich an, dieser Ersatzvater, wahrscheinlich dachte er, wie in einem Spiegel, wenn der Delinquent lächelt, muss auch ich ein guter Vater sein. Mit meiner Ersatzmutter ging es dann schon besser. Eine rechtschaffene Frau, ganz wie meine wirkliche Mutter, deren Vielschichtigkeit konnte ich allerdings bei dieser Frau nicht entdecken, und ganz sicher hatte sie ein Problem mit meinem zweiten Namen, als ich sie danach fragte, ob sie diesen erraten könne.

Nach einem strafenden Blick meiner Psychologin, man soll also nicht von den wirklichen Empfindungen sprechen, aber ich dachte ja dass diese genau aus dem Unterbewusstsein in das Überbewusstsein gespült werden sollten, oder wie immer man auch diesen Terminus erklären will, fühlte ich sogar etwas Zorn in mir aufsteigen. Natürlich weiß ich, dass ich nicht “Oberbewusstsein” sagen sollte, aber ich war mit einem Male nicht mehr willens, wie ein trauriges Tier in jenem von Menschen gemachten Käfig eingesperrt, auch noch deren Vorstellung von verrückt oder normal zu erfüllen. Also zurück zu diesen beiden Müttern, deren Ähnlichkeit ich ja schon bestätigt hatte. Michael zu formen war ihr Ziel, um dann am Ende, so wie sie eine rechtschaffene Frau war, ein rechtschaffener Mann zu werden. Dabei bin ich mir bis heute nicht so ganz sicher, ob nicht auch sie jene anderen Wellen der Erkenntnis spüren konnte, wenn sie so manches Mal mit uns sang, und ihr Gesicht bei den Liedern, von der Natur und ihren Bergen, sich in eine glückliche Scheibe wandelte.

Da fiel mir mitten in diesem Aufstellungsspiel wieder die Zauberflöte ein, und gleichzeitig erinnerte ich mich der Königin der Nacht, auch eine Mutter, in dieser Oper als böse Mutter dargestellt, in unserer Aufführung dieses Zauberspieles in der Maturaklasse wurde diese ja nicht umsonst von Adrian gemimt, immerhin ein männliches Wesen, das Böse nur durch das Weibliche darzustellen, insbesondere auch noch durch eine Mutter, schien mir schon immer ein wenig verdächtig, so wie alle Vorurteile, bezüglich der Fähigkeiten von verschiedenen Charakteren, wahrscheinlich dachte ich auch deshalb, dass es ausgerechnet Papageno sein müsste, der Mutlose, der es zustande bringen wird über sich selbst hinauszuwachsen. Ist mein zweiter Name Papageno auch deshalb entstanden, da mir, als naivem, gefiederten Wesen die Begriffe Gut und Böse schon immer verdächtig ähnlich vorkamen?

Dieser Gedanke geht jetzt aber tatsächlich in Richtung Diagnose: Verrückt

ICHael

Warum fällt mir gerade jetzt ein, inmitten einer Verwechslungskomödie, was anderes kann es ja nicht sein wenn man mich mit Familienmitgliedern bedenken will deren Ströme so gar nicht zu mir fließen, dass ich entweder ein Mörder oder ein Selbstmörder bin? Es ist der Streit in mir, seit tausenden von Jahren, ob ich nun dunkel oder hell bin. Als ICHael kenne ich sie genau, diese Verbindung von Sonne und Mond, deren Kind ich bin, als Michael in einer Familienaufstellung suche ich vergebens nach einer Antwort.

Michael

Also zurück zu meinen Müttern. Schon war auf meinem Gesicht dieser Zweifel zu sehen, so denke ich, wenngleich dieser auch tatsächlich nichts mit meinen Müttern zu tun hatte. Trotzdem, in diesem Moment kamen sie wieder, diese unerträglichen Schmerzen des Kopfes. Aber weiter.

