KARRIERE

Lukas Felix Pohl für #kkl50 „Hingabe“




KARRIERE

Ich trete in einen altertümlichen Saal mit hohen Decken. Holzornamente zieren die Wände und dazwischen, aus großen Gemälden in goldenen Rahmen, starren Frauen und Männer auf mich herab. Dann sehe ich ihn erst. An einem massiven Schreibtisch sitzt ein junger Kerl von einem Ledersessel gerahmt. Sein zarter Bartflaum ziert ein breites, überzeugtes Lächeln. Das Haar gestriegelt. Ich lasse mich gegenüber von ihm auf einen kleinen Holzstuhl nieder. Ich stelle mich vor, er fragt mich über meine bisherigen Tätigkeiten, erzählt aber nicht von sich oder was es hier zu tun gibt. “Das ist eine riesen Sache, eine riesen Sache, eine Chance für Sie, wirklich eine Chance”, wiederholt er nur immer wieder.

Während ich so über die Chance nachdenke, wird mir bewusst, dass ich gar nicht genau weiß, für was ich mich hier beworben habe. Da betritt ein zweiter junger Kerl den Raum. Gleiches Kaliber, enges Hemd, bis oben hin zugeknöpft, um eine jugendliche Brust gespannt. Ich gucke von einem zum anderen, sie lachen sich zähnezeigend zu, ich ziehe die Mundwinkel hoch. “Wie sieht denn so ein Tag aus in meiner Position?”, frage ich. Der Neue winkt ab. “Sie müssen richtig gut sein, das sind Sie aber ja bestimmt, bestimmt, das sind Sie.” Ich nicke und lasse den Blick kreisen, suche nach irgendeinem Anhaltspunkt, der mir Aufschluss verschaffen könnte. Ein Schatten hinter mir. Leise und unscheinbar geht ein Mann vorbei. Er wird den beiden einen kurzen, nichtssagenden Blick zu und verschwindet dann in einer kleinen Tür. Mir geht durch den Kopf, dass er ein Diener sein muss oder Ähnliches.

Plötzlich öffnet sich eine überdimensionale Schiebevorrichtung und wie aus dem Nichts erscheint eine weitere hallenartige Räumlichkeit. Die beiden jungen Herren stehen simultan auf, die Hände an den Anzugärmeln und Knöpfen, zupfend, wie aus dem Lehrbuch. “Bitte”, gestikulieren sie, “das Screening wird im nächsten Zimmer fortgesetzt.” Ich stehe auf, packe meine Sachen, die eine Flasche Whisky enthalten und trete ein; dabei schaue ich auf meine Füße und sehe zwei verschiedene Schuhe.

“Willkommen!” Hinter einem halbmondförmigen Tischblock sitzt sie, hat Aknenarben, wirkt klug, nicht aufgesetzt. Nun bin ich bei der Chefin angekommen, denke ich, und lasse mich ihr gegenüber nieder. Sie hebt die Hand und bedeutet mir wieder aufzustehen, weist mich zu einer Sitzreihe mit Computern. “Gleich geht es los, suchen Sie sich einen aus.” Endlich eine richtige Überprüfung. Normaler und weniger aufgeblasen. Bisher hatte ich mehr das Gefühl, eine Gruppe Social Media Marketeers hätte Krypto Investoren skalpiert, sich dann den Hut aufgesetzt und eine Kanzlei eröffnet.

“Test starten.” steht auf dem Bildschirm vor mir. Ich möchte klicken, werde jedoch durch ein lautes, schleifendes Geräusch unterbrochen. Im Augenwinkel erkenne ich, wie sich hinter der Frau im Mond, der Chefin, erneut eine Wand aufschiebt und einen weitläufigen, halb überdachten Vorplatz enthüllt. In seinem Zentrum stehen fünf Hochstühle, wie Ansitzböcke von Jägern, nur eleganter; auf ihnen fünf ältere Damen, vermutlich in ihren Sechzigern. Alle tragen sie das gleiche Outfit in einer anderen Farbe. Kleider und Hüte, die mit Schleifen ums Kinn herum befestigt sind, wie Frauen sie im achtzehnten Jahrhundert trugen. Auf ihren Nasen liegen kleine, rundglasige Sonnenbrillen durch die sie mechanisch herabstarren.

Ich öffne die Flasche Whisky und nehme drei große Züge. Sie interessieren sich nicht für mich. Helles Gelächter ertönt hinter mir, zwei kleine Kinder laufen vorbei, gefolgt von vielen weiteren Menschen, grau und einfach gekleidet. Neben mir bleibt eine Frau stehen, wendet mir ihren Kopf zu und guckt aus leeren, tierischen Augen. Um uns herum reden alle wild durcheinander. Ich weiß nicht, was ich tun soll, sehe unweit von mir auf einer Backsteinmauer einen kleinen Jungen sitzen; er starrt durch Luftlöcher und isst genüsslich einen roten Apfel. Saft trieft von seinen Händen. “Was passiert hier gerade eigentlich?”, frage ich ihn.
“Das ist der Boss”, schmatzt er, und kleine spuckeschäumende Apfelreste fallen aus seinem Mund. Ich folge den klebrigen Fingern. Es ist der unscheinbare Diener, der durch den Raum geisterte, als ich noch mit den zwei Jungspunden im Austausch war. “Vielen Dank”, sage ich zu dem Kleinen und gehe geradewegs auf den Mann zu.

Schon während ich ihm näher komme, dreht er sich herausfordernd in meine Richtung, streckt mir dann die Hand entgegen, die ich sprachlos ergreife. “Kommen Sie mit”, sagt er, ohne den Griff zu lockern. Hand in Hand gehen wir schnellen Schrittes und lassen die Versammlung hinter uns. An einer kleinen Metalltür, die nach Hintereingang aussieht, bleibt er stehen. “Nach Ihnen.” Freundlich weist er mich hinein.

Ich trete in einen altertümlichen Saal mit hohen Decken. Holzornamente zieren die Wände und dazwischen, aus großen Gemälden in goldenen Rahmen, starren Frauen und Männer auf mich herab. An einem massiven Schreibtisch sitzt ein junger Kerl von einem Ledersessel gerahmt. Ich lasse mich gegenüber von ihm auf einen kleinen Holzstuhl nieder.





Lukas Felix Pohl

Allein unsere Existenz ist eine Geschichte. Jeden Tag stolpern wir in neue, aufregende, schöne und manchmal auch traurige. Sie alle sind unvergleichlich.
Lukas Felix Pohl lebt in und für Geschichten. Schon als Kind schrieb er erste Texte und entdeckte später das Filmemachen für sich. Er wohnte, studierte und arbeitete in Nordamerika und verschiedenen Ländern Europas. Zuletzt in Südfrankreich, bevor er in seine Heimatstadt Köln zurückkehrte.
Seit 2024 widmet sich Lukas vollständig dem Schreiben. Inspiriert von Autoren wie Hemingway, Malaparte, Max Frisch und Murakami, erschafft er realistische Erzählungen, spielt mit surrealistischen Elementen oder fantasiert auch gerne
ganz neue Welten.








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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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