Cora Krass für #kkl50 „Hingabe“
In Hingabe verloren
Was wäre, wenn alles anders gekommen wäre?
Diese Frage verfolgt mich, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Sie klammert sich an meine Gedanken, gräbt sich tief in meine Brust, ein nagender Schmerz, der nicht nachlässt. Ich frage mich, ob es einen Moment gab, einen winzigen Augenblick, in dem ich etwas hätte anders machen können. Einen Satz, den ich hätte sagen sollen, eine Berührung, die dich vielleicht zum Bleiben gebracht hätte. Doch dann erinnere ich mich daran, dass es nicht meine Entscheidung war. Es war deine.
Ich sitze auf dem kalten Fußboden meines Schlafzimmers, die Knie angezogen, die Arme um mich geschlungen, als könnte ich mich selbst zusammenhalten, während ich langsam zerfalle. Die Dunkelheit im Raum drückt auf mich ein, nur das fahle Licht der Straßenlaterne dringt durch die Gardinen und zeichnet Schatten an die Wände. Alles um mich herum fühlt sich leer an. Ohne dich ist selbst Stille lauter, als ich ertragen kann.
Weinend und mit einer abklingenden Panikattacke sitze ich hier, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Körper zittert unkontrolliert, meine Brust ist eng, als würde jemand mit eisernen Fäusten mein herz umklammern. Mein Atem geht stoßweise, flach und viel zu schnell, als wäre ich gerade gerannt, obwohl ich mich nicht rühren kann. Mein Kopf dröhnt, meine Finger kribbeln, taub von der Hyperventilation, die mich eben noch verschlungen hat. Kalter schweiß klebt an meiner Haut, und mein Magen dreht sich, als würde ich gleich brechen. Ich umklammere meine Knie noch fester, drücke mich gegen mein Bett, als könnte ich so verhindern, dass ich auseinanderfalle. Warum hast du das getan? Warum hast du mich verlassen? Die Fragen brennen in meinem Kopf, kreisen immer wieder, ohne Antwort, ohne Ausweg. Ich verstehe es nicht. Ich habe es nicht kommen sehen. Alles in mir schreit nach einer Erklärung, nach einem Grund, der den Schmerz lindert, doch es gibt nichts- nur das Echo deines Fehlens und das rasende Schlagen meines eigenen, gebrochenen Herzens
Natürlich war nicht alles perfekt. Es gab Streit, es gab Missverständnisse, und vielleicht gab es Momente, in denen wir einander nicht mehr so gesehen haben wie früher. Aber war es wirklich so kaputt, dass man es nicht hätte reparieren können? Immer und immer wieder habe ich versucht, mich nicht zu ärgern, wenn du wieder einmal kurzfristig unsere Pläne geändert hast. Ich habe tief durchgeatmet, mir eingeredet, dass es nicht böse gemeint war, dass du einfach so bist. Ich wollte nicht sauer auf dich sein, weil du deine Gefühle für dich behalten hast, weil du nicht so leicht über das gesprochen hast, was in dir vorging. Also habe ich Geduld gehabt. Ich habe gewartet, gehofft, dass du irgendwann von allein deine Mauern fallen lässt. Ich habe immer Verständnis gezeigt. Habe versucht, nicht zu klammern, dir den Raum zu geben, den du gebraucht hast. Aber gleichzeitig wollte ich einfach nur Zeit mit dir verbringen – ohne das Gefühl, dass ich dich damit erdrücke. Ich habe mich zurückgenommen, meine Bedürfnisse hinter deine gestellt, nur um uns nicht zu verlieren.
Doch du hast dich entschieden, es nicht mehr zu tun.
Zwei Monate sind vergangen. Zwei lange, kalte Monate. Und noch immer hält mich die Frage gefangen: Was wäre, wenn es kein Ende gegeben hätte?
Hätten wir uns gegenseitig zerstört? Hätten wir uns immer weiter verletzt, bis nichts mehr von uns übrig gewesen wäre? Oder hätten wir es geschafft, wieder näher zusammenzufinden? Wären wir gewachsen, hätten wir gelernt, uns anders zu lieben?
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Und das ist das Schlimmste daran – ich werde es nie erfahren.
Ich schließe die Augen und lasse mich von den Erinnerungen forttragen. Erinnerungen, die sich anfühlen, als wären sie aus einem anderen Leben. Einem Leben, das nicht mehr meines ist.
Wir haben uns gegenseitig gestützt, waren füreinander da, egal was kam. Haben miteinander gefühlt, miteinander gelacht. Du hast mich gekitzelt, bis mir die Luft wegblieb vor Lachen – jetzt kann ich nicht mehr atmen, weil ich zu viel weine. Ist es das? Ist es, weil ich dir zu viel gegeben habe? Weil ich mich vollkommen hingegeben habe, ohne etwas zurückzuhalten? War es zu viel für dich? Hat dich meine Liebe erdrückt?