Mutter auch abgehandelt, und jetzt konnte ich in der Bewegung meiner Psychologin erkennen, dass meine Mutter wesentlich ergiebiger im Auffinden der Wurzel meiner psychiatrischen Erkrankung zu sein scheint. Wenigstens etwas. Dann der Ersatzgroßvater. Ich konnte mich an diesen nun tatsächlich nicht erinnern, und so dachte ich, dass ich ihm drei Knaben zur Seite stellen werde. Nein, das geht nun auch wieder nicht, sollte ich Personen sehen, die nicht im Raum sind, wäre das ja schon wieder ein Hinweis auf meine schwere psychische Erkrankung.

Langsam sehnte ich die Zeit herbei, nach dieser Familienaufstellung, in der ich dann meine wirkliche Familie, so hoffe ich, wiedersehen werde.  

ICHael

Wann werde ich sie davon überzeugen können, meine Fee der Spezies Psychologin, dass auch zwei oder sogar drei Personen in einer Person wohnen können. Aber noch ist es nicht so weit, zuerst sollte sie wohl an mein Verständnis für eine Dreieinigkeit herangeführt werden, vielleicht sollte ich sie dazu einmal in meinen Zauberwald mitnehmen?

Michael

Dann die vierte Person, jenes mystische Wesen, das sich erst zu erkennen geben würde, bevor ich, wie in so einer Familienaufstellung angedacht, zusammenbrechen sollte. Offensichtlich war sie eine Frau, aber, es war kalt an diesem Winternachmittag, so trug sie einen Schal um ihren Kopf gewickelt, und auch ihre Augen waren halb verdeckt, so war ich schon fast versucht mir vorzustellen dass es meine Fee sein könnte die mich hier, inmitten von Fremden, besuchen würde. Meine Papagena kam zu mir, um meine Einsamkeit, trotz vieler Menschen um mich, zu teilen!

Aber ich blieb stumm und meine Freundin der Psychologie hakte diese fremde Frau, in Sachen mögliche Erkenntnis eines Konfliktes zur Auffindung der Wurzel meiner Erkrankung, auch ab. Am Ende dieser Sitzung wurde ich dann wieder traurig, die täglichen Pillen wollte ich nun bereits von meiner Seite aus schlucken, und das Hämmern im Kopf schwoll zu einer beinahe unerträglichen Lautstärke an.

ICHael

Gestern traf ich dann endlich meine Familie wieder, sie alle kamen, um mich zu besuchen, hier in der Psychiatrie.

Meine ganze Großfamilie, und den Geruch des Waldes, und die Kinder der Sonne, und sogar die kleinen Mäuslein brachten sie auch mit, und draußen vor dem Fenster sangen eine Schar von Vögel ihr wunderschönes Lied zur Feier des Tages. Allen voran spazierte mein Vater in seinem schönsten Anzug, begleitet von drei Knaben, die eine große Sonne trugen, und direkt hinter ihm ein fremder junger Mann, aus einem anderen Land war er, das konnte man sehen, und an seiner Seite eine wunderschöne Frau. Wie eine Prozession war das, als dann auch noch die, sich an den Händen haltenden Kinder der Sonne, einen Kranz aus Gold bildeten, in Millionen von Schattierungen in Gelb und Gold. Es sah so aus, als wäre die ganze Welt bei mir zu Besuch. Oder eine Krönung würde vorbereitet werden, und ich, Papageno, wäre auch ein wichtiges Mitglied dieser Zeremonie. Ein wenig zu zittern begann ich dann doch, ob der vielen goldenen Strahlen, und verängstigt auch, ob ich es denn überhaupt wert sei, in diesen Olymp der Reinheit aufgenommen zu werden. Aber da sprang schon einer der drei Knaben, die meinen Vater begleitet hatten, an meine Seite und sang diese Melodie, die jede Angst vergessen lässt. Auch sterben wollte ich nicht mehr, obwohl das doch gestern, nach einem lautstarken Hämmern in meinem Kopf, noch mein sehnlichster Wunsch gewesen war. Wie Seelenverwandte sahen mich dann auch noch Michelangelo, Knöpfchen Himmelblau und Coco aus meinen Kindertagen an, und erst jetzt, nach all diesen Jahren, begann ich deren Sinn für mich zu begreifen. Sie waren immer meine Begleiter gewesen, und jetzt, so viele Jahre später, waren sie dieselben, liebenswerten Tiere, die dafür sorgten, dass ich die Dinge nicht allzu ernst nahm.

