Morteza für #kkl46 „Traum, Realität, Wirklichkeit“
Begleitet von einer sanften Brise
Drei Tage lang hat es geregnet
Meine Mutter am Fenster
Mit ihren Augen auf die Straße gerichtet
Und ich weiß nicht, was sie leise murmelt
Der Fernseher
Bereitet das Zimmer für die Wahl vor
Und in mir
Ein wildes Pferd
Selbst innerhalb des Zauns
Lässt es sich nicht zähmen
Es ist kaum zu glauben
Die Freiheitsvorstellung
Begleitet von einer sanften Brise
Ist so kräftig
Der keine Fessel standhalten kann
Meine Mutter sitzt auf dem Sofa
Wechselt die Kanäle
Und am Horizont
Entfernt sich eine Stute.
Ein blasses Bild des Loslassens einer Hand
Es ist immer jemand verloren
Ein Verlorener in den nebligen Tiefen des Geistes
ein blasses Bild
des Loslassens einer Hand
oder eine vage Vorstellung von Verlust.
Du kannst in die Augen eines jeden schauen
und sagen:
Du wartest auf jemanden!
Warten auf eine unerwartete Begegnung
in unseren Träumen,
jemanden zu sehen
oder etwas zu finden
Plötzlich an einem Ort
den man sich nie vorgestellt hat.
Das Leben ist eine Ansammlung von Verlusten,
von Abwesenheiten und Zerstörungen.
Einer nach dem anderen geht etwas verloren
Und eines nach dem anderen wird etwas an seiner Stelle genommen.
Ein Fremder kommt in die Stadt
und ein Bekannter verlässt die Stadt.
Ein Zahnrad,
dessen Abwesenheit das Leben beenden würde.
Eine Präsenz, die in ihrer Abwesenheit lebendiger ist.
Ein Sein, das mehr im Nichtsein ist.
Ist es nicht so,
dass das, was sich wegbewegt, kleiner werden muss?
Das Leben ist eine Sammlung von Unvollkommenheiten
von Geschichten, die nicht enden,
sondern in der Mitte aufgegeben werden
von halbfertigen Dingen,
von offenen Fragen,
und dann fragt man sich eines Abends plötzlich:
wo ist sie jetzt?
was geschieht mit ihr?
Morteza, geboren 1984 im Iran, lebt seit 2019 in Bielefeld und promoviert in Astrophsik und Cosmologie an der Universität Bielefeld. Er schreibt vorwiegend Lyrik. Seine Werke wurden in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht, darunter die Frankfurter Bibliothek 2020: Jahrbuch für das neue Gedicht (Frankfurt) und Grenzenlos (Bielefeld). 2013 erschien sein Gedichtband They Lose Their Land Little by Little auf Farsi beim Nasira Verlag (ISBN: 978-600-6989-24-2, Iran).
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