Selbstfindung: Zustellung verzögert

Susanna Dümlein für #kkl49 „Ablenkung“




Selbstfindung: Zustellung verzögert

Der Morgen startete mit einer ominösen Karte im Briefkasten: „Lieferung unauffindbar.“ Sie überlegte kurz, ob sie wirklich schon wieder was bestellt hatte oder ob das bloß ein logistisches Missverständnis war. Dabei wollte sie heute eigentlich die große Frage klären, wer sie wirklich ist und warum sie nicht ihre Gefühle und Gedanken sein soll. „Zack, Ablenkung Nummer eins,“ murmelte sie, während sie das Kärtchen las.

Kaum blinzelte sie diesen Gedanken zu Ende, riefen die beiden Mädchen aus dem Nebenzimmer. Aus einer harmlosen Bastelstunde wurde eine lautstarke „Glitzerpapier ist mein!“-Schlacht. „Und zack, Ablenkung Nummer zwei,“ dachte sie, seufzte tief und fragte sich: „Wo ist die Grenze zwischen Wahrnehmung, Vorstellungskraft – und reiner Panik?“ Doch ehe sie das festnageln konnte, stolperte sie auch noch über ein paar Glitzerfetzen.

Hinten in der Küche hörte sie den Partner krachmachen, als würde er lieber mit seinem Kaffeebecher diskutieren als ihre inneren Erkenntnisse teilen. Mit einem grimmigen Schmunzeln atmete sie durch und stapfte ins Kinderzimmer. „Könnt ihr euch das Glitzergedöns nicht aufteilen?“ bat sie, ohne sich allzu sehr reinziehen zu lassen. „Ich bin nur die Beobachterin … ich bin nur die Beobachterin,“ wiederholte sie stumm, während sie ein paar funkelnde Schnipsel vom Boden einsammelte.

Gerade als sie meinte, eine leise Ruhe in ihrem Kopf zu erspüren, vibrierte ihr Handy. „Zustellung verzögert.“ Natürlich. Wieder so ein „Zack, Zapp – Spring in den Strudel“-Moment. Kurz vor dem erneuten Frust stoppte sie sich selbst: „Ich bin nicht mein Ärger, ich bin doch nur…“ – tja, was eigentlich genau?

Im Geiste lachte sie über die Geschwindigkeit, mit der sie von einer Sache zur nächsten hüpfte: Bastel-Eskalation, Paket-Chaos, Partner-Geklapper. „Fast wie Zapping durch fremde TV-Kanäle,“ dachte sie. Einmal kurz den Sender wechseln und schon das nächste Problem. „Kommt man so jemals ins Jetzt?“ Eine gute Frage. Vielleicht gerade dadurch, dass sie merkte, wie sie sich jedes Mal kurz gegen das Drama entschied.

Sie richtete sich auf, warf einen Blick auf die glitzernden Überreste und grinste: „Chaos ist anscheinend meine persönliche Übungseinheit. Wenn ich nicht Gedanken bin, nicht Gefühle, nicht mal dieser Körper – dann bin ich wohl der Raum, der das Ganze aushält, oder so ähnlich.“

Die Kinder hatten sich inzwischen geeinigt (mehr oder weniger), der Partner stocherte noch immer in seiner Tasse. Sie schloss einen Moment die Augen. „Ich bin Beobachterin, nicht das Durcheinander,“ sagte sie sich zum Abschluss. Dann machte sie sich auf, das Wohnzimmer weiter vom Glitzersalat zu befreien – und fragte sich insgeheim, ob die mysteriöse „Lieferung“ jemals eintreffen würde. Aber auch das war nur ein weiterer Zapp in ihrem inneren Fernsehprogramm.





Die Kunst des Blicks
„Der Ozean ist weit, die Felsen fest, das Licht perfekt. Meine Hände ruhen, doch in mir formen sich Gesten 

– ein Tanz aus Gedanken, Plänen und Erinnerungen. Sie greifen ins Gestern, zeigen aufs Morgen. 

Und doch ruft das Hier mich zurück, immer wieder.“




Susanna Dümlein 1976 in München geboren, ist Autorin und Mutter, mit einer großen Leidenschaft für das Erzählen von Kurzgeschichten und die Fotografie. Früher als Choreographin und Yogalehrerin tätig, verbindet sie heute ihre Kreativität und Achtsamkeit in ihrem Schreiben. Ihre Texte zeichnen sich durch einen feinen Blick für die kleinen Momente des Lebens aus, die sie mit Tiefgang und Leichtigkeit einfängt.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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