Caren Ohrhallinger für #kkl46 „Traum, Realität, Wirklichkeit“
Konrad
Als sie die Vorhänge zurückzieht und die breiten Fensterflügel öffnet, malt die Sonne Flecken aufs Parkett. Unten liegt der Platz still an diesem Sonntagmorgen. Konrad ist sicher noch nicht auf, gestern hat sie noch lange seinen Sessel quietschen gehört. Sie wird die Rollen neu ölen müssen.
Nach dem Kaffee versucht sie es.
Botanischer Garten, denkt sie. Picknick. Fleischbällchen und Gemüsesticks. Fein in die Metallbox geschlichtet, orange, grün, rot; gleich dick, gleich lang. Bei der ersten Schuljause hat sie die Paprika einfach irgendwie geschnitten. Konrad hat erst versucht sie zu schlichten, vielleicht hat er gedacht sie seien nur verrutscht, was weiß sie schon; doch seine Miene ist immer verzweifelter geworden, die Bewegungen immer hastiger, bis er schließlich alles in den Müll geleert hat. Jetzt ist er schon 10, und die Sticks müssen immer noch exakt gleich lang sein.
Sie öffnet die Kinderzimmertür. Konrad sitzt im Pyjama am Boden und sortiert seine Legosteine in die Boxen. Nie baut er etwas, immer sortiert er nur.
Konrad?
Er dreht nicht mal den Kopf. Sie setzt sich zu ihm auf den Boden, sucht seinen Blick. Zieh dich an, wir gehen in den botanischen Garten.
Er schüttelt so leicht den Kopf, dass jemand anders es nicht merken würde. Lego, sagt er.
Sie schließt das Fenster und setzt sich zum Tisch. Die Zeitung vor ihr bleibt unaufgeschlagen; sie hat ihren eigenen Film im Kopf. Die endlosen Sonnennachmittage in der Sandkiste, dreckige Kinderpfoten, die glücklich das Schokoeis mit dem Gatschsand vermischen und dir Schneckenhäuser gefüllt mit Löwenzahn servieren, das Bitte bitte Mama, darf mein Freund bei mir übernachten, und dann liest du den roten Kinderwangen deine Lieblingsbücher vor, rührst morgens im Grießbreitopf und als die Mutter ihn abholen kommt, servierst du ihr lächelnd den Kaffee und Prosecco dazu.
Als später die Kinderzimmertür aufgeht, blickt sie auf. Doch Konrad geht nur aufs Klo. Sie legt sich mit der Zeitung aufs Sofa. Einmal Klogehen gegen einmal Ausflug, sagt es in ihr. In ihrem Kopf Konrad, in seinem Zimmer, krampfhaft versuchend, den Harndrang zu unterdrücken. Sie starrt auf die Tür. Konrad, dahinter, im Kampf mit sich selbst. Schließlich kapitulierend, in kurzer Hose, Kappe und Ball unterm Arm: Gehen wir raus, Mama!
Kocht sie die Fleischbällchen eben zu Mittag. Mit Paradeissoße, die darf die Fleischbällchen sogar berühren. Als die Soße blubbert und die Bällchen in der Pfanne braun sind, schöpft sie sie in den Topf mit der Soße und ruft Konrad.
Keine Antwort. Er sitzt noch immer inmitten seiner Legosteine am Boden. Dreht nicht den Kopf, als sie reinkommt.
Riech mal wie gut, will sie sagen, und ihm den Topf unter die Nase halten, doch Konrad ist schneller. Keine Lust, sagt er. Lego.
Einen langen Moment steht sie da, in ihrem Kopf Bilder, wie sie ihm den Topf auf den Kopf drischt und Fleischbällchen in Nahaufnahme eine Soßenspur über den Boden rollen; Bilder, vor denen sie sich im tiefsten Winkel ihres Herzens verstecken will.
Sie geht in die Küche, setzt sich vor ihren Teller und wartet darauf, dass ihre Hand den Schöpfer ergreift.
Als Konrad kommt, geht die Sonne auf, und die Fleischbällchen sind noch warm. Geschäftig teilt sie aus, Soße auf die Teller, fünf oder sieben Bällchen für dich? Immer muss es eine Primzahl sein, und dann sitzt sie da, freudig lacht es in ihr, ein gemeinsames Mittagessen, das reicht doch, und dann nimmt Konrad seinen Teller und geht zur Tür hinaus. Lego essen, sagt er.
Die Fleischbällchen im Topf lachen sie aus, 12 sind es; und dann ist Konrad auf den Knien, sein Blick am Kinn gepackt zu ihr gezwungen, die blonden Haare auf die Stirn gepappt. Der Topf in ihren Händen zittert, es klingt hohl, als er auf dem Boden aufkommt. Jemand schreit, so schrill, es bohrt in ihr Hirn, sie muss weg; sie steht unten am Platz und blickt zum Fenster hinauf, dahinter Konrad, rotüberströmt und am Boden der Topf; feingefranst gesprühte Tropfen auf den säuberlich sortierten Legosteinen; Konrad auf den Knien, er flattert mit den Armen durch die Steine, vermischt und verwischt sie im Rot; und sie lauscht ihrem Herzschlag, lauscht den Vögeln im Baum über ihr, lauscht nach Autolärm, lauscht nach irgendetwas, das den Schrei in ihr übertönt.
Es dauert Minuten, bis sie hinaufgeht. Im Kinderzimmer eine Lache am Boden, in die Fugen im Parkett gekrochen. Das wird sie abschleifen lassen müssen.
Konrad findet sie im Bad unter dem Waschtisch. Als sie ihn hervorzieht, um ihm Gesicht und Hände zu waschen und die bespritzten Kleider auszuziehen, wehrt er sich nicht, doch als sie ihn nachher zum Essen setzen will, geht er still in sein Zimmer, klettert ins Bett und zieht sich die Decke über den Kopf, so dass nur eine Haarsträhne hervorlugt.
Nach einer Ewigkeit dreht sie sich um, schließt die Tür hinter sich und setzt sich zu Tisch. Die Fleischbällchen sind kalt. Den Gedanken, das große Messer zu nehmen und auf die Decke in Konrads Bett einzustechen, schiebt sie mit jedem Bissen verzweifelter beiseite. Kinder brauchen Liebe und Nähe. Normale Kinder: ja. Konrad: nie. Da steckt es im Messerblock, die Schneide verborgen, der Griff so schmeichelnd. Sie weiß, wie gut es in ihre Hand passt, das runde glattpolierte Holz. Ob die Daunen aus der Decke flögen? Wie Vögel, denkt sie, kleine weiße flatternde Vögel, die mit Zirpen und Zwitschern den Raum füllten, den großen leeren Raum in ihr, der mal voller Liebe war.
Caren Ohrhallinger ist Jahrgang 1976, in Oberösterreich am Land aufgewachsen und lebt nun mit Partner und Tochter in Wien. Sie studierte Architektur an der Angewandten, baute nach dem Studium gemeinsam mit Partner:innen ein Büro für Architektur und partizipative Planung auf, ist nun hauptsächlich Prozessbegleiterin für räumliche Entwicklungsprozesse und engagiert sich für Baukultur. So arbeitet sie mit Menschen und den Geschichten um die Menschen und die Projekte herum, mit Installationen und Aktionen im öffentlichen Raum, mit Gestaltungskonzepten, die Geschichten erzählen, und hat zahlreiche Fachbeiträge und Essays publiziert.
Über #kkl HIER
