Anastasia Weimer #kkl49 „Ablenkung“
Maske der Ablenkung
Die Welt trägt die Narben eines digitalen Krieges, der nicht nur gegen die Stille, sondern auch gegen das geht, was wir wirklich wollen. Ablenkung ist längst nicht nur eine Flucht vor der Leere – sie ist eine Flucht vor uns selbst. Wir schieben die Frage, was wir im Innersten suchen, immer weiter weg, indem wir uns in den endlosen Strömen der Ablenkung verlieren. Jedes Piepen, jede Nachricht, jedes neue Bild – sie bieten uns die Illusion von etwas, das wir benötigen, aber nie wirklich spüren. Statt uns der Tiefe unseres eigenen Verlangens zu stellen, konsumieren wir ständig die Oberfläche einer Welt, die uns vorgaukelt, dass wir alles haben können, was wir wollen. Doch was wir wirklich wollen, liegt jenseits der glänzenden Pixel, jenseits der ständigen Flut an Reizen.
Ablenkung ist die bequeme Maske, die uns schützt – nicht vor der Welt, sondern vor dem, was in uns brodelt. Die Gefühle, die nicht immer angenehm sind. Die Fragen, die unangenehm, sogar schmerzhaft sind. Wer bin ich, wenn ich aufhöre, mich abzulenken? Was bleibt, wenn ich mich von der endlosen Jagd nach neuen Reizen abwende und den Raum betrachte, der mich wirklich ausmacht? Vielleicht fürchten wir uns vor dem, was wir entdecken könnten. Die Unzufriedenheit mit unserem Leben. Den Wunsch nach einem anderen Leben, einem, das wir vielleicht nie gewagt haben, zu leben.
Es ist der Moment, in dem wir innehalten – nicht nur vor dem Bildschirm, sondern auch vor den ungelösten Träumen, den ungestillten Sehnsüchten. Der Wunsch nach etwas anderem. Nach einem Leben, das nicht von der ständigen Suche nach Ablenkung bestimmt wird. Ein Leben, in dem wir nicht nur reagieren, sondern selbst aktiv gestalten. Vielleicht ist es genau dieses Leben, vor dem wir uns fürchten, ein Leben, das mehr erfordert, als nur der Flut von äußeren Impulsen zu folgen. Ein Leben, das uns zwingt, uns selbst zu fragen: Was möchte ich wirklich?
Inmitten der Ablenkung liegt die ungesagte Wahrheit – wir suchen ein anderes Leben, eines jenseits der ständigen Zerstreuung. Aber der Weg dorthin führt nicht über mehr Konsum, nicht über mehr schnelle Befriedigung. Er führt durch die Auseinandersetzung mit dem, was wir wirklich wollen, was wir wirklich sind, wenn wir die Ablenkung ablegen und uns selbst wieder entdecken. Denn vielleicht ist es nicht die Welt, die uns ablenkt – es sind wir selbst, die vor der Wahrheit fliehen. Doch dieser Flucht ist nur ein weiterer Trick des Geistes, um uns vor dem Leben zu schützen, das wir uns eigentlich wünschen. Ein Leben, das mehr ist als die ständige Jagd nach der nächsten Ablenkung. Ein Leben, das wirklich unser eigenes ist.
Anastasia Weimer (geb. 17. September 1988) ist eine in Berlin lebende Schriftstellerin und politische Aktivistin. Sie setzt sich für Kinder- und Jugendbildung sowie für die Rechte von Frauen ein. Auf ihrem Blog „Blogliterat“ schreibt sie über Literatur, Gesellschaft und Politik mit einer ungeschönten Perspektive.
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