Doreen Pitzler für #kkl46 „Traum, Realität, Wirklichkeit“
Von der Realität und den Träumen
Unruhig warf sich Kevin hin und her. Seine Augenlider zuckten dabei heftig im Schlaf.
Es war wieder dieser spezielle Traum. Seit Tagen träumte er immer wieder von Nebel, verirrten Sonnenstrahlen und diesem Mann. Er sah aus wie ein Geist im Nebel und schien etwas sagen zu wollen, aber Kevin verstand die Worte nicht. Auch wenn sich seine Lippen bewegten, so hörte er ihn nicht. Er sah nur den Schmerz in den schönen Augen.
Der Mann stand auf einer Anhöhe, hinter ihm eine dicke Nebelwand. Der Mann hatte lange schwarze Haare und trug einen recht auffallenden hellen Mantel. Dieser sah aus wie eine Art Gehrock aus vergangenen Zeiten.
Immer wieder sah Kevin dessen Augen vor sich, selbst wenn er wach war, verfolgte sie ihn.
Mit einem leisen Schrei und klopfenden Herzen wachte er auf. Das Schlafzimmer war dunkel, nichts rührte sich.
Der junge Mann wischte sich über die Stirn. Fast hatte er das Gefühl, der Mann wäre bei ihm. Ein Frösteln kroch über seinen Körper. Müde erhob er sich und tappte ins Bad. Dieser Traum ließ ihn nicht los. Es war immer der gleiche Hintergrund. Ein Mann, der aus dem Nebel auftauchte und etwas sagte. Die Worte verstand Kevin jedoch nicht. Der Mann deutete auf etwas und dann brach die Sonne durch den Nebel.
Kevin machte sich frisch, bevor er wieder ins Bett stieg, schlafen konnte er jedoch nicht.
„Verflucht“, brummte er. Dank der recht schlaflosen Nacht war er müde und konnte sich kaum konzentrieren. Dabei war das bei seiner Arbeit als Rettungssanitäter wichtig. Hier standen Leben auf dem Spiel. Dieser Tag heute jedoch war ruhig, nur ein paar Einsätze mit Leichtverletzten. Müde wischte er sich über die Augen, als er mit seiner Kollegin am Rettungswagen stand. Sonja musterte ihn neugierig, sagte aber nichts. Sie schätze Kevin sehr, dass er nun aber ständig müde war, war nicht gut.
„Guten Tag“, sagte eine ältere Frau. Sie schenkte Sonja ein Lächeln, bevor sie Kevin von oben bis unten musterte. Es schien, als würde ihr Blick ihn durchbohren und sie würde direkt in seine Seele schauen.
Ihre stechend braunen Augen fixierten ihn und Kevin wollte schon einen Schritt zurücktreten.
„Fahren Sie an Samhain nach Irland. Besuchen Sie diesen Ort auf der Karte. Der Traum lockt sie dort hin. Finden Sie einen Feenhügel, dann wird der Geist Sie rufen.“ Damit reichte sie ihm eine kleine Karte und verschwand. Sprachlos sah Kevin ihr nach und hörte plötzlich eine Stimme die seinen Namen sagte. Er fühlte etwas kühler auf der Stirn und musste seine Finger wurden kalt. Dann war der Moment vorbei.
Er warf Sonja einen Blick zu, diese hatte jedoch nichts bemerkt.
War die Frau verrückt? Aber woher wusste sie von dem Traum? Er selber nannte es schon Visionen. Sie jagten ihm Angst ein, da er sie nicht verstand.
Nachdenklich steckte er die Karte ein, sie mussten zurück zur Arbeit. Dennoch blieb da dieses komische Gefühl.
Den Rest des Tages dachte Kevin weder an den Traum, noch an diese merkwürdige Frau. Erst als er zu Hause war und den Mantel auszog, fiel ihm die Karte in die Hände.
Nachdenklich sah er sie eine Weile an und drehte sie zwischen den Fingern.
„Ach was soll’s“, murmelte er.
Mit einem Bier setzte er sich an den Laptop und machte sich auf die Suche nach Samhain.
Recht schnell wurde klar, dass Samhain nur ein anderer Begriff für Halloween war.
