Tasmanien

Herbert Glaser für #kkl46 „Traum, Realität, Wirklichkeit“





Tasmanien

Schatz, ich möchte mit dir so gerne nochmal zu unserem Lieblingsstrand.


Gabi läßt nicht locker. Unsere Hochzeitsreise nach Tasmanien, der australischen Insel am anderen Ende der Welt, war phantastisch verlaufen. Unsere Begeisterung war so groß, dass wir uns nach der Rückkehr gegenseitig versprachen, diesen Trip nach zehn Jahren anlässlich unserer Rosenhochzeit zu wiederholen. Aber wir befinden uns gerade einmal im siebten Ehejahr. Deshalb verstehe ich nicht, warum sie schon jetzt gar so vehement darauf drängt.



Erinnere dich doch, wie glücklich wir in den drei Wochen gewesen sind.



Sie hat ja recht! Alles begann mit dem Film „The Hunter“ mit Willem Dafoe und Sam Neill. Die Handlung dieses Abenteuer-Thrillers spielte zum großen Teil auf Tasmanien und weckte unser Interesse an der Insel. Nach intensiven Internetrecherchen hatten wir unzählige Sehenswürdigkeiten und Ausflugsziele entdeckt und begannen mit den Planungen für die Reise.



Ich weiß, dass ich am Anfang skeptisch war. Vor allem wegen der langen Anreise mit den zwei Zwischenlandungen. Aber schon unser erster Ausflug hat mich für alles entschädigt. Dich doch auch, oder?



Die lange Flugzeit war tatsächlich eine Tortur. Nach der Landung in Hobart, der Hauptstadt Tasmaniens, fuhren wir erst mal ins Hotel und erholten uns von den Strapazen. Am nächsten Morgen machten wir dann einen Trip in einem Shuttlebus auf den Mount Wellington. Er ist mit 1271 Metern die höchste Erhebung der Insel Tasmanien und liegt oberhalb von Hobart.



Die Aussicht auf die Stadt und die Umgebung hat mich überwältigt. Eigentlich wollten wir an diesem Tag noch einen Stadtbummel machen, aber ich konnte mich einfach nicht losreißen. Und dann diese Luft! Ich kam mir vor wie in einer anderen Welt.



Tasmanien gilt tatsächlich als der Ort mit der saubersten Luft und dem saubersten Wasser der Welt. Daraus wird auch der spezielle tasmanische Whiskey hergestellt, den ich seit damals so gerne trinke.



Vielleicht ist der geplante Sessellift schon fertig, wenn wir wieder dort sind. Dann können wir beim Hochfahren die Aussicht viel besser genießen als in dem Bus.



Es überrascht mich, welche Pläne Gabi bereits hat. Das geht mir eigentlich alles viel zu schnell. Aber natürlich habe auch ich nur angenehme Erinnerungen an die Reise. Ich muss an das Fotobuch denken, das wir nach unserer Rückkehr in wochenlanger Arbeit zusammenstellten. Im ersten Teil ging es vorwiegend um Hobart. Nachdem wir die Stadt und das Umland ausgiebig erkundet hatten, mieteten wir einen Leihwagen und machten uns auf den Weg zum größten Stausee Australiens.




War das nicht der erste Punkt, den wir bei unseren Recherchen auf Google Maps entdeckt haben? Wir haben uns noch gewundert, wo diese Landstraße von Hobart aus plötzlich endet. Bei genauerem Hinsehen sind wir dann beim Gordon Dam gelandet, der riesigen Staumauer mit dem größten Wasserkraftwerk Tasmaniens. Erinnere dich daran, wie wir Hand in Hand auf den Damm gegangen sind.




Ich bin nicht schwindelfrei – absolut nicht! Und immerhin ging es 140 Meter in die Tiefe. Aber dieses Erlebnis durfte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Und sogar jetzt spüre ich ein starkes Kribbeln im Bauch, wenn ich nur daran denke.