Wer kann denn eigentlich etwas so ernst nehmen, wenn bei all diesen düsteren Gedanken immer wieder kleine Mäuslein über deine Füße huschen? Ja, ja”, kicherte Coco, ”Ich habe dir ein Loch in deine Socken gebissen, damit du deine Zehen immer einwärts biegen musst und damit so beschäftigt bist, dass keine Zeit dafür bleibt, weitere Märchen aus deinem Kopf fließen zu lassen.” Dann entstieg auch noch diese wunderschöne Frau, wie aus einem Schatten einer Wolke, aus dieser heraus, und ich begriff, dass diese Schönheit auch etwas mit Kälte zu tun hatte. Nein, es war nicht wirklich meine Mutter, es schien die Mutter der Nacht zu sein, die andere Seite des Vaters aller Söhne, und dennoch war sie in diesem Prozess eine Mutter.

Irgendwie ist das verkehrt, dachte ich noch, die Mutter der Schatten, der Vater der Tag, und ich das Kind.

Dann zog über den ganzen Himmel ein langer Schweif, gemacht aus Sternen, dessen Kleid sich langsam löste und, wie ein warmer Hauch der Freude, über mich herunterfiel.

Ich hatte ein neues Kleid bekommen.

Den Förster meiner Kindheit sah ich in Gestalt meines Vaters wieder, dessen Wunsch es war, dass ich Michael Papageno genannt werde. Glücklich ließ ich mich dann in meinem Stuhl, in meiner neuen Heimat, der Abteilung 11 LANDESNERVENHEILANSTALT nieder und dankte meiner großen Familie dafür, wieder Ich sein zu dürfen. Eine leise Sehnsucht war dann aber dennoch da. Wo war Sie? Direkt blickte ich dem Vater aller Väter in die Augen, während die Knaben ihn an seinem langen Rock zupften und schüttelten. Sie waren es dann, die ihn dazu brachten, mir, für eine Sekunde, die Verheißung meines Lebens zu zeigen. Für mich war diese eine Sekunde aber wie eine Symphonie, die ein Leben lang hätte dauern können, so schön und unwirklich war dieser Moment.

Das Mädchen aus meiner Maturaklasse, die ich nun schon mein ganzes Leben wieder zu finden trachte, stand vor mir und aus ihren Augen, die wie Wasser und Silber glänzten, kamen Worte der Liebe, und aus ihrem Mund das Versprechen für die Ewigkeit.

Die Knaben sangen davon, dass dieses Mädchen Papagena sei, und ich begann zu verstehen, dass ein Ganzes immer aus der Seite des Weiblichen und des Männlichen zusammengefügt ist. Wenn ich dann an diese Erkenntnis denke, dann glaube ich diesen Knaben aber nicht ganz – wollten sie mir etwa zu verstehen geben, dass man Papagena auch in mir finden kann? Und wenn das so wäre? Alles nur ein Wortspiel, eine Vermengung der Tatsache dass ich tief in meinem Herzen nach der Ergänzung meines eigenen Seins suche, oder die Ergänzung zu einem anderen bilden werde, dann, wenn alle Eitelkeiten, Wichtigkeiten, oder Unwichtigkeiten in sich selbst zerfließen, und man dann endlich den Begriff Liebe zu definieren imstande ist.