Bist du deshalb gegangen?
Ich erinnere mich an all die Momente, in denen ich versucht habe, dich zu erreichen, während du dich immer weiter von mir entfernt hast. Wie oft habe ich gefragt: Was ist los? Und wie oft hast du nur mit den Schultern gezuckt oder gemurmelt: Nichts. Doch da war etwas. Ich konnte es spüren. Die Stille zwischen uns war nicht mehr vertraut, nicht mehr friedlich – sie war angespannt, voller unausgesprochener Worte, voller unausgetragener Kämpfe.
„Sag mir, was du fühlst“, bat ich an diesem Abend auf meiner Grünen Couch, an denen du neben mir saßt, aber meilenweit entfernt schienst. Die Sonne neigte sich dem Untergehen, die restlichen Sonnenstrahlen erhellten das Wohnzimmer.
Du seufztest, fuhrst dir mit den Fingern durch die Haare, als würdest du nach den richtigen Worten suchen.
„Ich weiß es nicht“, sagtest du schließlich. „Manchmal fühlt es sich einfach… zu viel an.“
Mein Herz zog sich zusammen. Ich wusste nicht, was du damit meintest. War es die Art, wie ich dich ansah, als wäre nichts auf der Welt wichtiger als du? War es die Art, wie ich dich umarmte, als würde ich dich nie wieder loslassen wollen? War es der Wunsch dir näher zu sein?
„Zu viel?“ flüsterte ich, weil meine Stimme sonst gebrochen wäre.
Du drehtest dich zu mir, sahst mich an, aber in deinen Augen lag keine Wärme mehr. Nur Unsicherheit. Zögern. „Ja. Ich… ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Es ist, als würde ich manchmal erdrückt werden. Nicht, weil du etwas falsch machst, sondern weil… ich es einfach nicht kann.“
Diese Worte. So leise ausgesprochen, so endgültig. Ich hätte schwören können, dass mein Herz in diesem Moment einen Schlag aussetzte. Ich hatte immer geglaubt, dass Liebe bedeutete, alles zu geben. Ich hatte geglaubt, dass du es genauso wolltest. Doch jetzt begriff ich es – vielleicht wollte ich zu viel. Vielleicht habe ich dich mit meiner Liebe nicht gehalten, sondern erdrückt.
Ich hab dir gesagt, dass ich mich ändern werde, dass ich zurücktreten kann, wenn du mehr Raum brauchtest. Aber tief in mir wusste ich, dass das nichts ändern würde. Denn es ging nicht darum, was ich tat. Es ging darum, wie du fühltest.
Oder besser gesagt – wie du nicht fühltest.
Und vielleicht war das der Moment, in dem ich hätte verstehen müssen, dass es kein „Uns“ mehr gab. Aber ich tat es nicht. Erst zwei Wochen nach dem Gespräch beendetest du das „Uns“, das ohnehin nur noch an einem seidenen Faden hing.
Und so blieb ich zurück – mit all den Erinnerungen, die noch immer in meinem Kopf kreisten, als wären sie erst gestern geschehen. Ich versuchte zu begreifen, was passiert war, suchte nach einem Punkt, an dem ich hätte anders handeln können. Doch statt Antworten fand ich nur die Sehnsucht nach dem, was einmal war.
Ich vermisse die Momente, in denen wir einfach nebeneinander lagen, schweigend, unsere Blicke ineinander versunken. In diesen Augenblicken brauchten wir keine Worte – es war, als würden unsere Seelen miteinander sprechen. In deinen Augen habe ich mich zu Hause gefühlt. Jetzt bin ich heimatlos.
Ich vermisse deine warmen Hände, die mich immer gewärmt haben, selbst wenn mir innerlich eisig kalt war. Hände, die mir Sicherheit gaben, die mich gehalten haben, wenn ich dachte, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Es war wieder ein kalter Tag – aber das war es immer für mich, denn meine Hände waren nie warm. Also schob ich sie ohne Vorwarnung unter deine Kleidung, egal wo wir waren, suchte nach deiner Wärme, nach dem vertrauten Aufzucken deines Körpers, wenn meine eisigen Finger deine Haut berührten. Und jedes Mal hast du mich trotzdem gewähren lassen, hast mich an dich gezogen, bis meine Hände langsam auftauten.
Doch nicht nur an solchen Tagen. Auch, wenn meine Periodenschmerzen mich zusammenkrümmten, irgendwo an einer S-Bahn-Station, warst du da. Ohne zu zögern hast du dich hinter mich gekauert, hast deine Hände sanft auf meinen Unterbauch gelegt, als könnten sie den Schmerz einfach fortstreichen. Und irgendwie konnten sie das – zumindest ein bisschen. Mein Kopf lehnte an deiner Schulter, meine Augen geschlossen, weil ich wusste: Ich konnte mich fallen lassen. Denn du warst da.