Es war eines der vier großen irisch-keltischen Feste. Samhain stand für den Beginn des neuen Jahres bei den Kelten und wurde groß gefeiert. Jedoch nicht wie heute mit einem Konsumrausch. Es war die Zeit des Dankes. Die Ernte war eingefahren und die Menschen bereiteten sich auf den Winter und die dunkle Jahreszeit vor. Man gedachte der Toten, an all die Lieben, die man verloren hatte. Man feierte sie oder lud sie wieder zu sich ein.
Denn an diesem Tag waren die Toren zwischen den Welten offen.
Kevin runzelte fragend die Stirn. Das klang völlig albern. Als ob Geister zurückkehren konnten? Oder überhaupt existierten. Das war einfach nur albern.
Er wollte schon den Laptop zuklappen, als er wieder einen Blick auf die Karte warf. Dort war ein Ort benannt, der etwas in ihm zum Klingen brachte.
Rathcroghan!
Darunter stand: Dies ist die berühmteste mythische Stätte Irlands.
Ohne darüber nachzudenken, tippte er den Namen ein und war überrascht, was es alles zu lesen gab. Dieser Ort war berühmt für seine magischen Kräfte. Er sollte auch ein sogenannter Feenhügel sein, der den Übergang in die Ansderswelt ermöglichte.
Kevin fröstelte und schaltete den Rechner aus. Er brauchte dringend Schlaf, wenn nur nicht seine Träume wären.
Auch in dieser Nacht war der Fremde wieder da. Er stand von einem Wald aus Nebel. Dahinter war die Ruine von Rathcroghan zu erkennen. Der Mann folgte mit den Lippen Worte, die Kevin nicht hörte, aber er wusste, dass er dort hinmusste.
Er musste den Mann finden.
Da er noch Urlaub hatte, buchte er am nächsten Tag einen Flug nach Irland. Immerhin war bald Samhain und er spürte, dass er dann dort sein musste.
Er würde eine Nacht im Ard na Sidhe Country House übernachten und dann weiter fliegen an die Nordküste Irlands, um genau zu sein zu der Burgruine von Rathcroghan. Dort sollte es viel Wissen über die alten Bräuche geben. Irgendetwas sagte Kevin, dass er das brauchen würde.
Das Hotel in Killarney war wunderschön am Wasser gelegen. Es war teuer, aber das war es ihm wert. Seine Visionen hatte ihn hierhergeführt. Auch in dieser Nacht träumte er wieder von dem Mann. Kevin wandte sich unter seiner Decke.
>Du bist hier, endlich. Komm nach Rathcroghan. Ich werde dich dort finden<, sagte der Mann.
„Wer bist du?“, wollte Kevin wissen.
>Mein Name ist Sash. <
Er lächelte und sah ihm dabei direkt in die Augen. Ein Sonnenstrahl drang durch den Nebel und ließ Sash Augen golden funkeln.
Mit klopfende Herzen erwachte der junge Mann am frühen Morgen und hatte fast das Gefühl, der Geist wäre bei ihm.
„Ich komme zu dir“, flüsterte Kevin.
Das Frühstück war gut und reichhaltig, aber er nahm es kaum wahr. Seine Gedachten kreisten nur um Sash. Was wollte er von ihm? Warum träumte er immer wieder von ihm? Es gab zu viele Fragen.
Die Fahrt nach Rathcroghan rauschte an ihm vorbei. Je näher er dem Ziel kam, desto nervöser wurde er.
Hier sollte ein Hügelgrab existieren und man könnte den Übergang in die Anderswelt antreten.
Allerdings hatte Kevin nicht damit gerechnet, hier auf so eine Menschenmenge zu treffen. Die Leute wollten Halloween oder Samhain hier in Rathcroghan feiern.
Die alten Festungsmauern standen stolz da und wurden von grünen Wiesen umrahmt. Über ihm schien die Sonne und es war recht angenehm für Ende Oktober.
Missmutig beobachte Kevin die Menschen und verfluchte sich, dass er sich nicht vorher schlau gemacht hatte. Aber was hatte er auch erwartet? Dass das Areal leer war? Scheinbar nicht. Es gab viele Menschen, die dem alten Glauben nachhingen und darauf warteten, einen Geist zu sehen.