Und schon wanden sich aus Weiden, die vor mir erstanden waren, wieder Elfen, viele und noch mehr Elfen, allesamt mit einem liebevollen Lächeln, das aus ihren Augen sprach, und auch aus ihren Herzen, die sie vor sich her trugen, und aus diesen wiederum flossen Bäche des Überlebens, als sie sich direkt vor mir zu einem Kreis zusammen fanden. In der Mitte dieses Kreises konnte ich dann ein blaues Gefäß entdecken, lapislazuliblau, das in mir augenblicklich eine, aus der Vergangenheit kommende, Schönheit wieder entstehen ließ und mich auch an ein Versprechens erinnerte, ganz dunkel nur, aber dass es etwas ganz Bedeutendes gewesen war, fühlte ich ebenso.
Am oberen Rand des offenen Fensters konnte ich nun den, langsam immer größer und heller werdenden, Mond entdecken wie er sanft von einer Ecke dieses Fensters zur anderen schwang, bis sein Licht direkt auf das lapislazuliblaue Gefäß fiel, das sich mehr und mehr vergrößerte, bis es zuerst zum Bach sich formte, um dann zum Meer anzuschwellen, in dessen Mitte das Rad der Gezeiten aus dem Wasser auftauchte. Auf diesem konnte ich dann, wieder einmal, Millionen von Menschen sehen, dieses Mal begleitet von Elfen, die jedem Einzelnen ein Etwas überreichten, woraus sich ein Strahl von goldenem, farbigem Wasser ergoss.
Mein Versprechen – Mein Versprechen – wie klar ich es sehen konnte, und wie leicht es mir schien, dieses zu erfüllen, in diesem Augenblick.

Da hörte ich auch schon wieder dieses Weinen der Elfen, als sie sich aus dem zuvor gezogenen Kreis selbst entließen, um, gemeinsam mit dem sanft von einer Ecke des Fensters zu dem anderen schwingenden Mond, aus meinem Blick zu entschwinden. Das ist sie also, meine ganze große Familie des Herzens, mit mir, Papageno, in der Mitte, eingebettet in Vertrauen, Zuversicht und Hoffnung.

Dafür kann ich eigentlich nur Dank empfinden, für ein Intermezzo des Glückes, das doch für alle Menschen möglich sein sollte. Auch für jene in der Psychiatrie, denen man die Fähigkeit abgesprochen hatte ein normales Leben führen zu können, so wie mir, der ich in ganz wenigen Momenten, wie eben dieser einer war, seinen wahren Namen wieder einmal leben durfte. Ist es nun Kristina und ICHael, oder Papageno und Papagena, wo liegt der Unterschied, solange die Schwingungen der Herzen in Gleichklang verschmelzen. Als dieser unendliche Reigen der Freude und des Verstehens nach einer Fortsetzung suchte, flogen wir, alle zusammen, hinaus aus diesem Fenster, direkt in den Wald, und hielten uns dort noch immer an Händen, die eine Zukunft versprechen.

Ich danke dir, Psychologin der Nervenheilanstalt, dass du mir diesen schönen Tag bereitet hattest, auch wenn ich dir den wahren Grund für meinen Dank noch nicht sagen darf. Vielleicht später einmal, wenn auch du verstanden hast, dass manche Träume Realität sind.



Auszug aus dem Buch “ICHael-Michael mit dem zweiten Namen Papageno” von Serafina Campestrini.


Serafina Campestrini
„Es ist immer eine Summe von Bildern, Tönen und Schwingungen, die wir von anderen Menschen oder einer Umgebung erfühlen, die uns zu dem machen, was wir sind.“
Früh geprägt vom musikalischen Umfeld ihrer Familie absolvierte sie ein Studium der Musik am Anton Bruckner Konservatorium in Linz.
Der Ansatz beim Schreiben, immer den Rhythmus der Musik dahinter zu setzen, verfolgte sie auch in den Jahren während ihres Aufenthaltes in New York, dort in der englischen Sprache.
Später dann eine mediale Erweiterung mit der Verfassung mehrerer Filmmanuskripte, sowie ein Studium Kulturmanagement und Kommunikationspsychologie.
Ihr besonderes Anliegen ist es, im Zusammenspiel von Musik, Literatur und zuweilen auch Bildender Kunst, kommende Generationen anzusprechen, um auf diesem Weg einen Beitrag zu einer etwas friedlicheren Welt zu leisten.
Der Roman ICHael-Michael mit dem zweiten Namen Papageno, Fantasy Roman basierend auf der Oper von W. A. Mozart “Die Zauberflöte”, liegt auch als Bühnenfassung und Filmmanuskript mit dreizehn Liedkompositionen vor.
Das Buchprojekt „Hallo Schwester“, ist eine satirische Betrachtung von Ereignissen in Österreich und eine Fortsetzung des Manuskriptes „The clock is running home“, eine Zeitreise durch die Vereinigten Staaten von Amerika aus österreichischer Sicht.







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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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