»Sie sind auf dem richtigen Weg. Weiter so!«



Was ist das für eine Stimme? Wer ist dieser Mann? Ich weiß nicht …




Konzentriere dich! Nachdem wir den Southwest-Nationalpark durchwandert hatten, ging es zum absoluten Höhepunkt unserer Reise, der Wineglass Bay.



Die Bucht an der Ostküste der Insel gilt als einer der zehn schönsten Strände der Welt. Vom Parkplatz aus ging es zu Fuß erst einmal hinauf zur Aussichtsplattform.



Der Blick hat alles übertroffen, was wir bis dahin gesehen hatten. Für uns war dies nicht irgendeine Bucht, sondern der romantischste Ort, an dem wir jemals waren.



Den Namen verdankt die Bucht übrigens seiner Form, die an ein Weinglas erinnert, und der Tatsache, dass dort früher Walfang betrieben wurde und sich das Wasser seinerzeit rot färbte.



Komm, lass uns hinuntergehen. Hörst du schon das Meeresrauschen?



Wir kommen vom Wanderweg direkt zum Strand. Ich ziehe meine Schuhe aus und genieße den feinkörnigen Sand. Das Meer schmeichelt meinen Ohren und ich fühle Gabis Hand in meiner.



Hier, erkennst du den Geschmack? Den liebst du doch so.




»Nicht zu viel, nur ein paar Tropfen!«



Schon wieder diese Stimme. Wer zum Teufel ist das? Der Geschmack des Whiskeys lässt mich die Frage sofort wieder vergessen. Ich befinde mich am Strand der Wineglass Bay, spüre den Sand zwischen meinen Zehen, die Sonne auf meiner Haut, den Whiskeygeschmack auf meiner Zunge, Gabis Berührung … und öffne die Augen.


 

  • „Hallo Schatz, du bist zurück.“ Gabis Augen füllen sich mit Tränen.
    „Zurück?“ Meine Stimme ist brüchig, ich muss mich mehrmals räuspern. Ich liege in einem Bett. „Woher zurück? Wo bin ich?“
    „Du hattest einen Unfall … mit dem Rad und …“ Gabis Stimme bricht, sie lässt meine Hand los und dreht sich auffordernd zu einem Mann in weißem Kittel um, der hinter ihr steht. Er schaltet ein Wiedergabegerät aus, woraufhin das Meeresrauschen verstummt und tritt zu mir. „Ich bin Doktor Röntsch, ihr behandelnder Arzt. Sie hatten eine schwere Gehirnerschütterung und lagen im Koma. Obwohl Sie inzwischen körperlich wieder absolut gesund sind, blieben Sie in ihrer Bewusstlosigkeit gefangen. Wir wussten nicht, warum. Alle unsere Maßnahmen waren erfolglos. Ihre Frau hatte schließlich die Idee, sie mit der Erinnerung an Ihre Hochzeitsreise zurückzuholen.“ Röntsch lächelt Gabi anerkennend zu. „Offensichtlich mit Erfolg. Ich lasse Sie beide jetzt allein. Willkommen zurück!“
    Gabi tritt wieder an mein Bett. „Was hältst du davon, wenn wir unseren zweiten Besuch auf Tasmanien vorziehen. Natürlich erst, wenn du wieder vollständig gesund bist?“
    Dankbar lächle ich sie an. „Ich kann es kaum erwarten“ –



Herbert Glaser, Jahrgang 1961, arbeitet als Sounddesigner bei einem großen Münchner Fernsehsender und legt dabei fehlende Töne für Spielfilme und Dokumentationen aller Art an.

Inzwischen gibt es über 40 Kurzgeschichtensammlungen verschiedenster Verlage, in die eine Geschichte oder ein Gedicht von ihm aufgenommen wurde.

2019 erschien im Verlag tredition sein erster Roman Neustart und ein Jahr später die Anthologie kurz und schmerzend mit allen bis dahin geschriebenen Kurzgeschichten.

Mit seiner Frau lebt er nördlich von München. Sie freuen sich über drei erwachsene Kinder und fünf Enkel.

https://autor-herbert-glaser.jimdosite.com






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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