Das Licht im Tod wahrnehmen

Stefanie Bräunig für #kkl48 „Vernunft“




Das Licht im Tod wahrnehmen

In den letzten Jahren hat sich mein Bewusstsein und meine Art zu leben sehr stark verändert. Ich bin viel offener geworden, gehe immer häufiger mit einem geöffneten Herzen durch die Welt. Öffne mich für alles, was da ist, was gefühlt werden möchte. Was gesehen und erfahren werden möchte. 

Vor einigen Wochen ist mein Nachbar gestorben. Ein Mensch, den ich persönlich nicht allzu gut kannte. Wir begrüßten uns fröhlich, kamen aber selten ins Gespräch. Tief in mir drin mochte ich ihn sehr. Nach außen hin konnte er ruppig wirken, seiner Familie gegenüber fühlte ich eine tiefe Liebe. Er stellte sich vor sie wie ein Löwe. 

Dann kam der Tag der Beerdigung. Es stellte sich mir zuvor nicht die Frage, ob ich daran teilnehmen sollte oder musste. Ich wollte dabei sein. Ich ging etwas aufgeregt, aber mit einem offenen Bewusstsein zum Trauergottesdienst. Ich war sogar dankbar dafür, dass ich das ganze „Geschehen“ eher beobachten konnte, weil ich persönlich nicht betroffen war. Ich war auf eine Art und Weise sogar neugierig auf das, was sich mir zeigen würde. Was ich empfinden und sehen würde. Das ist schon eine etwas eigenartige Art einer Beerdigung gegenüber zu treten. Vernunft hin oder her… so fühlte ich in diesem Moment. 

Plötzlich, erst seit wenigen Wochen, begegnen wir uns. Auf eine offene Art. Ich fühlte ihre Trauer und ihren Schmerz über die Krankheit ihres Mannes, über die Schwere und das Leid in ihrem Leben. Ohne selbst in diesen Schmerz hineinzufallen, wie es früher oft der Fall war. Ich spürte, dass sie sich allein fühlte, dass sie eine Umarmung brauchte. Ich fragte sie, ob ich sie einfach einen Moment in die Arme nehmen durfte. Sie nickte. So umarmte ich eine für mich recht „fremde“ Person, die mir doch so vertraut war. Ich kenne sie schon mein Leben lang. Ich hielt sie einfach. Worte waren überflüssig. Mit Tränen in den Augen lösten wir uns voneinander. Ich fühlte ihren Schmerz und meine Liebe. Mein gesundes, starkes Herz. Ich freute mich, dass ich sie wortlos umarmen konnte und es ihr sichtlich und spürbar gut tat. Und mir auch. Es war ein kleines Wunder.

Nun war er also da, der Tag der Beerdigung. Mit offenen Armen wurde ich von der Witwe vor der Trauerhalle begrüßt. Es war eine ganz kleine Trauergesellschaft. Kaum ein Dutzend Personen waren anwesend. Der Orgelspieler begann und die letzten leisen Gespräche verstummten. 

Und ich öffnete mich. Tauchte ein. In die Atmosphäre. In die Stille. Der Sarg stand ganz in meiner Nähe. Ich bemerkte, wie sich die Seele des Verstorbenen hinein legte, um vom Körper Abschied zu nehmen. Dann nahm ich Engel wahr. Sechs. Sie verteilten sich um den Sarg herum. Standen dort, wo später die Sargträger stehen würden. Die Stille war schön. Ich fühlte mich wohl, wenn auch zugleich eine Eiseskälte in mir war. Tränen kamen auf, die ich heute allerdings unterdrückte. 

Der Pfarrer begann zu sprechen und ich bemerkte, wie mein Herz weit wurde. Seine Worte berührten mich. Waren nicht schwer, wie ich sie von früheren Beerdigungen im Kopf hatte. Seine Worte waren schön. Er sprach vom ewigen Leben. So lautet ein Text, den ich vor einigen Tagen geschrieben habe. Er sprach von Aufstieg in den Himmel und Wiedergeburt. Es war eine katholische Trauerfeier. Das Vaterunser sprach ich nicht mit. Auch das Kreuzzeichen machte ich nicht mit. Ich tat und dachte einfach das, was sich für mich gut und richtig anfühlte. Mit einigen Einstellungen der Kirche fühlte ich mich überein, andere Dinge stießen mir auf. Fühlten sich für mich nicht richtig an. 

Der Pfarrer las einen Psalm vor und lud uns dann ein, seinen Worten etwas Raum zu geben und einen Augenblick der Stille zu begegnen. Da bemerkte ich, dass sich die Türen der Trauerhalle virtuell öffneten. Licht kam hinein. Wunderschönes, warmes Licht. Ich freute mich innerlich über meine Wahrnehmung. Lächelte sogar. Und war in diesem Moment so unendlich dankbar, dass ich ganz außen saß und niemand hinter mir war. Auf einer Trauerfeier zu lächeln, wenn die anderen Menschen weinen, ist schon etwas merkwürdig. Aber ich ließ es zu. Ich fühlte nun einmal so und war so unendlich dankbar für dieses Licht, was ich sah. Der Verstorbene wurde abgeholt. Ich fühlte seine Seele zwar nicht mehr, aber ich wusste, dass er in diesem Moment gegangen war. Ins Licht. An einen Ort, der nun wieder sein Zuhause war, um irgendwann erneut als Mensch auf Mutter Erde zurückzukommen. Ich wusste es. Er würde wiederkommen.




Stefanie Bräunig, Jahrgang 1973, stellte sich lange die Frage: „Wer bin ich – unter den Schichten von Erfahrungen, Rollen und Identifikationen?“ Auf ihrer Reise zu sich selbst hat sie ihre Kreativität entdeckt und erkannt: Schreiben ist ihre Berufung. Weitere Hinweise sowie Text- und Leseproben ihrer Bücher auf www.herzensgut-do.de

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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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