Doreen Pitzler für #kkl50 „Hingabe“
Hingabe einer Nonne
Im Jahre des Herren 1153; Kloster Rupertsberg
Leidenschaften gab es im Leben viele, ob es sich dabei nun um einen tiefen Glauben an Gott handelte oder an die Liebe zu einem anderen Menschen. Man konnte sich der schönen Kunst hingeben oder man folgte seiner Berufung – so wie es auch Adelheid tat. Sie hatte sich nichts sehnlichster gewünscht, als Teil des Klosters von Hildegard von Bingen zu sein. Jetzt endlich war dieser Ort fertiggestellt, und er war wunderschön. Eine Zuflucht für Frauen, die keinen Platz in dieser Welt hatten.
Adelheid atmete tief den Duft der Kräuter im Garten ein. Die Arbeit hier im Kloster war hart, aber sie wollte sie nicht missen. Sie gehörte zu den wenigen Frauen, die nicht adlig waren. Bis jetzt durften nur Adlige in das Kloster von Hildegard. Dann jedoch gab es einen Umschwung und man nahm auch arme Frauen wie Adelheid auf.
Sie atmete tief die frische Luft ein. Heute stand die Pflege der Heilkräuter auf ihrem Arbeitsplan. Auch dieser Aufgabe kam sie mit Freude nach. Immerhin wusste sie, warum sie es tat. Ohne die Kräuter würden Kranke leiden oder sogar sterben.
Dank ihrer Äbtissin lernte sie hier auch Kräuterkunde und das Versorgen von Wunden. Zuerst war sie nicht glücklich darüber, aber mittlerweile fühlte sie sich wohl mit dieser Aufgabe, denn so konnte sie auch anderen helfen.
„Guten Tag, Schwester Agnes, wie geht es dir heute?“, fragte sie und lächelte. Die etwas ältere Nonne drehte den Kopf und nickte. „Danke der Nachfrage, Schwester Adelheid. Mein Rücken schmerzt immer noch, aber die frische Luft tut mir gut.“
Schwester Agnes streckte sich und bog den Rücken durch. „Soll ich dir eine Salbe zusammenstellen? Ich habe gelernt, welche Kräuter man dafür benötigt“, sagte Adelheid.
Die andere Nonne lächelte dankbar. „Du bist ein gutes Mädchen. Behalte dir das. Wenn es deine Arbeit zulässt, dann gerne.“
Dankbar lächelte Adelheid. Über ein Lob freute sie sich immer.
Zusammen arbeiten sie im Kräutergarten und entfernten das Unkraut aus dem Bett. Dabei lernte Adelheid noch zwei weitere Kräuter kennen. Hier wuchsen auch Knoblauch und Zwiebeln, die man nicht nur zum Würzen nutzten.
Adelheid hatte Freude an dem Graben in der Erde. Es wirkte auf die beruhigend. Zumal jedes Kraut anders duftete und die Bienen um sie herumschwirrten.
Nach dem sechsten Stundengebet nahmen sie ihre Hauptmahlzeit ein. Eine der Nonnen las Gebete vor, denn Gespräche waren beim Essen nicht gestattet.
Gemeinsam räumten sie den Tisch ab und ihre Äbtissin Hildegard klatschte in die Hände. Manche Freiheiten musste man sich einfach gönnen. „Wir beginnen jetzt mit dem Unterricht. Bitte folgt mir“, sagte sie.
Die Nonnen stellten sich auf und verließen den großen Speisesaal. Man hatte extra bei dem Bau des Klosters drauf geachtet, dass es auch einen Raum für eine Klosterschule geben würde. Diese war noch nicht ganz eingerichtet, dennoch warteten bereits acht Mädchen auf sie. Sie waren zwischen fünf und zehn Jahren alt. Fast alle waren Kinder der Umgebung, bis auf zwei adelige Mädchen. Diese hoben sich deutlich von den anderen ab.
„Guten Tag, Äbtissin“, begrüßten die Schülerinnen sie. Hildegard nickte huldvoll und ein warmes Lächeln huschte über ihr Gesicht.
