Das Problem mit dem Handy

Leandra Bulla für #kkl49 „Ablenkung“




Das Problem mit dem Handy

Sie lässt den Blick durch den Raum schweifen. Wie sie das alles leid ist! Müde sieht sie auf, als es an der Tür hämmert. Es hämmert und hämmert und hämmert. Und auch wenn sie darauf nicht die geringste Lust hat, zwingt sie sich zum Aufstehen und schlurft zum Guckloch. Es ist dreckig, weshalb sie mehrmals mit dem Pullover Ärmel darüber wischt. Am liebsten würde sie dies rückgängig machen, denn von hinter dem Glas wird sie von einer verzerrten Grimasse beäugt. Sie schätzt den Mann auf Mitte 40, vermutet, dass er irgendeinen typisch deutschen Nachnamen haben muss. Vielleicht Müller oder Fischer. Doch eine Sache muss sie nicht vermuten, denn sie ist offensichtlich: Er ist äußerst gereizt. „Ich weiß, dass Sie da sind!“, keift er und sie schreckt von der Tür zurück. „Ich bin Herr Schneider vom Finanzamt und Sie sind, wie ich gehört habe, in großen Schwierigkeiten.“ Sie stolpert zurück in das Wohnzimmer und egal, wie fest sie sich die Fäuste auf die Ohren drückt, hört sie seine Mahnungen dennoch. Bald stiefelt er davon und als sie den gelben Umschlag sieht, der durch den Türschlitz zu ihr geflattert kommt, legt sie den Kopf nieder auf den Fußboden und greift zum Handy. Oh, wie gern sie dies tut. Vor allem in solchen Situationen.

Und dann bewegen sich ihre Daumen wie vegetativ über die leuchtende Oberfläche. Der Kopf schaltet aus. Ja, ihr ist doch bewusst, wie ungesund dieses Verhalten ist. Doch wenigstens greift sie nicht wie die Mutter zur Flasche Whiskey.

Die Zeit vergeht und das Telefon flimmert vor sich hin. Um sie herum häufen sich die Probleme. Eingebettet in den verhassten Briefen, den Notizen des Vermieters (Bitte um Zahlung der Miete, Bitte um schleunigste Antwort, DRINGENDE Rückmeldung erforderlich!!!!, …) und dem ganzen anderen Kram, an den sie doch gar nicht denkt, schmilzt sie vor sich hin. Wie Wachs.

 Als der Akku leer ist, der Bildschirm schwarz wird, und sie das erste Mal seit Ewigkeiten aufschaut, sieht sie nicht viel. Doch sie spürt das Ersticken. Prustend versucht sie sich aus der Lawine zu strampeln, doch sie kommt nicht voran, verschwindet immer mehr. Sie akzeptiert das Schicksal und sinkt noch heute. Vielleicht würde sie endlich entkommen, würde sie akzeptieren, warum sie in dieser Situation ist. Jedoch ist das Einzige, das sie tut, nach dem Ladekabel Ausschau zu halten.




Leandra Bulla

Die Autorin ist Ende 2009 geboren und lebt in Berlin.








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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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