Rose Ausländer (nicht) in Prag

Irena Habalik für #kkl46 „Traum, Realität, Wirklichkeit“

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Rose Ausländer (nicht) in Prag

Immer wolltest du nach Prag, immer stand etwas dazwischen.

Alle Wege führen dorthin, der Himmel ist unruhig, ist grau, ist golden, an der Moldau schreien Möwen, an den Engelsköpfen dämmern Tauben und ein Schwarm von winzigen Vögeln, kleine Steinchen leuchten an den flachen Gräbern, mit Konservendosen dekorierte Fensterauslagen, in der Altstadt schön verputzte Fassaden (potemkinsche Fassaden?).

Schlange stehen: Bananen, Kristall, Kaffee, eine Frau mit Tochter schleppt zwei Bananensäcke, Smetana unter der Trauerweide, Shakespeare im Nationaltheater, Jan Hus auf dem Sockel: „liebt euch, die Wahrheit gewinnt“. Eine Frage hinter dem Rücken: „Change Money?“ Soldaten vor der gelben Kaserne, so gelbloyal, so heimatlich nachdenklich, kahle Bäume, aber schon verkauft man den Schnee auf dem Hradschin um 200 Kronen und ein Kahlköpfiger meint: „die Kahlköpfigen lassen sie in Ruhe, nur die heißen Köpfe sind denen zu heiß“.

Im Café Slavia liest man Havel, Goethe war nicht hier, aber Apollinaire und Hašek, Mädchen überall, so böhmisch schön, so powidlsüß und alle wollen nix wie weg.

Manche trinken Punsch, weil es kalt ist, manche essen Eis, weil es nicht eiskalt ist, manche winken vergnügt, laufen weiter, weil in Bewegung Hoffnung ist, manche warten auf den nächsten Frühling, weil der Frühling die Wahrheit bringt.

Hinter dem Fenster übt einer Klavier, es wird gefeiert (schon im voraus?), hinter dem Fenster schreibt einer einen Bericht (für die Akademie?), einer verläuft sich im Gedränge des goldenen Gäßchens, und ein anderer will nicht mehr warten, er springt über die Mauer, es wird dunkel, es fallen Schüsse.

Immer wolltest du dorthin. Prag trauert um deinen Traum, ich trauere um Prag (November 1987)

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Irena Habalik, stammt aus Polen, lebt in Wien. Schreibt Lyrik, Kurzprosa, Aphorismen. Publikation von zahlreichen Gedichtbänden, zuletzt „Male dein Schweigen“, Gedichte (Ludwigsburg: Pop Verlag, 2021). Einige Preise, u.a. Theodor-Körner-Preis (Wien 1987).

Näheres unter: https://irenahabalik.wordpress.com

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