Karoline Mayr für #kkl49 „Ablenkung“
Die Kunst der Ablenkung
Wir alle kennen es, jeder von uns hat es schon erlebt. Es gibt etwas Wichtiges zu erledigen, doch irgendwie kommt man nicht dazu.
Ein gutes Beispiel sind Steuern. Man weiß, wann die Frist abläuft, und ist fest entschlossen, gleich am Anfang des neuen Jahres damit zu beginnen.
Es ist Januar und noch genug Zeit, also keine Panik. Aber zuerst die Feiertage gemütlich verbringen, dann wieder arbeiten gehen. Die Umstellung von den Feiertagen zum Arbeitsalltag hat ihre Tücken. Es dauert, bis man sich wieder eingewöhnt hat. Die Routine wurde durcheinandergebracht. Also keine Steuer.
Aber im Februar ganz bestimmt. Wo kommt jetzt diese überflüssige Erkältung her? Definitiv zu müde und erschlagen, um etwas zu machen.
März, hurra,Frühling! Die ersten warmen Sonnenstrahlen genießen, im Straßencafé sitzen und mit Freunden plaudern.
Aber jetzt, April, oh, ist ja schon Ostern, Feiertage und dazwischen so viel anderes zu erledigen.
„Alles neu macht der Mai“, heißt es ja, also die Belege sortieren und die fehlenden Unterlagen beschaffen. Ein Blick auf die Online-Unterlagen, ist nicht so schlimm, gleich passiert. Erst mal einen Tee machen oder lieber Kaffee? Egal, Hauptsache was zu trinken. Okay aber jetzt fange ich an. Der Hund bellt, was ist los? Kommt jemand? Nein, falscher Alarm. Erst mal den Namen und die Steuernummer eintragen. Es läutet an der Tür. Die Post kommt. Alle Briefe sortieren und schnell lesen. Zurück zum Schreibtisch, der Tee ist kalt. Also, ab in die Mikrowelle, geht ja schnell. Und zurück zur Steuer.
Was ist das? Sie haben die zulässige Zeit überschritten? Neu einloggen. Kein Problem, geht ja schnell. Dokument aufrufen und los geht`s. Das Telefon klingelt.
„Mama, die Schule war früher aus. Kannst du mich abholen?“
Klar, kein Problem, geht ja schnell.
Wieder zu Hause, kochen, Kind hat Hunger und ich auch. Danach aber wieder Steuer. Moment, habe ich nicht was vergessen? Klar, die Wäsche aufhängen. Kein Problem, geht ja schnell. Mein Mann kommt nach Hause von der Arbeit. Er hat Hunger, ich nicht. Also kochen und die Neuigkeiten des Tages austauschen. Ich erzähle ihm, ich habe mit der Steuer angefangen, verschweige aber, dass ich nur die Steuernummer und meinen Namen eingetragen habe. Immerhin, ich habe angefangen.
Kind kommt, hat eine Frage, daraus resultiert eine einstündige Unterhaltung, die von einem zum anderen führt. Nun aber wirklich los mit dem Steuerzeug.
Sie haben die zulässige Zeit überschritten. Verständlich, war ja wirklich lang. Neu einloggen. Ich starre auf den Bildschirm.
Ganz ehrlich? Keine Lust mehr. Es ist ja noch genug Zeit. Also keine Panik.
Der Juni zieht ins Land. Zwischenbilanz eines halben Jahres. Es gibt immer etwas zu tun, Langeweile ist ein Fremdwort. Viel wurde erledigt und vieles nicht. Der Tag hat 24 Stunden und manchmal ist das nicht genug. Eigentlich wollte ich den Garten machen, das Wetter ist gut. Also los.
War da nicht noch was? Irgendetwas, das dringend erledigt werden sollte?
Kann mich nicht mehr erinnern. Was auch immer es war, es kann warten.
Da fällt mir ein, ich wollte ja noch ein besonderes Fotoalbum machen, also drucken. Viele ausgedruckte Fotos später wird geklebt und beschriftet. So geht die nächste Woche dahin.
Juli ist ein toller Monat, Sonne und bald Sommerferien. Im Garten bin ich gut weitergekommen. Mit anderen Dingen auch, nur nicht mit der Steuer.
Aber es ist ja noch Zeit, keine Panik.
Der August zieht ins Land. Sommerferien – viel Zeit mit dem Nachwuchs verbringen, neben all den üblichen Kleinigkeiten, die zu erledigen sind. Ab in den Urlaub und genießen. Zurück aus dem Urlaub. Langsam nähert sich der September, die Schule beginnt wieder.
Da fällt mir mit Schrecken ein, ich muss ja noch die Steuer machen.
Morgen setze ich mich gleich dran. Und tatsächlich schaffe ich am nächsten Tag meine Steuer. Hat eine Stunde gedauert. Kein Problem, dauert ja nicht lang. Als ich meinem Mann erzählte, dass ich die Steuer gemacht habe, sieht er mich verdutzt an und sagt: „Hast du die nicht schon längst gemacht?“
Was soll ich sagen? Im Geiste mache ich die Steuer seit Januar, mehr oder weniger. Aber jetzt bin ich fertig.