Ich vermisse das Kuscheln und das neben dir Einschlafen, besonders wenn du mir etwas vorgelesen hast. Deine Stimme – sie war immer so sanft dabei, so ruhig, so vertraut. Du hast die Worte nicht einfach nur gesprochen, du hast sie gefühlt, und in diesen Momenten fühlte ich mich, als wäre ich Teil einer anderen Welt, einer besseren Welt – unserer Welt.
Ich vermisse dein Lächeln. Und vor allem dein süßes Lachen, wenn ich dich mal gekitzelt habe. Es war so echt, so unbeschwert, so voller Leben. Es war eine Melodie, die mich von innen heraus erfüllte. Ich würde so gerne noch einmal den Satz „Du bist komisch“ aus deinem Mund hören, wenn ich dich mal wieder spielerisch gebissen habe.
Ich beiße mir auf die Lippe, um das Zittern zu unterdrücken, aber die Tränen fließen weiter, unaufhaltsam. Ich kann nicht anders, als mich zu fragen: War das unsere Geschichte? Sollte es wirklich so enden?
Ich habe alles gegeben. Ich habe mich selbst gegeben, ohne Angst, ohne Zurückhaltung. Ich habe geliebt, mit allem, was ich hatte. Und jetzt stehe ich mit leeren Händen da, mit einer Leere in mir, die ich nicht füllen kann.
War es falsch, so sehr zu lieben? Denn Ich will nicht, dass es falsch war. Ich will glauben, dass es richtig war, dass es etwas bedeutet hat, auch wenn es jetzt vorbei ist.
Langsam stehe ich auf. Meine Beine sind taub, mein Körper fühlt sich schwer an. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und atme tief ein.
Liebe ist nicht nur, sich jemandem hinzugeben. Es bedeutet auch, zu erkennen, wann man loslassen muss.
Und ich? Ich muss loslassen.
Ich weiß nicht, ob ich das heute schon kann. Vielleicht nicht morgen. Vielleicht nicht nächste Woche. Aber irgendwann. Ich schulde es mir selbst. Ich weiß, dass ich dich geliebt habe. Dass ich dich immer noch liebe. Aber ich kann nichts festhalten, wenn es mich nicht will.
Ich sitze auf dem von Sonnenlicht erwärmten Fußboden meines Schlafzimmers, die Beine locker von mir gestreckt. Das Holz unter mir fühlt sich warm an, fast so, als würde es mich sanft umarmen. Ich lehne mich zurück, stütze mich mit den Händen ab und schließe für einen Moment die Augen. Die Sonnenstrahlen tanzen auf meiner Haut, kitzeln meine Wangen, streifen meine geschlossenen Lider. Ein leichter Windzug weht durch das offene Fenster, trägt den Duft des nahenden Frühlings mit sich – frisch, verheißungsvoll, voller neuer Möglichkeiten.
Als ich die Augen öffne, blicke ich in den endlos blauen Himmel. Kein Wölkchen trübt ihn, kein Schatten liegt über ihm. Ich lasse mich von seinem Anblick fesseln, als könnte er mir Antworten geben, die ich so lange gesucht habe. Die Wärme der Sonne breitet sich in mir aus, sickert in jede noch so kalte Ecke meiner Seele. Und dann merke ich es – ich lächle. Nicht gezwungen, nicht aus Gewohnheit, sondern ganz von allein.
Es ist still. Doch diesmal fühlt sich die Stille nicht erdrückend an. Sie ist nicht das beklemmende Schweigen der Einsamkeit, sondern eine friedliche, eine, die ich willkommen heiße. Ich genieße sie regelrecht.
Denn in den letzten zwei Monaten habe ich gelernt, allein zu sein, ohne mich verloren zu fühlen. Ich habe gelernt, mein eigenes Glück nicht in den Händen eines anderen zu suchen. Ich habe verstanden, dass ich die Liebe, die ich dir einst so bedingungslos geschenkt habe, nun mir selbst geben muss.
Unsere Wege mögen sich getrennt haben – weil du es so wolltest. Und das ist in Ordnung. Doch das bedeutet nicht, dass du aus meinem Herzen verschwinden wirst. Es gibt dort einen Platz für dich, einen Ort, an dem unsere Erinnerungen weiterleben. Ich habe die Tür nicht verschlossen. Sie steht offen. Wenn du eines Tages zurückkommst, wenn du anklopfst, werde ich vielleicht noch da sein, vielleicht noch einmal hinsehen.
Aber ich kann dir nicht sagen, wie lange diese Tür offenbleiben wird.
Denn ich muss weitergehen. Ich muss glücklich werden. Ich muss endlich leben.
Ohne dich.

„Ich bin Cora Krass, 20 Jahre alt und studiere an der SRH in Berlin kreatives Schreiben
Über #kkl HIER
