Michael Eschmann für #kkl46 „Traum, Realität, Wirklichkeit“
Die Verabredung
Unruhig ging der Blick zur Uhr. Kurz nach 15.00 zeigte das Ziffernblatt an. «So spät schon! »sprach er zu sich selbst. «Ich bin heute spät dran. Viel zu spät. Früher passierte mir das nie! »Sein Schritt war schwerfällig, irgendwie müde geworden. Etwas in ihm war verändert. «Was man nicht versteht, kann man auch nicht erklären», murmelte er halblaut vor sich hin. Eigentlich hätte nun das Geschäft aufgeschlossen werden müssen. Nur selten kam noch jemand vorbei. Aber heute gab es diese Verabredung. «Wenn geschlossen, bitte dreimal kurz klingeln! »Das kleine Schild hing oft an der Tür. Meist war er dann unten im Keller, beim Aufräumen. Das machte er gern. Dinge sortieren. Dadurch wurde allem eine Ordnung zurückgegeben. Was, wenn er doch nicht kommen würde? Er war unsicher. Sein Blick ging erneut zur Uhr: 15.33. Noch fast drei Stunden! Hoffentlich reicht die Zeit, dachte er. «Eine Sache muss ordentlich zu Ende gebracht werden», pflegte der Vater gerne zu sagen.
***
Die schwere Bücherkiste stand im Weg. Er bückte sich, hob sie langsam an und ging damit zur Kellertreppe. Nun zählte er die zwölf Stufen, die ins Lager führten. Schnell schmerzte der Rücken. Er fluchte leise, als er plötzlich glaubte, die Klingel zu hören. Diesmal klang sie aber irgendwie anders. Etwas dringlicher auch wurde nicht dreimal, sondern viermal geläutet. Es schien wichtig zu sein! Jetzt schnell zurück, dachte er! Vielleicht hat er sich in der Zeit geirrt und ist früher gekommen, als verabredet war. Oder vielleicht möchte er gar absagen? Er hielt die Kiste fest an sich gedrückt. Eine kleine, ungeschickte Drehbewegung nach links auf der neunten Stufe und er verlor das Gleichgewicht. Der rechte Fuß ging ins Leere. Die Kiste stürzte laut in den Kellerraum. Sein letzter Blick galt einem alten Ledereinband in französischer Sprache, der aufgeschlagen zu Boden fiel. Wie ein schwerer Stein folgte der Körper hinterher. Noch im Fall dachte er, dass dies alles ein Missverständnis sein müsse und vielleicht die Kinder aus der Nachbarschaft wieder unerlaubt die Klingel benutzt hätten. Sie ärgerten ihn gerne. Er mochte sie nicht. Jetzt jedoch wusste er, warum das Klingeln so unbekannt in seinen Ohren klang. Es hörte sich geradezu heiter an. Zwar fremder, jedoch nicht unangenehm, eher einladend und erinnerte an ein fernes Glöckchen. Später notierte der Pathologe: «Exitus: Schädelbasisbruch mit Fraktur des zweiten und dritten Halswirbels. »
Michael Eschmann, geboren 1958 in Mannheim. Er schreibt neben journalistischen Beiträgen über Literatur und Kunst auch Gedichte, Kurzgeschichten, Hörspiele und Theaterstücke. 2015 Veröffentlichung des Dramas: „Dantons Tod in Weiterstadt“. *** Ferner Veröffentlichungen in Online-Magazinen, Blogs und Literaturzeitschriften. *** Er betreibt in Groß-Gerau ein Versandantiquariat.
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