Astrid Hammerthaler für #kkl48 „Vernunft“
Was soll es bringen?
Als sie ihn zum ersten Mal dachte, diesen Satz, diese unangenehme Frage, bemerkte sie augenblicklich die niederschmetternde Kraft, die davon ausging.
Zuvor hatte der junge Mann sie gebeten im Café nebenan auf ihn zu warten. Sie war in diesem Moment schon müde gewesen, aber fasziniert von ihrer erneuten Begegnung, und dass er sie wiedererkannt und angesprochen hatte, nach einem kurzweiligen und glücklich machenden Konzertabend.
Sie war da schon erfüllt und gesättigt, und ein Ausklang mit einem ausnehmend schönen Mann wäre vielleicht zu viel gewesen, so als würde sie sich überessen.
In dem Café war es voll, stickig und laut, sodass sie sofort umkehrte. Sie setzte sich auf eine Bank draußen, stand rasch wieder auf, weil die Sitzfläche ungastlich kalt war. Es war Februar.
Er hatte in den Räumen gearbeitet, in denen das Konzert stattgefunden hatte, und sie die ganze Zeit keines Blickes gewürdigt. Deshalb war sie bald unsicher, ob wirklich er es war. Der Glanz von damals fehlte.
Am selben Ort, zwei Jahre zuvor, hatten sie sich zum ersten Mal genau dort gesehen und mit freundlichen Blicken bedacht. Sein erster Blick schon hatte sie an einer Stelle getroffen, die sie längst verschüttet geglaubt hatte. Je später der Abend wurde, desto offensiver hatte er ihr in die Augen gesehen und ihr Herz zum Flattern gebracht. Man kann sagen, dass er ihren Vorstellungen von einem attraktiven Mann in vielerlei Hinsicht entsprach. Aber er war vielleicht halb so alt wie sie. Und er bewegte sich, für alle sichtbar, anmutig in diesem Etablissement, das samtig und golden ausgekleidet war, und mit warmen Licht für eine sinnliche Atmosphäre sorgte. Es war wie die wohlüberlegte Kulisse für einen Film. Ihren Film.
Sie war aufgewärmt und umschmeichelt von schöner Musik und seiner beiläufigen, aber treffsicheren Aufmerksamkeit. Er wirkte wie ein Tänzer, der dem Sänger die Show stehlen hätte können, agierte dabei aber respektvoll und zurückhaltend.
Sie selbst war in familiärer Begleitung gewesen und wie ein glückliches Kind, als das Konzert zu Ende war. Er hatte etwas zu ihr gesagt, an das sie sich nicht erinnern konnte, und sie verabschiedete sich.
Eine Handlung wider der Anziehung, die in den Minuten davor hitzig angestiegen war. Sie spürte ihre Wangen glühen und beobachtete ihn insgeheim. Er indes wurde fahrig in seinen Bewegungen, mit denen er die Tische abräumte. Immer wieder schickte er einen Blick zu ihr.
Bedächtig zog sie ihren Mantel an, verlegen wie ein junges Mädchen in Anbetracht einer so grazilen männlichen Strahlkraft. Ein Mann, der so wohlwollend agierte. Sein schwarzes Hemd unterhalb der dunklen Locken zeigte eine große Eleganz. War er Spanier, ein Flamencotänzer gar? Oder ein Tangovirtuose aus Argentinien? Sie hielt ihn für einen kubanischen Tänzer.
Aber was soll es bringen?
Aus so einem Satz sprechen Resignation und unnötiges voreiliges Altwerden. Sie ertappte sich dabei und wusste sofort, dass sie das nicht wollte. Dass sie sich nicht so eine Frage stellen wollte. Irgendetwas würde es sicher bringen und sei es ein heiterer Abend mit einem atemberaubend schönen Mann. Der ihr zwei Jahre zuvor gefolgt war, weil er sie nicht ohne weiteres gehen lassen hatte wollen.
Jetzt schritt sie vor dem Café auf und ab; dann wich sie weiter nach links aus und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Sie hoffte, dass er bald auftauchen würde und wusste doch, dass er es nicht in der Hand hatte, wann man ihn aus seinem Dienst entließ. Wegen des Virus hatte sie ihn diesmal nur mit Maske gesehen. Wie sah er dahinter aus? Sie hatte keine genaue Erinnerung mehr.
Wie so viele in dieser Zeit schien er gealtert zu sein und an Gewicht zugelegt zu haben, was sie anziehend fand. Nach dem Konzert gab er sich schnell interessiert. Ob sie allein da sei? Wie es ihr gehe? Was sie jetzt mache?
Was soll es bringen? Sie war noch angeschlagen nach einer längeren Erkrankung und erstmalig abends ausgegangen. Es fröstelte sie schon wieder und sie sah sich selbst von außen zu. In dieser fraulichen Aufgeregtheit, die sie hatte, wenn sie verliebt war, oder es auch nur sein könnte.
Es war viel los in dieser Straße und einige sahen sie interessiert an oder schenkten ihr ein Lächeln. Auch sie hatte Strahlkraft.
