Die Lampe

Rodrigo Gardella für #kkl50 „Hingabe“




Die Lampe

„Marga! Das kann einfach nicht sein! Den ganzen Tag vor dieser Lampe!“, schrie mich mein Mann oft an. Da ich nicht auf ihn achtete, verließ er das Haus und knallte die Tür zu. Es stimmt nicht, dass ich den ganzen Tag vor der Lampe verbrachte.  Wenn er nicht da war, nutzte ich die Gelegenheit, um andere Dinge zu tun. Atmen in Frieden, zum Beispiel. Außerdem verstehe ich nicht, was daran falsch sein soll.  Manche verbringen Stunden damit, fernzusehen oder Zeitung zu lesen. Ich schaute halt gern auf meine Lampe. Was meinen Mann wirklich störte, war, dass das Essen nicht rechtzeitig zubereitet wurde oder die Kleidung nicht schön gebügelt in den Schubladen lag, wie früher, als er von der Arbeit nach Hause kam und alles geregelt vorfand. Aber wir waren schon alt. Wir hatten weder Verpflichtungen noch nach einem Zeitplan zu leben. Männer werden mit zunehmendem Alter sehr dramatisch. An Gründen, meine Lampe zu bewundern, mangelte es jedenfalls nicht. Sie war sehr hübsch. Ich bekomme einen Kloß im Hals, wenn ich an sie denke. Sie stellte die Symbiose zwischen Perfektion und Schönheit dar, obwohl ich schon lange wusste, dass die Schönheit überhaupt nicht nach Perfektion verlangt.

Meine Lampe hatte die Form eines Pilzes mit einem durchsichtigen Glasstiel, durch den der Draht zu sehen war, der zur Glühbirne führte. Es gab keine Geheimnisse zwischen uns. Der Fuß war zylindrisch und aus dem gleichen Glas wie der Stiel gefertigt. Der kugelförmige Schirm bestand aus einem milchigen Glas, das ein weißliches Licht erzeugte, sehr angenehm und entspannend. Durch die Kugelform verteilte sich das Licht in alle Richtungen. Mein Lieblingsdetail war die Schnur mit einer Metallkugel am Ende. Jedes Mal, wenn ich daran zog, um es ein- oder auszuschalten, kollidierte es mit dem Glas des Stiels und erzeugte ein klingelndes Geräusch, das mich in Ekstase versetzte. Ich habe die Lampe auf das Klavier gestellt, weil es der Ort im Haus war, an dem ich die meiste Zeit verbrachte.

Sie wurde mir vom Veranstalter meines letzten Konzertes vor der Pensionierung geschenkt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Nein, noch besser. Sie war meine erste Liebe. Wenn ich erklären müsste, was mich an der Lampe faszinierte, würde ich sagen, dass es ihre Harmonie war. Endlich hatte ich etwas bekommen, das ich wirklich wollte! Weder Blumen, Pralinen noch Schmuck hatten mir jemals so viel Freude bereitet. Ich trug die Kiste wie ein Baby auf dem Arm und weigerte mich rundweg, sie zusammen mit dem restlichen Gepäck aufzugeben.

Mein Mann sagte, die Lampe hätte mein Leben vergiftet. So habe ich das nicht gesehen. Es stimmt, dass dies einer der Gründe war, warum ich mit dem Klavierspielen aufgehört habe; ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Aber wie gesagt, ich war schon alt und meine Finger konnten sich wegen Arthrose kaum mehr bewegen. Es hat auch meine Schüler entfremdet. Die ersten waren die Müllers, die Kinder des Nachbarn. Jedes Mal, wenn sie sich zum Unterricht ans Klavier setzten, begannen sie mit der Schnur der Lampe zu spielen und schalteten sie mit einer Heftigkeit ein und aus, die mir den Atem raubte. Ich musste mit dem Holzstab auf ihre Finger schlagen, um sie daran zu hindern, und trotzdem bestanden sie manchmal darauf. Die Familie Müller hörte auf, mich zu grüßen. Es war mir egal. Ich beschloss, alle meine Kurse abzusagen, aus Angst, dass meine Lampe geschändet würde. Und ich bereue es nicht. Ich glaube, ich hatte nie eine Berufung zum Unterrichten, und meine Beziehung zum Klavier war nie angenehm. Es hat mir mehr genommen, als es mir gegeben hat. Kurz gesagt, es hat mich tyrannisiert, und im Laufe der Jahre begann ich, es aus tiefstem Herzen zu hassen. Daher war es ein Triumph, als ich das Klavier auf einen bloßen Ständer für meine Lampe reduzierte.

Auch meinem Mann verbat ich es, sich der Lampe zu nähern. Er behandelte sie unsanft und sagte, sie habe nicht den Geist einer Lampe, und ihr Licht sei nutzlos. Das irritierte mich sehr. Ich glaube, es hatte ihn gedemütigt, durch ein nutzloses Stück Schrott – so nannte er es! – verdrängt zu werden. Über das Klavier hat er sich natürlich nie beschwert, weil es uns Geld einbrachte, aber das mit der Lampe hat er nie verstanden. Niemand kann sich die Emotionen vorstellen, die der Gedanke daran in mir auslöste. Sie verlangte keine Gegenleistung. Beim Einschalten, schien es, als würde sich darin etwas zusammenbrauen. Diese warme, beleuchtete Rundheit vermittelte Leben. Zu wissen, dass sie da war, beruhigte mich. Doch als ich vor zwei Tagen nach dem Einkaufen nach Hause kam, brach für mich die Welt zusammen. Das Erste, was ich sah, als ich eintrat, war die Leere über dem Klavier. Mein Mund wurde trocken. Ich warf die Taschen weg und rannte hastig zum Klavier. Mein Herz hämmerte in meinen Schläfen. Ich spürte, wie Tausende sehr feiner Nadeln in meinen Händen und Füßen steckten. Ich fand sie am Boden; Die Glassplitter verstreuten sich um das Kabel und die Schnur verhedderte sich im Metallrahmen. Eine Gnadenlosigkeit. Mir war zum Weinen zumute. Ich schaute mich um. Die Fenster waren geschlossen. Es gab keine Luftströmungen. Nur das monotone Schnarchen meines Mannes verschwand in dieser Totenstille. Ich schnappte mir den Holzstab und streichelte über seine scharfe Spitze. Ich schlug mir ein paar Mal auf die Handfläche, konnte mich aber nicht beruhigen. Das Blut kochte in meinen Adern. Ich holte tief Luft und betrat das Zimmer, in dem er schlief.




Rodrigo Gardella wurde 1973 in Buenos Aires, Argentinien, geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Patagonien. Nach Studien der Rechtswissenschaft ging er für ein Aufbaustudium nach Spanien. Seit 2004 lebt er in Frankfurt am Main und arbeitet für eine internationale Bank. Die Literatur und das Schreiben sind für ihn stetige Begleiter im Alltag und ermöglichen ihm, auf seine Art die Phasen und Veränderungen des Lebens, des Umfelds und der Gesellschaft zu reflektieren und zu dokumentieren. 2014 veröffentlichte er einen Erzählband. Des Weiteren hat er bei fünf Kurzfilmen Regie geführt (Videopoesie, Spielfilm und Experimentalfilm) und ist Teil der lokalen spanischsprachigen Literatur- und Kulturszene.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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