Das offene Geheimnis der guten Gabe

Martin A. Völker für #kkl50 „Hingabe“




Das offene Geheimnis der guten Gabe

Alles kann zum Geschenk, also zur guten Gabe werden. Es kommt dabei nämlich nicht auf die Beschaffenheit der Dinge an, sondern auf die Beschaffenheit von jenen, die solche Dinge hingeben. Diese Hingaben sprechen nicht für sich, sie sprechen für uns. Das tun sie zwar immer, oft jedoch anders als gewünscht. Rufe dir einen Geburtstag oder ein Weihnachtsfest in Erinnerung, bei dem deine Hingaben keinen Freudentaumel auslösten. Ein Verlegenheitsgeschenk ist keine gute Gabe. Die Musik oder die Perlenkette, welche dich allein erfreut, ist keine gute Gabe, und die lose Rede zwischen zwei Menschen, sich nichts zu schenken, stellt eine bloße Ausrede dar, sich dort keine Gedanken zu machen, wo es wünschenswert und vielleicht sogar bitter nötig wäre. Hingaben, die als gute Gaben im Gedächtnis bleiben, zeugen von Interesse und davon, am Leben anderer teilzunehmen. Stell dir das Hingeben als Schenken wie einen festen, freundschaftlichen Handschlag vor. Hände greifen ineinander, Stück findet Gegenstück, Herzblut zu Herzblut. Das Hingeben wird zum Teilen, zur Anteilnahme und Anteilgabe. Das Hingeben zeigt, was in dir steckt. Als Gegenbeispiel für dieses Hingeben und die Hingabe kann ich dir eine Zeile aus dem Song „Geh zu ihr“ von den Puhdys nennen, die mich stets peinlich berührt hat. Herausgepresst wird da die Losung: „Geh zu ihr und lass deinen Drachen steigen“. Misstönig klingt das in meinen Ohren, und die hervorgerufenen Bilder sind keineswegs angenehmer. Aber nicht Prüderie lässt mich so empfinden. Ich sehe die fehlende Hingabe, erahne ein breitbeiniges Hingehen und ein schroffes Nehmen, wobei das genommen werden soll, was einem gar nicht gehört, obgleich der vermeintliche Besitz mitgedacht wird. Das Hingehen und das Nehmen, beides kennt keine Gnade. Das Hingeben und die Hingabe, beides ist schönste Übereinkommenschaft. Doch selten genug kommt es dazu. Wer sich in Hingabe übt, der muss trotzdem längst nicht alles hinnehmen. Die Hingabe beruht auf Gegenseitigkeit, und ist die nicht gegeben, muss die Hingabe aufhören. Das ist leicht gesagt und schwer getan, denn es kommt vor, dass sich das Hingeben verselbstständigt, die Hingebenden über ihre Verhältnisse leben, sich aufgeben. Sie nehmen Unwürdigkeiten hin, um geben zu können. Das Hingeben wird auf diese Weise zur Unterwerfung, die Hingabe sinkt zu einem Geschenk herab, das falsche Götter gnädig stimmen soll, während echte Hingabe Menschen vereint, ohne sie als Herr und Knecht aneinanderzubinden. Da Hingabe bedeutet, sich ein Stück weit selbst zu schenken, ohne sich zu verschenken, musst du überdenken, was du dem anderen aufbürdest, wenn du dich ihm oder ihr hingibst. Du kannst dich anderen hingeben und damit ausdrücken: „Friss oder stirb“. Du kannst das allerdings auch so tun, indem du zu verstehen gibst: „Genieße und lebe“. Die Art deiner Hingabe entscheidet darüber, ob andere fremd bleiben oder sie zu Mitmenschen werden, du sie zu Mitmenschen herankommen, heranreifen lässt. Mitmenschen entstehen durch Selbstzurücknahme. Hingabe bedeutet zuallererst Selbstüberwindung. Selbstüberwindung meint kein einfaches Sich-trauen, sie fordert dazu auf, das anfängliche, absolute und ausufernde Ich-denke-also-bin-ich in neue Schranken zu weisen. Von dir besetzte Gebiete müssen geräumt werden, um Boden freizugeben, auf dem anderes gedeihen kann. Hingabe eröffnet, umspielt und ermöglicht, sie gibt etwas, was sie noch nicht ist, was sie im Geben wird. Damit gleicht die Hingabe der Rundung des Quadrats.




Martin A. Völker, geb. 1972 in Berlin und lebend in Berlin, Studium der Kulturwissenschaft und Ästhetik mit Promotion, arbeitet als Dozent, Kunstfotograf (#SpiritOfStBerlin) und Schriftsteller in den Bereichen Essayistik, Kurzprosa und Lyrik, Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland. Mehr Infos via Wikipedia.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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