INSERT whiskey INTO gift_ideas

Alexander Esser für #kkl48 „Vernunft“




INSERT whiskey INTO gift_ideas

„Hey Siri, was könnte ich meinem Vater zum Geburtstag schenken?“

Siri war die weibliche Hälfte in Tobias‘ Haushalt.

„Was macht dein Vater gerne in seiner Freizeit?“

„Sportschau gucken, Alkohol trinken und -„

Tobias überlegte, wie er rülpsen, Armdrücken und sich lässig im Schritt kratzen angemessen zusammenfassen konnte.

„- und seine Männlichkeit demonstrieren.“

„Schenke ihm doch eine gute Flasche Whiskey. Damit kann dein Vater seinem Hobby, dem Genuss von Alkohol, nachgehen. Außerdem wird Whiskey-Konsum in vielen Kulturen mit ausgeprägter Männlichkeit assoziiert.“

„Eine hervorragende Idee! Vielen Dank, Siri!“

Tobias war einen Schritt weiter: Whiskey! Nur welchen?

Die meisten Menschen wären in den nächstbesten Laden gegangen und hätten die erstbeste Flasche Whiskey gekauft. Doch Tobias war Informatiker, bei ihm lief nichts ohne gründliche Datenanalyse. Man stelle sich einmal vor, er würde versehentlich nur den zweitbesten Whiskey aussuchen. Monatelang würde er sich anschließend ärgern, eine nicht-optimale Entscheidung getroffen zu haben.

Er öffnete seinen Laptop, legte eine leere Excel-Tabelle an und begann seine Recherche. Vielleicht war Tobias einfach zu vernünftig, um ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Tobias arbeitete sich inzwischen seit anderthalb Stunden systematisch durch Amazon-Rezensionen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis war schnell definiert: Anzahl der Sterne geteilt durch den Preis. Whiskey-Sorten mit weniger als 3,5 Sternen oder weniger als fünf Bewertungen hatte er konsequent verworfen.

Selbst trank Tobias keinen Alkohol. Dazu war er einfach zu vernünftig. Nichts zu trinken war gesellschaftlich unüblich. Man wurde schnell schief angeguckt und mit nervigen Fragen bombardiert: „Warum denn nicht?“, „Geht’s dir nicht gut?“, „Bist du sicher, dass du nichts trinken willst?“

Besonders schief wurde man angeguckt, wenn man auf der Erstsemester-Kneipentour begann, in medizinischen Fachbegriffen die schädlichen Effekte von Alkohol zu erläutern. Mit einem glaslosen Vortrag über die kognitive Leistungsfähigkeit und die hohe Belastung für die Leber hatte Tobias einen prägenden Eindruck hinterlassen, wenn auch nicht zweifelsfrei einen positiven. Einmal in Fahrt, hatte er gleich Verweise auf medizinische Fachliteratur und aktuelle Studien eingefügt. Er wollte ja schließlich wissenschaftlich sauber zitieren. „Um es kurz zusammenzufassen: Die neuronalen Signalübertragungen werden gehemmt, das Risiko für diverse chronische Krankheiten wird erhöht“, hatte Tobias schließlich geendet. In der darauffolgenden Stille hätte man eine Stecknadel fallen hören können – wenn nicht genau in diesem Moment jemand geräuschvoll einen Kurzen gekippt hätte: „Darauf muss ich erstmal einen trinken! Auf ex!“

Mit der Liebe hielt Tobias es wie mit dem Alkohol – er lebte abstinent. Wobei er an der Liebe zumindest einmal genippt hatte. Tobias hatte immerhin mal ein Date gehabt. Tobias war zu vernünftig, um eine Freundin zu haben. Eine Freundin war nichts anderes als der Grenzwert von abzählbar vielen Dates. Irgendwann konvergierten die Dates gegen eine Beziehung.

Dem Satz von Coitus zufolge kam es beim dritten Date zum Geschlechtsverkehr. Ab dann gab es kein Zurück mehr und aus dem anfänglichen Kennenlernen wurde eine feste Beziehung.