„Guten Tag, die jungen Damen. Dann wollen wir uns einmal setzen und mit dem Lateinunterricht beginnen. Heute wird uns Schwester Adelheid unterstützen“, erklärte sie.
Überrascht blickte Adelheid auf und schluckte. Sie liebte die Kräuterkunde und auch das Arbeiten im Garten oder mit den Kranken, aber sie war nicht gut im Lesen und Schreiben.
„Nur Mut, mein Kind.“ Hildegard sah sie aufmunternd an und Adelheid straffte sich. Wenn die Äbtissin an sie glaubte, würde sie es schaffen.
Immerhin musste sie lesen und schreiben können, wenn sie irgendwann einmal in der Schreibstube arbeiten wollte. Zudem lag ihr viel daran, die Wirkung der Kräuter zu dokumentieren.
„Natürlich, Äbtissin.“
Sie setzte sich in die vorderste Reihe und begann, ihre Schreibutensilien auszupacken. Gerade als der Unterricht beginnen sollte, stürmte Schwester Johanna in den Raum. „Vergebt mir die Störung, Äbtissin, aber eben wurde ein Bauer gebracht. Er ist schwer verletzt. Wir brauchen Eure Hilfe.“
Ohne zu zögern, erhob sich Hildegard und auch Adelheid folgte ihr. Sie eilten mit wehenden Röcken hinter Johanna her, als sie diese in den Krankenflügel brachte. Der Raum war hell und mit mehreren Liegen bestückt.
Der Bauer aus der Umgebung lag mit schmerzverzerrtem Gesicht und blutend auf einer dieser Liegen. Neben ihm standen zwei weiteren Männer, seine Söhne, wie es schien.
„Guten Tag, ihr müsst gehen“, drängte Johanna. Männer waren im Kloster nicht gestattet, außer es waren Patienten. Die beiden sahen sich an und es schien, als wollten sie nicht gehen, aber der Vater winkte sie davon.
„Hilfe“, murmelte er. Tränen standen in seinen Augen, als er die Hände von seinem Bauch nahm. Blut hatte den Stoff gedränkt. Hildegard besah sich die Wunde und wies die Schwestern an, warmes Wasser und Essig zu holen. „Hab mir mit einer Sense in den Bauch geschnitten“, jammerte der Bauer. Er zuckte vor Schmerz zusammen.
Hildegard nickte bedächtig. „Ich muss die Blutung stoppen. Bringt Hirtentäschel und Spitzwegerich.“ Sie wandte sich an Adelheid. „Du weißt, wie du daraus eine Paste machst?“
Die Nonne nickte und begann, die gewünschten Kräuter eine Paste anzufertigen.
Unterdessen versuchten die anderen Schwestern, die Blutung zu stoppen. Der Mann wimmerte und wollte sich zusammenkrümmen, die Wunde war tief, wie Hildegard besorgt feststellte. Sie betete zu Gott, dem Mann zu helfen. Derweilen taten ihre Nonnen alles, um dessen Leben zu retten.
Adelheid stellte die Paste neben der Liege ab und machte sich daran, einen schmerzstillenden Tee zuzubereiten.
Wenn es aufhörte zu bluten, würden sie die Wunde reinigen und mit verdünnten Essig desinfizieren.
Der Unterricht musste auffallen oder verschoben werden, das Leben dieses Mannes ging vor. Die Schwestern würden sich gut um ihn kümmern und alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihm zu helfen.
Immerhin war dies auch die Aufgabe einer Nonne. Es mochte blutig sein, aber Adelheid stellte sich dieser Herausforderung mit Liebe und Hingabe und ihrem Glauben.
Doreen wurde 1986 in Sachsen-Anhalt geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Schon früh entwickelte sie eine Vorliebe für gute Geschichten und inspirierende Welten. Zu Schulzeiten verband sie diese Vorliebe mit ihrer eigenen blühenden Fantasie und begann mit den Schreiben eigener Geschichten. Heutzutage ist das Schreiben ein willkommener Ausgleich zu ihr Bürotätigkeit. Bevorzugt begibt sie sich literarisch in eine homoerotische Männerwelt.
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