Melanie Jasmin Hütter für #kkl48 „Vernunft“
Der Blick
In meinem geliebten Café, nahe unseres Stadtparks meiner Heimatstadt, einem Ort der Ruhe und des Nachdenkens, sitze ich und lasse meinen Blick über das Treiben um mich schweifen. Endlich zeigt sich wieder die Sonne und wärmt mein sonnenhungriges Gesicht. Jede Sekunde hier ist ein kostbarer Moment, den ich in vollen Zügen genieße.
Gegenüber, zwei Tische weiter, sitzen Eltern mit ihrer kleinen Tochter, die fröhlich im Kinderwagen vor sich hinbrabbelt. Ihre großen, neugierigen Augen erkunden die Welt um sie herum, als ob sie die Geheimnisse des Lebens entschlüsseln möchten. Plötzlich trifft ihr Blick auf meinen. Ein Lächeln blüht auf ihren Lippen, und in diesem flüchtigen Moment fühle ich mich tief berührt. Es ist fast so, als wolle sie mir eine Botschaft übermitteln, eine Botschaft von Unbekümmertheit und Urvertrauen.
Die Zufriedenheit, die das Kind ausstrahlt, weckt Erinnerungen an meine eigene Kindheit. In dieser Unschuld liegt eine verborgene Weisheit. Das Vertrauen in das Leben selbst. Doch je älter wir werden, desto mehr neigen wir dazu, uns von der Vernunft leiten zu lassen. Wir wägen ab, analysieren und hinterfragen alles um uns herum, oft bis zur Überanalysierung.
Aus den Außenlautsprechern des Cafés erklingt leise ein alter Song aus den 80er Jahren, langsame und fast meditative Klänge umhüllen mich mit ihrer Melodie und lassen mich im Geist mitsummen. Der Vater wirft mir einen Blick zu, vielleicht ist es Neugier oder ein stilles Einverständnis? In diesem Moment wird mir bewusst: Er sieht nicht nur die Freude seines Kindes, sondern auch die Verantwortung, die damit verbunden ist. Die Vernunft fordert ihn heraus, Entscheidungen zu treffen und Risiken abzuwägen.
Ich frage mich: Wie oft verlieren wir im Laufe der Zeit dieses kindliche Vertrauen? Wie oft lassen wir uns von der Angst vor dem Unbekannten leiten? Während ich darüber nachdenke, spüre ich den Wunsch in mir aufsteigen, wieder mehr von dieser Unbekümmertheit zuzulassen, diese Fähigkeit zu vertrauen und das Leben in seiner Fülle anzunehmen.
Ich kämpfe mit den Gedanken in meinem Kopf. Ich versuche zu begreifen, was ich empfinde, ein innerer Dialog zwischen dem kindlichen Vertrauen und der nüchternen Vernunft des Erwachsenseins. Während ich darüber nachdenke, bestelle ich mir einen weiteren Cappuccino mit Schokoflocken und beschließe im Stillen, dass ich heute nicht daran denken möchte, was ungewiss bleibt.
Doch tief in mir weiß ich: Die Vernunft ist wichtig, aber sie darf nicht das einzige Maß für unser Handeln sein. Manchmal müssen wir den Mut finden, dem Herzen zu folgen und das Vertrauen in das Leben zu bewahren, auch wenn es uns manchmal in unbekannte Gewässer führt. Denn letztlich sind es diese Momente des Vertrauens, die uns lebendig fühlen lassen und uns daran erinnern, dass das Leben mehr ist als nur eine Ansammlung von Entscheidungen und Abwägungen. Es ist ein Tanz zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir fühlen, eine Balance zwischen Vernunft und Intuition.
Während ich meinen nun schon dritten Cappuccino genieße, beobachte ich die kleine Familie weiter. Die Eltern scheinen in einem Gespräch vertieft zu sein, doch ihre Blicke schweifen immer wieder liebevoll zu ihrer Tochter. In ihren Augen spiegelt sich das Vertrauen wider, das sie in die Welt setzen, ein Vertrauen, das sie auch ihrer kleinen Tochter mitgeben möchten. Sie wissen, dass das Leben voller Unsicherheiten ist, aber sie sind bereit, diese Herausforderungen gemeinsam zu meistern.
