Präfix

Syelle Beutnagel für #kkl49 „Ablenkung“




Präfix

Die Sonne strahlt herrlich über das Feld. Mein Herz füllt sich mit Freude bei diesem Anblick. Gerade fahre ich eine meiner Lieblingsstraßen in meinem Auto entlang.

In nur leichten Kurven, nahezu geradeaus führt der Weg zwischen Wiesen und Feldern dahin. Das Lenken ist einfach, entspannt kann ich den Ausblick genießen. In diesem Fahrmodus lenkt mich die schöne Umgebung keineswegs ab.

Ich sitze hinter dem Steuerrad und lenke zuverlässig mein Auto die gewohnte Straße entlang. In anderen Gebieten bin ich sehr konzentriert und lenke zuverlässig mein Auto durch die Gegend.

An einem schönen Morgen nach einer regenreichen Nacht lenke ich mein Auto souverän in Richtung gewünschtes Ziel. Da sehe ich eine Herde Rinder auf einer Wiese neben der Straße. Mein Herz hüpft vor Freude über die Überraschung. Ich will sie genauer ansehen. Ich verdrehe im Fahren ein wenig den Kopf, konzentriere mich auf ‘Kuh’. Im Seitenwinkel meines Blicks streife ich den Fahrbahnrand. Der Bordstein nähert sich falsch. Ich war abgelenkt. Schnell korrigiere ich meinen Sekundenfehler. Nichts passiert.

Ja, ich lenke mein Auto in Richtung gewünschtes Ziel. Das erfordert ein Ziel. Und es erfordert Bewegung. Ob ich nun zu Fuß gehe, mit der Bahn fahre oder Auto fahre, ist im Grunde egal, nur ist das Autofahren eine schöne Metapher.

Manchmal fahre ich mit einer Freundin in meinem Auto zum gewünschten Ziel. Ein Auto hat nur ein Lenkrad. Also müssen die Insassen die gleichen Ziele für die Autofahrt haben.

Ziellos kann man nicht autofahren. Abgelenkt autofahren ist eine gefährliche Angelegenheit. Wie kommen wir zum Ziel?

Durch unsere Gedanken. Aus Wünschen und Gefühlen entstehen pausenlos Gedanken. Machen wir uns bewusst Gedanken, finden wir unsere Ziele. Und dann können wir uns in Richtung ‘Ziele’ bewegen. Aber nur, wenn unser Antrieb groß genug ist. Und wenn wir nicht abgelenkt werden.

Abgelenkt durch einen Film oder eine Sendung, die uns von Aktivität abhält. Passiv sein ist ja viel bequemer.

Abgelenkt von schockierenden kurzen Nachrichten, die irgendwo aufploppen. Die Aufmerksamkeit folgt der Nachricht, und schon werden wir gelenkt. Von außen gelenkt.  Wie ein Beifahrer, nur waren die Ziele ursprünglich nicht die gleichen. Ich kann aber jederzeit aussteigen.

Gedanken lassen sich lenken. Entweder sitze ich am Steuer oder ein anderer. Manchmal – oder auch sehr oft – ist der andere gar kein anderer, sondern eine ältere Version von mir mit einem Haufen Gewust an alten Gedanken, von denen ich gar nicht mehr weiß, ob sie von mir, von Papa oder Mama oder dem Radio stammen.

Manchmal mag ich es, mich ablenken zu lassen. Ich liebe geradezu Filme. Ich entscheide mich für einen Film, der mir gerade Spaß macht. Mein Ziel ist die Ablenkung.

Also doch sich lenken lassen? Wenn ich jemanden mit den gleichen Zielen finde, warum nicht? Ein durchschnittliches Mittelklasseauto hat in der Regel vier Sitzplätze. Der sogenannte ‘Familienwagen’. Warum nicht? Wir sind verschieden, wir sind soziale Wesen, wir lernen voneinander. Nur zweierlei sollten wir immer wieder prüfen. Sind die Ziele noch dieselben? Können wir aussteigen?

Ab ist nämlich nur eine Vorsilbe des Wortes ‘Lenkung’. Mit der Bedeutung von weg meiner Lenkung.




Syelle Beutnagel wurde 1972 in Braunschweig geboren. Nach dem Abitur studierte sie an der TU Braunschweig Geisteswissenschaften. Aus dem Theaterjob, mit dem sie ihr Studium finanzierte, entwickelte sich ein Beruf, den sie nach dem Studium weiter ausübte. Daneben betrieb sie ein kleines Versandantiquariat. Nach ihrer Scheidung 2012 zog sie in den Südharz und lebt heute als freie Texterin und Autorin.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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