Stephan Zwerenz für #kkl46 „Traum, Realität, Wirklichkeit“
Im Paradies
Im Paradies angekommen
durchwandere ich in der Gestalt eines Embryos
glühend weiße Milchpaläste
Ich bin umgeben
von smaragdgrünen Schlinggewächsen
und ein warmer Hauch
bewegt mein Gewand aus edlem Zephir
Ich schwitze Blut
und spitze Steine
Sirupartig fließt die Masse
an meinem Gesicht herab
bildet Tröpfchen
an meiner Nasenspitze
Ein Gefühl wirft
tausend Schatten
auf alles
was mich umgibt
Es umgibt die Dinge
mit silbergrauglänzenden Sphären
mit honigfarbenen
oder teerflüssigen Tönen
und durch
die Ereignisse meines Lebens
zieht sich ein Netz
aus Silberfäden
das zerrissen wird
im Moment des Erwachens
Oben
Morsch sind die Stufen
die zum Dachboden führen
Brüchig das Holz
das Treppengeländer
Rissig das Gewebe
das Tuch über der Truhe
Lack blättert von den Wänden
von der Haut
auf die Schuhe
Der Raum
nur spärlich beleuchtet
von einer staubigen Glühbirne
Ein Zug fährt zwischen die Bretter
fährt über den Boden
fährt in mich hinein
Kein Grund noch zu suchen
denn dort
ist es schon
Stumpf beleuchtet
die Imitation eines Wohnzimmers
die Sitzmöbel auf einen Spiegel gerichtet
dazu gibt es eine alte Fernbedienung
Wir setzen uns
schalten durch das Programm
Auf allen 150 Kanälen
ist dasselbe Bild zu sehen
Wir sehen uns selbst
unentwegt verfaulen
und die Lider werden uns schwer
bis die Augen endlich geschlossen sind
dann hören wir dem Haus
beim Atmen zu
und riechen uns satt
an den modrigen Wänden
Des Nachts
Der Schlaf
bedrohte sie
Jede Nacht
war eine Zumutung
Fremde Männer
standen am Bettrand
sagten kein Wort
taten nichts
warteten bloß
Offenen Auges
fürchtete sie ihre
abschätzigen Blicke
Übernächtigt
gähnte ihr
die Stadt entgegen
forderte von ihr
was sie nicht konnte
und gab ihr
was sie nicht wollte
Erkenntnis
Ich war mir sicher
dass dort jemand war
in der Dunkelheit
der die Hand aufhielt
und ich wie gelähmt
wusste nichts damit
anzufangen
Ich stand vor
leeren Eichentischen
die lud ich
voller Speisen
die verfaulten
und ich wusste
nicht wofür
Die große Müdigkeit
traf mich mit
ungeheurer Wucht
doch ich überwand mich
und blieb wach
bis in Erschöpfung
ich dachte:
Das ist das Leben
Stephan Zwerenz (*1987 in Gotha), studierte Literatur- und Kulturwissenschaften, sowie Philosophie in Dresden. Ist seit 2010 als freier Schriftsteller, Künstler und Kurator tätig. Spielt Schlagzeug. Als Gründungsmitglied des HOLE OF FAME in Dresden gestaltete er lange Zeit das Literaturprogramm, kuratierte und organisierte dort aber auch andere Veranstaltungen wie etwa Konzerte, Ausstellungen, Vorträge, Workshops und genreübergreifende Projekte. Außerdem war er für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Als freier Journalist schrieb er zudem Texte für verschiedene Zeitungen und Magazine. Aktuell ist er vor allem als freier Autor und Dramaturg tätig.
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