THE DWINDLING SPIRAL

Sonja Henkel für #kkl49 „Ablenung“




THE DWINDLING SPIRAL

Meine Freundschaft mit Stiller



Wenn man Stiller zum ersten Mal begegnet, sieht man sich einem zurückhaltenden, sehr introvertierten Menschen mit einem scheuen Lächeln gegenüber, der bestrebt ist, seine Angst und Unsicherheit hinter einer aalglatten zur Schau gestellten Arroganz zu verbergen. Bei keinem anderen stellte sich mir die enger werdende Abwärtsspirale des menschlichen Daseins deutlicher dar, als bei ihm.

Ich erinnere mich immer wieder an seine ersten zaghaften Versuche nach mir zu greifen, eine engere Verbindung herzustellen, sein Bemühen, die selbst auferlegten Fesseln abzustreifen und mir mehr von seinem Wesen zu offenbaren – denn seine Genialität präsentiert sich dem flüchtigen Beobachter nicht. Wenn Stiller nach meiner Hand greifen will, bedeutet das für ihn, auch wenn er nur knappe 50 cm neben mir sitzt, eine Überquerung von Ozeanen und Gebirgen. Die Furcht vor Zurückweisung, die Angst etwas Falsches zu sagen oder zu tun, oder gar sich zu blamieren, sind beinahe schon pathologisch. Dies alles kompensiert er hinter seiner Fassade der Blasiertheit und Arroganz und auch hinter seiner Anbetung des Bösen – der dunklen Seite im Menschen.

Denn Stiller will böse sein. Er will unnahbar sein und gefühlskalt, will andere verletzen, weil er selbst so oft verletzt wurde. Darum greift er weniger und weniger hinaus. Und jedesmal wenn sein Versuch des Hinausgreifens nicht von sofortigem Erfolg gekrönt ist, zieht er sich mehr in sich selbst zurück wie ein weidwund geschossener Wolf und bleckt in einem letzten Verteidigungsversuch seine Zähne. – The dwindling spiral in action! Und dabei gibt es kaum einen leidenschaftlicheren und liebesfähigeren Menschen als ihn. Es bedarf einer ziemlichen Anstrengung und einer Gratwanderung zwischen Verständnis und Härte, ihn aus diesen Situationen wieder herauszuholen, denn während solchen Zeiten ist sein bester Freund der Alkohol.

Eine Freundschaft mit Stiller erfordert ein hohes Hingabevermögen, eine Bereitschaft zu konfrontieren und die Fähigkeit Barrieren zu durchbrechen und hinter all den aufgesetzten Gesichtern das wahre Wesen zu erkennen. Und dennoch gibt es keinen lohnenderen Blick hinter Kulissen als eben diesen. Denn hier offenbart sich seine Genialität.

Als ich seine ersten Manuskripte zum Lesen erhielt, war ich sofort beeindruckt von der Tiefe seiner Gedanken und der künstlerischen Sensibilität seines Geistes. Nur wenige Menschen sind zu solch tiefgründigen und echten Gefühlen fähig und nur wenige Menschen unterdrücken sie so konsequent wie Max Stiller. All seine Stücke und Gedichte umweht der Trauerflor seines eigenen Lebens und der Unterdrückungen derer er ausgesetzt war. Die Zwiespältigkeit und Zerrissenheit seiner Persönlichkeit stellt sich entweder in abstoßender Vulgarität oder Obszönisierung zwischenmenschlicher Beziehungen und Gefühlen dar. Das Gegenstück dazu sind die wunderschönen Schilderungen mit denen er seiner Liebesfähigkeit und seiner Hoffnung auf dauerhaftes Glück Ausdruck verleiht.

Denn er sucht genau das, was er am heftigsten bekämpft. Die Nähe, die Wärme, die Anerkennung, die Liebe und den Respekt seiner selbst durch andere. Und er ist fähig all diese Eigenschaften im Übermaß auch zu geben.

