Elisabeth Gschosmann für #kkl47 „Symbolik“
Der Teufel ist auch nur ein Engel
Die Welt brennt und deine Eimer bleiben leer. Die Wasserquelle liegt dir zu Füßen, doch dein einziger Schritt ist der in Richtung Zigarettenautomat. Kaum bist du mit einer fertig, zündest du schon die Nächste an. Du wirfst die Stummel deiner Sucht in das Feuer, siehst wie es hochfährt und dann wieder vor sich hin lodert. Der gesamte Planet brennt vor dir, der Rauch aus deinen Lungen vermischt sich mit dem des Feuers.
Seit Tagen stehst du nun hier, deine erste Zigarette rauchtest du noch ruhig und still, der Mülleimer war dir nicht zu weit weg. Doch bei der zweiten schon waren dir zwei Schritte zu weit, der vertrocknete Ast, der einst ein Baum werden sollte, wurde dir zum Opfer. Du warfst die brennende Zigarette auf ihn, der Ast fing Feuer und du schautest zu. Ein boshaftes Grinsen füllte dein Gesicht. Ach, wie schön diese Wärmequelle doch ist. Wie hell die Flammen leuchten und wie sich das Farbspiel in deinem Gesicht widerspiegelt.
Die Welt brennt und du schaust zu. Du siehst, wie sie Stück für Stück zerfällt und erwartest sehnsüchtig das Häufchen Asche, das es werden soll. Sie brennt lichterloh, doch du freust dich darüber. Freust dich, dass dein ein und alles in Flammen steht und dich bald mit diesen umarmen wird. Preisen wird man dich, als wärst du eine höhere Macht. Dein Verdienst ist es, dass wir alle brennen. Dass die Tränen in unseren Augen im Einklang mit denen der Erde leuchten.
Eine Glocke läutet. Es ist halb zwölf Uhr nachts. Du blickst hinauf und versuchst die Sterne zu zählen, doch der Rauch umringt dich. Das Echo der Glocke hallt durch die Stadt und du lachst, wissend, dass bald alles zerfallen wird. Als Zelebration entzündest du alsbald die nächste Zigarette, diesmal wirfst du nicht nur den alten Stummel in das Feuer, sondern greifst nach allem, das in deiner Reichweite ist. Das Feuer flammt empor, es reicht dir nun bis zur Schulter. Die lodernden Flammen spiegeln sich in deinen Augen wieder und du lachst. Du lachst und lachst und kannst gar nicht mehr aufhören. Mit gutem Gewissen verbrennst du Seelen, verbrennst Wünsche und Träume. Kein Muskel in deinem Körper schreckt vor den Erwartungen der Menschen zurück, denn du würdest am liebsten die gesamte Stadt in Flammen sehen. Sie soll brennen, lichterloh, und sie soll in Asche zerfallen. Die Menschen sollen leiden, versuchen, vor dem Feuer zu flüchten, nur um dann kläglich den Flammen zu erliegen. Der Gedanke an das bevorstehende Massaker und den Tod, den du in die Stadt einlädst, füllt dich mit Energie und Freude.
Das Feuer wächst und du entzündest die nächste Zigarette. Rauchen, ja das entspannt dich immer. Ob du wohl feuerresistent bist? Du flüstert zu dir selbst, andere Menschen hören dir schon lange nicht mehr zu. Vermutlich weiß genau deswegen keiner von deinen Plänen für diesen Planeten, der da vor dir in Flammen steht. Keiner hört dir zu und das feuert dich an, weiterzumachen, weiter zu rauchen und in die Flammen zu starren.
Du hast Mauern aus Beton gebaut, so hoch, dass keiner ihr Ende erblicken kann. Du schränkst das Sichtfeld der Menschen ein, nimmst ihnen jeglichen Verstand. Du reizt sie, so sehr, dass sie die Flammen heute nicht sehen können. Du hast sie alle manipuliert, auch wenn sie dir nicht zuhören, sie folgen dir. Dein Wort ist heilig, es ist die Wahrheit und die Lösung. Die Lösung für Probleme, die du selbst geschaffen hast. Du bist keiner von ihnen, du bist kein Mensch. Du bist der Rauch, der deine Lungen füllt. Du bist das Feuer, das brennt. Du bist der Zigarettenstummel, der noch nicht vom Feuer erfasst wurde. Deine Beine tragen nicht nur deinen Körper, sie tragen Angst und Schrecken.
