Bernd Ritter für #kkl45 „Mutter, Vater, Eltern“
KIRSCHEN
„Kann ich dir was Gutes tun? Kirschen? Weiß nicht, ob die schon reif sind. Ok, ich schau.“
Lege auf. Kirschen. Wo soll ich die herbekommen? Scheiße. Ist grad mal… Mitte Mai. Vielleicht bei Rewe. Steig ins Auto, fahr hin. Viel los für die Uhrzeit. Super, Rentnerparade! Ja, schön. Erstmal umschauen. Ist egal, ob man alle aufhält. Jetzt hustet der noch. Hau ab, du Virenschleuder. Kann ich jetzt nicht gebrauchen. Muss nur zur Obsttheke. Die kommt gleich am Anfang. Eine Uhr tickt.
Orangen, Bananen, Äpfel, alles da. Keine Kirschen. Na gut, muss noch anderes einkaufen. An der Käsetheke zeige ich auf ein Stück Bergkäse.
„Sicher, dass Sie das wollen? Das sind 300 Gramm. Macht 8 Euro.“
„Oh nein, das ist ein bisschen viel. Machen Sie hundert.“
„Kein Problem. Zum Glück reden wir hier noch Deutsch.“
Oh man. Keine Lust auf sowas. Blick auf mein Handy. Weiter. Ein Joghurt solls noch sein. Was für einen Joghurt? Normaler, Natur, Griechischer? Es gibt zu viele. Skyr! Protein, wenig Zucker. Das passt. Vielleicht schmeckts. Anderes Obst dazu? Eingelegte Kirschen? Nein, Frische sollen es sein. Puh, ich muss was essen. Vergesse das ständig. Hab keinen Hunger. Aber muss ja, sonst kipp ich noch um. Wär nicht hilfreich. Wieder das Ticken der Uhr. Schnell was auf die Hand. Tüte Chips oder so. Hauptsache ein paar Kohlenhydrate. Und was trinken. Wasser! Soll ich was mitbringen? Nein, da hats genug. Lege den Abtrenner vor mich aufs Band, meine Waren dazu. Hinter mir ein alter Mann. Die Kassiererin scannt alles und will schon das vom Alten drüberziehen.
„Nein, das gehört zu mir“, sagt der. Er schaut mich nicht an und spricht mit der Kassenfrau. „Eigentlich gehört es sich ja, den Trenner dahinter zu legen. Früher war das so.“
Aha, es gehört sich so. Früher. Deutsch mich nicht voll, denke ich, nicke aber nur und bezahle. Schnell das Zeug ins Auto und nebenan zu Neukauf. Drin wieder keine Kirschen. Der Angestellte hat keine Ahnung. Natürlich. Auch hier tickts. Schreibe eine Nachricht.
„Gibt keine Kirschen.“
„Habs aber gelesen. Beim Italiener!“
„Ich schau“, schreibe ich und seufze.
Schleiche mich an der Kasse vorbei, ohne was zu kaufen. Los ins Auto. Nervös schaue ich auf mein Handy. Da kommt einer von rechts und hupt. Ist ja gut jetzt. Nimm dich nicht so wichtig. Ich halts nicht aus! Manchmal wünschte ich mir, es wär vorbei. Die Fahrt zieht sich. Eigentlich wollte ich längst auf dem Weg sein. Aber nicht ohne Kirschen! Der italienische Supermarkt liegt weit außerhalb. Kenne ihn nur durch meinen Vater. Gutes Öl, Antipasti und so. Mein Vater ist dort immer hin wegen Bitterlemon. Sauer und bitter. Gabs nur dort. Sonst palettenweise vom Italienurlaub mitgebracht. Mittlerweile auch woanders. Aber er solls eh nicht mehr trinken. Woher kommt das verdammte Ticken?
Angekommen frage ich nach dem Obst. Der Verkäufer lacht. Frage wieder und er erklärt, dass er Kirschen nur lokal kauft.
„Hier gibts noch keine. Natur ist Natur.“
„Steck dir deine Natur, du dummes Arschloch!“
Er ist irritiert und bittet, mich zu gehen. Haue ihm aufs Maul; versuche es zumindest, er weicht aus, ich streife ihn nur. Er aber gleich hinter her, mir aufs Auge. Unterdrücke die Tränen und geh ans Auto. Motor an und ab ins Krankenhaus. Auf dem Weg plötzlich ein Stand. Frische Kirschen! Die Reifen quietschen und der Staub fliegt auf.
Eine Schale. Direkt aus Italien. Glaubs nicht! Sie liegt auf dem Beifahrersitz in der Sonne. Schaue aufs Handy, schaue zur Schale. Ein Punkt auf der Haut. Er windet sich. Mehr und mehr Punkte. Da ist doch der Wurm drin, denke ich und muss kurz lachen. Schmeiße die Schale aus dem Fenster.
Im Krankenhaus hoch in den ersten Stock. Durch einen Wartebereich direkt zur Intensiv. An der Schiebetür klingle ich und sage meinen Namen. Werde eingelassen. Vorbei an halboffenen Zimmern. Überall piepst es. Menschen schreien. Stehe in seiner Tür. Er sieht blass aus. Komplett verkabelt und am Tropf. Blasenkatheter ragt aus dem Flügelhemd. Aus seinem Hals der Port für die Dialyse. Hände und Beine angeschwollen. Wir begrüßen uns. Seine Hand ist kalt. Der Alarm am EKG geht an und wieder aus. Wir lächeln uns an. Er bemerkt mein Auge.
„Was ist denn passiert?“
„Keine Kirschen.“
Er lacht. „So wichtig wars jetzt nicht.“
Lache auch etwas.
„Ok, Papa. Kann ich sonst was für dich tun?“
„Nein, Sohn.“
Er schaut mich an, dann wieder weg.
„Du kannst nichts tun.“
Bernd Ritter, geboren am 01.06.1988 im südhessischen Biblis, entdeckte schon früh seine Liebe zur Literatur. Deshalb studierte er von 2008 bis 2015 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Germanistik und Philosophie. Noch während er an seiner Magisterarbeit schrieb, begann er am Staatstheaters Mainz bei der Beleuchtung auszuhelfen. 2017 arbeitete er erstmals freiberuflich als Dramaturg für eine Theaterproduktion. Nebenher hat er nie aufgehört, an eigenen Werken zu arbeiten.
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