Als er mich, bei unserer letzten Begegnung, ganz gegen seine Natur, so freudig und heftig umarmte, daß mir buchstäblich die Luft wegblieb, wurde ich, wie bei fast jeder Begegnung mit ihm, an einen Ertrinkenden erinnert, der sich an den lebensrettenden Balken klammert.

Doch seine gehobene Stimmung ist selten von langer Dauer. Ein unbedachtes Wort, eine falsche Bemerkung oder eine ausgelassene persönliche Einladung, lassen ihn sofort wieder in störrisches Schweigen versinken und der verwundete Steppenwolf bleckt seine Zähne und klebt sich die Pflaster der Arroganz an. Mein ganzes Verstehen über die menschliche Natur und den Aufbau des menschlichen Verstandes ist dann gefordert, ihn wieder hervorzuholen.

Wenn er, vom Alkohol beflügelt, ein armes 18-jähriges russisches Mädchen eine halbe Nacht lang dozierend terrorisiert, nur um einem Freund seine Überlegenheit zu demonstrieren und meine Anwesenheit darüber völlig vergisst, bedarf es eines sehr hohen Konfrontiervermögens und meiner ganzen Beherrschung, den weit unter seinem Niveau liegenden, unglaublichen Schwachsinn, den er in zwanghaft besessenen Wiederholungssequenzen von sich gibt, zu tolerieren. Sein vom Alkohol umnebelter Verstand zwingt ihm dann Handlungen und Äußerungen auf, die unmöglich, untragbar, unter jeder Kritik, beleidigend und manchmal sogar verletzend sind. Und wenn ich knapp davor stehe die Beherrschung zu verlieren und ihn, meiner eigenen dunklen Seite folgend, zum Teufel schicken will, sehe ich seine Augen. Sehe den dumpfen Schmerz und die helle Verzweiflung über seine eigene Ohnmacht seinen Handlungen gegenüber darinnen. Und tief unten, hinter der blauen Iris, finde ich ihn dann wieder

Dort, vergraben unter Persönlichkeitstrümmern, schmerzhaften Erfahrungen, falschen Idealen und aufgezwungenen Betrachtungen, gefesselt und geknechtet, beleidigt und erniedrigt, ist das wahre Wesen Max Stiller – bereit mir zu helfen, flehend nach mir und meiner Hilfe greifend und entschlossen die Barrieren zu durchbrechen und sich selbst zu befreien 

Und in diesem Augenblick öffnet sich mein Geist, weitet sich mein Herz und meine Hände werden zu stählernen Klammern, die seine fest umschließen und nicht loslassen, bis er, von meinen für ihn unsichtbar gewobenen Sicherheitsnetzen begleitet, die drohende enger werdende Abwärtsspirale wieder heraufgekommen ist und das wird, was er von Anbeginn war.

Ein strahlender künstlerisch genialer freier Geist, der all das Glück findet, das er sich erträumt hat und das er verdient. Ein Wesen wie Max Stiller hat der Welt sehr viel zu geben und die Welt hat ein Anrecht darauf es zu erhalten.

Eine Nation stirbt mit ihren Träumen und wenn ihre Künstler sterben, denn Träume werden von Künstlern geträumt. Sie sind die einzige Hoffnung der Menschheit für Planet Erde, die wertvollsten Wesen, denn sie erschaffen die Zukunft für uns alle und kreieren mit ihren Visionen die Realitäten von morgen.




Sonja Henkel, geboren 08.10.1956 in Wien, seit 2015 wohnhaft in Niederösterreich.

Seit über 20 Jahren journalistisch tätig, Verfasserin verschiedener themenbezogener Artikel in den Bereichen Kunst, Naturwissenschaften, Biologie, Tierschutz und Rechtswesen.

2012 erweitert auf Kurzgeschichten, literarische Texte, Romane, 1 Kinderbuch verfasst, weitere sind in Arbeit.







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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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