Tobias‘ potentielle Freundin war leider nach dem ersten Date hastig divergiert. Das Problem war noch nicht einmal seine Abneigung gegen Alkohol gewesen. Die Cocktailbar, in der sie sich getroffen hatten, hatte auch alkoholfreie Cocktails auf der Karte gehabt. Tobias hatte einen Virgin Colada bestellt. Sehr passend, wie er fand, um sich von seiner Jungfräulichkeit zu verabschieden – spätestens nach zwei weiteren Dates, wenn der Satz von Coitus stimmte (und daran bestand bei mathematischen Sätzen ja kein Zweifel).

Das Date hatte schon bei der Bestellung unglücklich begonnen. Die Bedienung war an den Tisch getreten und hatte gefragt: „Na, seid ihr schon so weit?“ Eine einfache Ja-Nein-Frage, die Tobias prompt mit „true“ beantwortet hatte. Vanessa, so hieß sein Date, hätte nun auch einfach eine Bool’sche Antwort geben können. Aus der Verknüpfung beider Antworten mit dem ∧-Operator hätte sich ergeben, ob sie schon bestellen konnten. Statt aber zu antworten, hatte Vanessa ihn mit offenem Mund angestarrt.

Beim Bezahlen war es schließlich zur zweiten unglücklichen Situation gekommen. Tobias hatte zuvor im Knigge nachgeschlagen, wie man sich zu verhalten hat – sowohl bei Dates als auch beim Besuch lokaler Gastronomieeinrichtungen. Er hatte Vanessa eingeladen. Laut Knigge heutzutage zwar nicht mehr zwingend erforderlich, aber traditionell üblich. Probleme hatte ihm der zweite Ratschlag des berühmten Ratgebers bereitet, üblich seien 10% Trinkgeld. Es bestand kein Anlass, das Trinkgeld der Bedienung zu mindern. Sie konnte schließlich nichts dafür, dass das Date so unglücklich begonnen hatte. Auf einem Bierdeckel addierte die Kellnerin die beiden Cocktails handschriftlich zu einer Gesamtsumme von 16,80 €. Tobias hatte den Betrag längst im Kopf ausgerechnet und ebenso bereits 10% Trinkgeld aufgeschlagen. „Machen Sie 18,48“, hatte er selbstbewusst gesagt. Erneut hatte Vanessa ihn mit offenem Mund angestarrt. Galt das laut Knigge nicht als unhöflich? Es war zu keinem zweiten Date gekommen.

„Alles Gute zum Geburtstag!“, überreichte Tobias seinem Vater die Whiskey-Flasche. Sein Vater betrachtete das Etikett und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. „Den müssen wir gleich probieren!“, rief er.

Tobias durchströmte ein Gefühl von Stolz und Erleichterung, schließlich hatte er zahllose Stunden in die Wahl des richtigen Whiskeys investiert. Sein Vater schenkte sich ein großzügiges Glas ein und fragte: „Willst du auch?“

„Du weißt doch, ich trinke keinen Alkohol.“

„Du bist aber nicht schwanger, oder?“, fragte er und lachte lauthals über seinen eigenen Witz. „Der ist echt gut“, sagte sein Vater schließlich und kippte sich das zweite Glas hinunter.

In einer kleinen Ecke seines Gehirns führte Tobias eine Datenbank für Geschenkideen. Schnell setzte er gedanklich ein INSERT-Statement ab und speicherte, dass der Whiskey seinem Vater gut geschmeckt hatte. Diesen Whiskey könnte er ihm im nächsten Jahr erneut schenken. Oder schon früher, zu Weihnachten, sollte sein Vater die Flasche mit dieser Geschwindigkeit weiter leeren. Seine aufwändige Whiskey-Recherche war also nicht umsonst gewesen, freute sich Tobias. Ganz im Gegenteil, er müsste für seinen Vater nie wieder nach einem passenden Geschenk suchen.




Alexander Esser, Jahrgang 1989, schreibt schon immer gerne; meist humorvolle Texte. Er hat Wirtschaftsmathematik in Köln studiert, dies bot bessere Berufsaussichten als eine Schriftsteller-Karriere. Doch in der Freizeit geht er weiterhin seiner Schreibleidenschaft nach.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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