Was er jedoch nicht ganz verstand. Waren Geister nicht böse? Sollten die Menschen nicht Angst haben? Scheinbar war es hier anders. Tief ins einen Gedanken gefangen wanderte über das Gelände. Überall tummelten sich verkleidete Menschen. Sie lachten ausgelassen und schienen Spaß zu haben.
Kevin seufzte, bevor er sich einen ruhigen Platz suchte und sich dort niederließ. Er schloss die Augen und dachte erneut an Sash.
Er hatte sich nie für einen Seher gehalten, konnte er doch weder Geister noch die Zukunft sehen. Warum ihn dieser Mann nun zu sich rief, wusste er nicht.
Wie von selbst kam der Traum und er sah Sash vor sich stehen. Wie schon zuvor trug er einen langen hellen Gehrock. Die Haare wurden vom Wind verweht.
>Du bist angekommen. Ich werde dir den Weg weisen. < sagte Sash.
Mit einem Ruck erwachte Kevin und sah sich um. Nichts hatte sich verändert. Er saß immer noch an einen Baumstamm gelehnt.
Gerade als Kevin sich aufrichten wollte, wurde es plötzlich kalt. Dichte Nebelschwaden zog auf und hüllte ihn ein. Frösteln schlang Kevin die Arme um seinen Körper.
Da schälte sich eine Gestalt aus dem Nebel. Zuerst war es nur ein Schatten, aber dann kam der Mann auf ihn zu. Es war Sash – der Mann aus seiner Vision.
„Hallo Kevin, folge mir. Ich bin nur der Bote und bringe dich nun zu deinem Ziel.“
Der Mann nickte ihm zu und wandte sich ab. Völlig perplex folgte Kevin ihm durch den Nebel hindurch. Sash lief mit schnellen Schritten vorneweg, er sprach kein Wort. Viel eher ignorierte er Kevin.
„Wo bringst du mich hin? Was geschieht hier? Bitte sag es mir“, flehte er.
Aber Sash schwieg immer noch. Der Mann ging weiter, bis sie eine kleine Hütte erreichten. „Sie wollen dich kennenlernen.“
Verwundert sah Kevin sich um. „Wo sind wir hier? Wer wartet doch auf mich? Sash, bitte.“ Er schwieg und sah seinem Begleiter in die Augen. Aber diese wirkten kühl, distanziert, als wäre ihm, dass alles egal.
„Ich dachte, du rufst nach mir.“
Kein Muskel zuckte in dem hübschen Gesicht. „Nein und jetzt geh.“ Damit drängte er Kevin zu der niedrigen Tür. Mit klopfenden Herzen trat er hindurch – und schrie.
Der Schrei halte durch den Raum, als er ruckartig erwachte. Sofort eilte eine Schwester zu ihm. Kevin wand sich auf dem weißen Laken hin und her. Besorgt fühlte die Frau seinen Puls, dabei wusste sie, dass er viel zu schnell schlug.
Schon seit fast acht Jahren war der Mann bei ihnen. Ihn quälte immer wieder die eine Traum. Auch wenn Kevin nicht gefährlich sein mochte, so hielten ihn die Ärzte hier im Sanatorium fest. Alleine leben konnte er nicht. Er sprach immer von einem Mann im langen Mantel und anderen Geistern.
„Ganz ruhig, mein Junge. Alles wird wieder gut“, sagte sie leise. Dabei wusste sie, dass es kein Erwachen gab – zumindest nicht für ihn.
ENDE
Doreen wurde 1986 in Sachsen-Anhalt geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Schon früh entwickelte sie eine Vorliebe für gute Geschichten und inspirierende Welten. Zu Schulzeiten verband sie diese Vorliebe mit ihrer eigenen blühenden Fantasie und begann mit den Schreiben eigener Geschichten. Heutzutage ist das Schreiben ein willkommener Ausgleich zu ihr Bürotätigkeit. Bevorzugt begibt sie sich literarisch in eine homoerotische Männerwelt.
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