Fünfundvierzig Minuten hatte er gesagt. Das ist eine lange Zeit, um allein auf einen zu warten am späten Abend. Dreißig, rief er ihr dann noch nach. Er werde sich beeilen. Dreißig Minuten waren schon vergangen. Sogar den begleitenden Pianisten des Sängers hatte sie in lässigen Alltagsklamotten schon herauskommen sehen. Ihn nicht.
Warten macht fast immer müde. Muss man zu lange darin verharren, verdirbt es die Freude und nimmt den vorausgegangenen angenehmen Schwung.
Er konnte ja nichts dafür.
Noch einmal bis ans Ende der Straße laufen und wenn er dann nicht da ist, fahre ich heim. Wo sollten wir denn auch hin, wenn er käme? So dachte sie.
Sie hielt nicht Wort sondern lief noch dreimal bis ans Ende der Straße. Aber er kam nicht. Sie war müde jetzt, noch müder. Schleppend ging sie auf die andere Straßenseite und stand auch hier noch eine Weile herum, den Eingang zu seinem Arbeitsort im Blick.
Sie wusste nicht, ob es respektvoll war, ihr so eine Warterei vorzuschlagen. Davon auszugehen, dass sie das machen würde. So als sei sie eine sehr bedürftige Frau. Hat er sie so gesehen? Nun beschleunigte sie ihren Schritt und bevor sie um die Ecke bog, blickte sie sich noch einmal um.
Nichts. Nur feiernde fröhliche Menschen, die sich vor den Kneipen aufhielten. Zwei Hunde rangen vor dem Bordstein miteinander, der eine bellte. Sein unsympathischer Gegner war ein Schweinehund. Aber die Besitzer wirkten vernünftig. „Was hast du denn?“
Schon war sie in der Straße, die sie zum Bushalt bringen würde. Um 23:03 würde sie dort abgeholt und in einer viel zu langen Fahrt fast nach Hause gebracht werden.
Was fühlte sie? Das konnte sie nicht klar erkennen. Je mehr Verspätung der Bus jedoch hatte, desto trauriger wurde sie. Und schimpfte mit sich, aber nicht ernsthaft.
Was hätte das auch gebracht? Da war er wieder dieser Satz, diesmal in die sehr finstere Nacht hinein gesprochen. Wo hätte das hinführen sollen? Das ist die ungnädige Schwester jener lieblosen Frage.
Dann fiel ihr ein, dass sie damals seine Telefonnummer bekommen hatte. Gewiss hatte sie die bereits gelöscht, aber eine Restchance blieb. Sie stieg mit einem Hauch Hoffnung in den Bus. In dem es warm war und lebendige Menschen einstiegen, ausstiegen und lachten. Sie fuhren durch die Nacht und einen unheimlichen Englischen Garten.
Es war gut. Er war ein Genuss, auch so, der Abend.
Zuhause zog sie ihren Mantel aus und sah ihr Telefonbuch durch. Tatsächlich, da war noch sein Name! Er hatte gesagt, es sei etwas mit seinem Handy gewesen und dadurch habe er meine Nummer verloren, weshalb er sich nicht melden habe können. Ob sie ihm das glauben konnte? Aber weshalb war er heute hergekommen, am Ende des Konzerts, und hatte sich erneut mir ihr treffen wollen?
Weshalb erinnerte er sich an sie, obschon er täglich hunderte von Menschen zu Gesicht bekam?
Sie hatte Eindruck hinterlassen. Er auch.
Weshalb war er ihr nachgerannt damals? Ihr, der glücklichen Frau im Konzert? Vielleicht nur, weil er in Aufregung und sehr spontan war? Obschon er sie verheiratet wähnte. Verheiratet mit dem Mann neben ihr, der ihr Vater war.
Sie schrieb ihn an, ob das seine Nummer sei, und erklärte ihre Abwesenheit am vereinbarten Treffpunkt. Es täte ihr leid. Im milden Schein der Nachttischlampe meinte sie es auch genau so.
Er habe das Handy damals weggegeben, an einen Freund, der in einem anderen Land lebe, hat er ihr bei dem kurzen Austausch nach dem Konzert gesagt. So rechnete sie am ehesten mit der Antwort eines Fremden und im besten Fall mit der Weitergabe ihrer Nachricht an den „Kubaner“.
Aber die Antwort kam sofort und zwar von ihm selbst. Er habe sie gesucht und nicht finden können. Dieser Satz rührte sie. Das wusste sie ja bereits.
Es gingen ein paar Nachrichten hin und her und er schloss ab mit „Wir werden sehen, gute Nacht!“.
Vielleicht war es das, was es gebracht hat.
Was soll das bringen? ist der Anfang vom Ende, wird selten munter ausgesprochen, eher beißend und resigniert. Sie schlagen dich nieder, die Frage oder der Fragende.
Was soll es bringen?
Wir werden sehen.
Astrid Hammerthaler lebt in München und ist als Schriftstellerin, Fotografin und Sozialpädagogin tätig
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