Erneut ertönt die Glocke. Ihr Läuten zieht durch die Stadt, gleich einer Welle aus Abschied und Trauer. Abschied von was? Nur du kennst die Antwort. Es ist Mitternacht und dein Plan wird erfüllt werden.
Neben dir steht ein grüner Kanister. In ihm befindet sich Benzin. Wie gut der wohl brennt, fragst du dich, während du die Öffnung aufschraubst. Die Menschen werden die Flammen sehen, das ist sicher. Sie werden die Wärme spüren, wie sie einst die Wärme deiner Umarmungen spürten. Du hebst den Kanister und breitest deine engelsgleichen Flügel aus. Nun ist es Zeit zu fliegen. Hoch und höher fliegst du, während du Benzin direkt in die Flammen leerst. Dein Ego wächst und wächst und so wachsen die Flammen. Innerhalb von Sekunden brennt der gesamte Hauptplatz lichterloh. Die Zeiger der Kirchenuhr, die dir vor Minuten noch die Uhrzeit bestätigten, werden nun unter dem Feuer verbogen.
Du lachst, während immer mehr Menschen aus Verzweiflung schreien und weinen. Tod liegt in der Luft. Wie ein Adler kreist du in der Luft über der Stadt und beobachtest das Feuer. Du siehst, wie es jahrelange Arbeit und Schweiß zerfrisst und bloß Asche übrig lässt. Wie die Bäume im Stadtpark Feuer fangen und gleich Domino-Steinen nacheinander umfallen und den nächsten Baum entfachen. Wie Gebäude lichterloh brennen und Menschen aus den Fenstern springen, in der Hoffnung, sie können sich noch retten.
„Es ist zu spät!“, schreist du den sterbenden Menschen zu und lachst. Sie haben dir geglaubt. Sie haben in dich vertraut und du hast dieses Vertrauen mit einem Hieb zerschmettert. Du lässt ihr letztes Hab und Gut in Flammen stehen. Im Norden der Stadt spielen noch fröhliche Kinder. In kurzer Zeit werden sie ihre Zukunft an deine Sucht verlieren. Eine Zigarette zu viel. Du nimmst ihnen die Chance, ihren Traumberuf zu finden und auszuüben. Du nimmst ihnen die Möglichkeit, alle Ecken der Stadt zu erkunden. Du nimmst ihnen das, das sie sich erträumt haben. Die Stadt ist alles, dass die Menschen haben, oder hatten. Diejenigen, die versuchen, vor dem wachsenden Feuer zu fliehen, hinterfragen ihre vergangenen Entscheidungen. Was haben sie getan, dass es soweit kommen konnte? Auch diese Frage wird verbrennen, gemeinsam mit den zahlreichen Ideen und Plänen, die sie sammelten. Die Menschen laufen um ihr Leben und du weißt, dass es sinnlos ist. Die Flammen übernehmen die Stadt und ziehen über diese wie ein Wind des Todes. Die Stadt versinkt und mit ihr die Menschen. Kinder, Alte, Arbeiter, Professoren, deine Anhänger und deine wenigen Gegner; sie alle blicken ein letztes Mal zu dir hoch, bevor sie mit ihrer Welt untergehen.
Stille. Die Stadt ist tot, bloß Beton und Eisen konnten deinen Flammen standhalten. Deine Flügel sind grau von Asche, du bist kein Engel mehr. Dein Werk ist vollbracht und du schwebst in der Luft. Was wirst du jetzt tun? Du sinkst auf den Boden und trottest über Asche und Überreste der Menschlichkeit. Wie wird es weitergehen? Ein Grinsen erstreckt sich über dein Gesicht. Du greifst in deine Tasche und ziehst eine kleine Schachtel heraus. Es ist Zeit, eine Zigarette zu entzünden.
Elisabeth Gschosmann (2005, aus Wien) ist Lehramtsstudentin für Deutsch und Englisch. Schon früh entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Schreiben, die sie seit der Volksschule begleitet. Heute verfasst sie Kurzgeschichten, Essays und Gedichte, in denen sie gesellschaftliche Themen aufgreift. Für sie ist das Schreiben eine kreative Möglichkeit, Gefühle auszudrücken und durch Sprache greifbar zu machen.
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