Dies war ein Beispiel von vielen. In unserem täglichen Leben sind wir einer wahren Flut von Ablenkungen ausgesetzt. Es gibt zwei Arten der Ablenkung, die unbewusste und die bewusste. Unbewusste Ablenkung ist spontan und manchmal bringt sie uns zum Lächeln oder gar zum Lachen. Ein Song, den wir lange nicht mehr gehört haben, weckt Erinnerungen. Er kann positiv oder negativ auf uns wirken. Der Begriff, sich „beschallen“ zu lassen, sagt vieles. Musik kann unsere Stimmung heben. Oder die entgegengesetzte Wirkung erzielen.
Ein alter Film, den wir vor langer Zeit gesehen haben. All dies kann positive Gefühle freisetzen und man fühlt sich in eine vergangene Zeit versetzt.
Ein Geruch, der uns an die Kindheit erinnert, hat den gleichen Effekt. Dieses „Das riecht wie bei meiner Mutter in der Küche“ bringt meistens ein Lächeln in unser Gesicht.
Die Ablenkung, die wir bewusst suchen, ist gewöhnlich zum Entspannen. Wir lesen ein Buch oder treffen uns mit Freunden, um Gedanken und Erlebnisse auszutauschen.
Wir schalten den Fernseher an und lassen uns von Geschichten in andere Welten entführen. Welche Art von Filmen oder Serien es sind, spielt dabei keine Rolle. Für einige Stunden sind wir in anderen Welten.
Ich versuche eine Erzählung zu schreiben über Ablenkung und lasse mich dabei selbst ablenken. Der Blick aus dem Fenster, es liegt Schnee und die Sonne scheint. Herrlich, der blaue Himmel.
Zurück zur Geschichte.
Die Frage, die sich vielleicht für manchen stellt, ist: Sollten wir uns ablenken lassen? Meine Antwort ist: Ja und nein. Es kommt immer auf die Situation an.
Ein Chirurg, der gerade eine Operation durchführt, sollte sich nicht ablenken lassen. In der Freizeit, wenn wir uns treiben lassen können, warum nicht? Spontan Dinge zu tun oder zu genießen ist gut für uns. Wir sind Menschen und keine Maschinen.
Den Kopf freizubekommen von allen Gedanken und Plänen, Verpflichtungen und Sorgen. Und wenn es nur für eine kurze Zeit ist.
Im Beruf muss man sich oft über Stunden konzentrieren, also kann eine kleine Ablenkung helfen, dass wir uns wieder entspannen und mit neuer Energie weitermachen.
Dabei kann es sich um eine Tasse Kaffee handeln, die man sich holt, oder aber auch um die Mittagspause.
Doch warum ist Ablenkung für uns so wichtig?
Ein Erwachsener kann sich angeblich 60–90 Minuten lang am Stück konzentrieren. Dies kann natürlich variieren, für manche ist es länger und andere haben eine kürzere Zeitspanne. Danach lässt die Aufmerksamkeit nach. Nach einer Pause steigt die Konzentration wieder und sollte voll vorhanden sein.
Pausen sind Ablenkung und helfen uns, unseren Tag besser in den Griff zu bekommen.
Je entspannter und erholter wir sind, umso besser „funktionieren“ wir.
Da ich kein Arzt oder Psychologe bin, schreibe ich aus persönlicher Erfahrung.
Wir alle brauchen Ablenkung in unserem Leben. Hat man wenig Zeit, dann reicht auch manchmal eine kurze Auszeit. Wenn die Kinder im Bett sind und alles erledigt ist, eine schöne heiße Badewanne. Einfach mal in der Wanne entspannen und die Seele baumeln lassen.
Die Zeit, in der wir leben, ist oft hektisch und laut. Wir sind gestresst und haben keine Zeit für nichts mehr. Am allerwenigsten für uns selbst.
Eingebunden in Verpflichtungen und Verantwortung, denen wir nicht entkommen. Warum sind die sogenannten Burn-out-Syndrome so eklatant in die Höhe geschossen? Früher war es, falls überhaupt, nur selten der Fall.
Weil wir uns keine Zeit mehr für uns selbst nehmen.
Mit Humor und besserem Zeitmanagement lässt sich vieles verbessern. Doch dies alles hilft nichts, wenn wir uns überwältigt fühlen von allem, was auf uns einströmt.
Wann haben wir verlernt, die kurze Zeit, die wir täglich für uns selbst haben, zu nutzen? Wann haben wir verlernt, einfach Mensch zu sein und keine funktionierende Einheit? Warum ist es für manche so schwierig, alles vor der Haustür abzulegen und einfach nur privat zu sein zu Hause?
Ich bin oft überrascht, wie viel Zeit und Energie verbraucht werden, um Dinge zu beschaffen oder zu tun, die wir nicht brauchen.
Wenn es jemandem liegt, Sport zu betreiben, egal welchen Sport, dann sollte man dem auch nachgehen. Sicher können die wenigsten das jeden Tag machen, doch auch einmal oder ein paar Mal in der Woche ist schon ein Gewinn.
Ausflüge in die Natur, wenn man das mag. Kino, Eis essen oder Pizza essen.
Was auch immer sie wählen, machen sie es. So oft sie können, raus aus der
täglichen Achterbahn des Lebens.
Mein Fazit ist: Lassen Sie sich ablenken und genießen Sie es.
Karoline Mayr wurde 1965 in München geboren. Lesen war schon in Kindertagen ein wichtiger Bestandteil.
2025 entschloss sie sich, an Schreibwettbewerben teilzunehmen.
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