Tom Schwericke für #kkl46 #Traum, Ralität, Wirklichkeit“
Das große Glück
Er spielte wieder Lotto. Er wusste genau, dass er eh nichts gewinnen würde. Sein Vater hatte ihm das schon als Kind eingebläut. „Stell dir vor, du fährst von Berlin nach Hamburg,“ hatte er gesagt. „Du wirfst ’nen Groschen aus dem Fenster, und der fällt genau auf den einzigen Groschen, der irgendwo zwischen Hamburg und Berlin auf der Straße liegt. Genauso unwahrscheinlich ist es, dass du im Lotto gewinnst.“
Ja, ja, schon klar, Lotto spielen war kompletter Unsinn. Vor allem, wenn man anfing, sein Leben danach auszurichten. Die unerreichbare Karotte, die vor dem Esel baumelt, damit er den schweren Karren immer weiterzieht. Seine Mutter hatte das so gemacht. Deshalb war sein Vater beim Thema Lotto immer so genervt gewesen. Einer von Mutters Standardsätzen war: „Kinder, wenn ick die Million im Lotto jewinne, dann gibt‘s…“ Kinder, Mehrzahl, sagte sie, obwohl sein älterer Bruder längst ausgezogen war.
Nüscht gab‘s. Nie hatze wat jewonnen, war ja och klar.
Das lag lange zurück. Als Kind hatte er keine Sorgen, keinen Bock auf gar nix. Sich sein Leben zusammengeträumt. Sein Vater gab ihm wenig Taschengeld aber seine Mutter zwackte öfter mal was vom Haushaltsgeld für ihn ab. Sein Kumpel Chris vom nächsten Wohnblock, hielt sich für was Besseres, quatschte immer so geschwollen, meinte zu ihm, er hätte keinen Ambitionen. Kann sein, vielleicht war das der Grund, warum er keinen anständigen Job gefunden hatte. Nur so ’ne Wachmann-Scheiße. Früher war „Nachtwächter“ ja ’n Schimpfwort, auch für ihn. Für die meisten Leute wohl immer noch.
Jedenfalls spielte er inzwischen selbst hin und wieder Lotto. Zwei Kästchen, das reichte. Kostete ’nen Fünfer. Ein Film auf YouTube leihen hätte genauso viel gekostet. Aber ihm ging’s ums Kino im Kopf.
Timing war alles. Die Ziehung war Samstag, 19 Uhr 25. Wichtig war, dass er vorher, so ’ne Stunde vorher, das Kopfkino anschmiss. Am besten ins Bett legen. So, da haste 30 Millionen gewonnen. Raus aus Deutschland, ab nach Asien. Eigentumswohnung kaufen. Die Hälfte anlegen, klar, nicht den Fehler machen und alles raushauen. Ne coole Karre musste aber her, sowas wien Oldtimer-Sportwagen. Und bisschen was für Charity, gehört sich ja so.
Dann: noch ’ne Viertelstunde bis zur Ziehung. Zeit fürs Window Shopping. Was sagt das Internet zu Eigentumswohnungen in Thailand? Sieht doch nett aus. Mit sechs Richtigen ohne Zusatzzahl könnte schon was gehen. Was gibt’s sonst noch für geile Locations? Vielleicht was mit
Blick aufs Meer. Ne Eckwohnung wäre fett, schön mit 270-Grad-Aussicht.
Dann war es soweit. Die Zahlen kamen. Natürlich wieder nüscht. Ach ja, watt solls.
Statistisch gesehen könnten genau diese Zahlen, die er jetzt getippt hatte, bei der nächsten Ziehung die Gewinnerzahlen sein. Er war kein Mathe-Ass, aber das schien logisch.
Wenn nächste Woche genau seine Zahlen gezogen würden und er keinen Schein abgegeben hätte… der Schmerz des Lebens. Alter! Einmal angefangen, konnte man nie mehr aufhören. Oder, wenn man konsequent sein wollte, auf keinen Fall die Ergebnisse anschauen, wenn man nicht getippt hat. Basta. So einfach.
Oder zwei Kästchen als Dauerauftrag. Das ginge ja auch.
Tom Schwericke ist in West-Berlin geboren und aufgewachsen. In den 80er Jahren war er Teil der dortigen Punkszene. Nach dem Mauerfall entdeckte er die aufblühende Techno-Szene Berlins und fand als Eventmanager seine erste berufliche Erfüllung. Seine Abenteuerlust zog ihn Ende der 90er Jahre in ferne Länder wie Honduras, Ägypten, Thailand und Indonesien. Er arbeitete als Tauchlehrer, Reiseleiter und Barbetreiber. Die intensiven Erlebnisse, die er sammelte, lässt er in Kurzgeschichten und autofiktionalen Romanen lebendig werden. Seine Leidenschaft für Punkmusik gibt seinem kreativen Schaffen Bodenständigkeit und Authentizität.
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