Ich erinnere mich an meine eigenen Eltern und an die Lektionen, die sie mir beigebracht haben. Sie lehrten mich, dass es wichtig ist, klug zu handeln und die Konsequenzen meiner Entscheidungen zu bedenken. Doch sie erinnerten mich auch daran, dass nicht alles im Leben rational erklärbar ist. Manchmal muss man einfach springen und darauf vertrauen, dass der Sprung ins Ungewisse einen neuen Horizont eröffnet.
Die Melodie im Hintergrund wechselt in ein schnelleres Lied aus den aktuellen Charts und bringt mich zurück in den Moment. Ich sehe das kleine Kind erneut an, ihr Lächeln hat etwas Beruhigendes. Es ist fast so, als würde sie mir sagen: „Vertraue auf das Leben! Lass dich von der Vernunft leiten, aber vergiss nicht das Staunen.“
In diesem Augenblick wird mir klar. Die wahre Kunst des Lebens liegt darin, beides zu vereinen, die Vernunft und das Vertrauen. Es geht darum, klug zu wählen und gleichzeitig offen für das Unerwartete zu bleiben. Denn oft sind es gerade die unvorhergesehenen Wendungen des Lebens, die uns am meisten lehren.
Als ich meinen Cappuccino austrinke, beschließe ich, heute einen Schritt zurückzutreten und einfach nur zu beobachten. Ich möchte lernen von der kleinen Familie gegenüber, von ihrem Vertrauen ineinander und in die Welt um sie herum. Vielleicht kann ich etwas von dieser Unbekümmertheit in mein eigenes Leben integrieren.
Ich lasse meine Gedanken fließen und erkenne. Vernunft ist wichtig, aber es ist das Vertrauen ins Leben selbst, in seine Unberechenbarkeit und seine Wunder, das uns wirklich lebendig macht.
Die Zeit vergeht, während ich in meine Überlegungen vertieft bin. Die Eltern stehen auf, um zu gehen, und ich beobachte, wie sie ihre Tochter sanft aus dem Kinderwagen heben. Sie lachen und spielen mit ihr, als ob sie die Welt um sich herum vergessen hätten. In diesem Moment wird mir klar, dass es nicht nur um das Vertrauen in die Zukunft geht, sondern auch um das Vertrauen in den gegenwärtigen Augenblick, das Hier und Jetzt.
Als sie an mir vorbeigehen, lächeln sie mir freundlich zu. Ich erwidere das Lächeln und fühle eine unerwartete Verbindung zu diesen Fremden. Vielleicht ist es die universelle Sprache des Vertrauens, die uns alle miteinander verbindet. Es ist ein stilles Einverständnis. Wir alle navigieren durch die Herausforderungen des Lebens und suchen nach einem Gleichgewicht zwischen Vernunft und Intuition.
Plötzlich kommt mir der Gedanke: Was wäre, wenn ich mehr Vertrauen in meine eigenen Entscheidungen hätte? Was wäre, wenn ich lernen könnte, die Stimme meines Herzens ebenso ernst zu nehmen wie die meiner Vernunft?
In diesem Moment beschließe ich, dass ich bereit bin, neue Wege zu gehen. Wege, die vielleicht nicht immer logisch erscheinen, aber mein Herz erfüllen könnten. Ich möchte mich von der Angst vor dem Unbekannten befreien und stattdessen offen für neue Erfahrungen sein.
Als ich bezahle und aufstehe, spüre ich eine neue Entschlossenheit und einen unbändigen Mut in mir. Ich werde versuchen, die Lehren dieser kleinen Familie in mein Leben zu integrieren. Das Vertrauen in mich selbst und in die Menschen um mich herum zu stärken. Ich werde lernen, dass es manchmal notwendig ist, Risiken einzugehen und den Mut aufzubringen, dem Herzen zu folgen.
Ich schaue hoch zum Himmel, der strahlend blau ist und voller Möglichkeiten. Ich atme tief ein und fühle mich bereit für alles, was kommen mag, mit einer Mischung aus Vernunft und dem unerschütterlichen Vertrauen ins Leben selbst.
Und so gehe ich weiter, entschlossen, jeden Tag als eine neue Gelegenheit zu sehen.
Eine Chance zum Wachsen und Lernen im ständigen Spiel zwischen Vernunft und Vertrauen.
Melanie Jasmin Hütter
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