Stefan Kreiger für #kkl50 „Hingabe“
Sägen Lernen
Die Dielen krachten unter Pathos und Vert hinkte kopfschüttelnd hinüber zum Parkettwechsel in die angrenzende Werkstatt.
Dort hatte er oft mit dem Großvater gearbeitet. Ihm beim Schnitzen zugesehen. Seine ersten eigenen Versuche in Holz gewagt. Für ein Messer war er zu klein gewesen. Aber der Großvater hatte ihm den Fuchsschwanz geschenkt. Der dunkle Holzgriff war abgegriffen, völlig blank und das Blatt war wohl in der Zwischenzeit geschärft oder ersetzt worden – die Zähne, so beschaffen, dass sie in beiden Richtungen schnitten. Zieh Junge, zieh, nur leichter Druck, sonst verkeilt sich das Blatt, wenn du dich anstrengst machst du es schon falsch. Werkzeug aus einer Zeit, als man Dinge noch umsorgt gewartet hatte, statt sie im Ganzen wegzuwerfen. Vert zog die Länge durch, genausoweit wie in Gegenrichtung, mit sanftem Druck und in gleicher pulsierender Geschwindigkeit. Mit dem Ellenbogen weit nach hinten ausgeholt, da er eigentlich noch etwas zu klein war. Aber wenn man sich Zeit ließ, ging es wie von selbst. Vert war Linkshänder, was den Großvater anfangs irritierte wenn er sich schützend, ihm es gleichzutun, über die Schulter des Enkels beugte. Sägen lernen, Lernen sägen. Oberarm und Schulter mussten sich daran gewöhnen. Locker, Vert, Arm ausschütteln, gut so, weiter so. Nicht verkrampfen in der Hand. Vieles gab es zu beachten, Körperhaltung, Abstand von Oberkörper zu Werkbank, die Höhe des Hockers, bei welchem Holz man sitzen darf und bei welchem man zu stehen hat, wie das Holz einzuspannen war ohne Schaden zu nehmen, wie man es im rechten Winkel rundherum mit gespitzten Bleistift anzeichnete – immer mit der Spannung im Zungenbruch: Trifft sich der Strich, trifft er sich? – ob man links, rechts, mittig davon und in welcher Neigung sägte. All so was. Die kurze gemeinsame Zeit in der Werkstatt. Vert mit Großvater.
Anfangs hatte er behauptet, seine missglückten ersten Versuche seien natürlich völlige Absicht und später aber Gefallen gefunden an den so entstandenen Keilen. Und was waren das für Keile. Keile schnitt er von nun an. Keine Latten, Bretter, Pfosten, weder Leisten noch Balken und schon gar keine Blöcke. Keile schnitt er! Wozu, Warum, wer weiß? In der Keilform lag etwas ihm Verwandtes. Das Holzstück, das zu nichts zu gebrauchen war, außer es unter scharrende Türen zu klemmen. Vert mochte diese Dreiecke. Schmal und dick, lang und kurz, niemals zu groß, bestand sein Rohmaterial doch aus Resten des Sägewerks nebenan – so meist nur handliche Stücke, die niemand vermisste. Restmüll und Fundus, mit harzigem Geruch. Manchmal musste Vert niesen. Die Großmutter schimpfte, Staub und Sägemehl seien doch nichts für den Knaben und der Gatte solle doch wenigstens die Werkstatt kehren. Der Großvater entsprach murrend der auferlegten Reinlichkeit, was Vert nicht hinderte munter weiter zu niesen, lag es seiner Ansicht doch eher am feinen Holzaroma das einem die Nase kitzelte.
Noch konnte er die Hölzer nach Art nicht benennen, wohl sie aber unterscheiden. Sie fühlten sich anders an, rochen, splitterten und rissen auf verschiedene Art – die Details mit scharfem Auge bedacht. Manche, glatt, manche spröde und wieder andere überhaupt, zerfranst und verzogen, wenn er trotz Übung dann und wann keinen geraden Schnitt zuwege brachte. Stücke, die schon länger herumlagen, waren anders nachgedunkelt als Stücke gleich daneben, Dichte und Wuchs der Jahrzehnte unterschied sich nicht nur bei derselben Art sondern zuweilen beim selben Baum von dem das Material stammte. Der Großvater versuchte ihm eine Weile vergeblich zu erklären wie sich das verhielt. Von oben nach unten beim Wachsen und umgekehrt.
Das Schönste am Sägen jedoch war der Moment, die Millisekunde, die Leere nach dem Verstummen des Schnitts, bevor der frische Keil mit dem Poltern des Werkstücks auf die Dielen glitt. Mit innerer Zufriedenheit hob man ihn aus der Taufe und strich mit dem eigenen noch jungen Fingerabdruck von Jahresringen über die soeben gekappte Oberfläche einer durchdringenden Zeitreise. Pause.
Er blickt hoch, in die Augen des Großvaters und fühlt sich ertappt, enthauptet wie einer der soeben einen Schatz gehoben, reiht den jüngsten Keil nicht ohne Stolz an Ende und Anfang der Schlange entlang der Werkbank und zieht mit dem anderen Zeigefinger die so entstandene Kontur nach. Rauf und runter, sanften Anstiegs entlang der Winkel, dann wieder abfallend zum nächsten Stück. Dort waren seine ersten zwei, verwunschen wie jene die man unter alte Wohnmobile stellt, ein Verklemmter und sein Bruder. Dann folgten vier weitere der Größe nach aufgefädelt, Fichte, soviel weiß man schon. Er mochte das helle Holz, auch war es leicht zu sägen. Dann die ersten geglückten Versuche, diesen hier mochte er besonders, der Großvater hatte ihn gelobt, der Schnitt sei in beiden Achsen grade, gut gemacht, Schulterklopfen.
Es folgten weitere, er hatte sich am Fließband erprobt, aber das war ihm nicht das seine. Vielmehr mochte er unterschiedliche Ausführung und Beschaffenheit des jeweiligen Keiles. Wie konnte man ihm Charakter, Eigenart geben, ihm Gesicht, Erzählung, Ausdruck verleihen. Obwohl ihm bei einem größeren Stück, am Rande eines Astlochs, etwas abgebrochen war, ergänzte das Unglück nun doch die Stelle in Form und Struktur dermaßen, dass dieser, besonders in Relation zu den vielen anderen, Qualität bekam. Er legten den Kopf schief an die Schulter, wie er es immer tat wenn etwas erwogen, untersucht oder begutachtet werden sollte – eine womöglich weltbewegende Entscheidung ausstand. Und wenn nicht weltbewegend, dann doch so in Art und Weise, dass sie erst gefällt werden müsste um weiterzukommen. Alles der Reihe nach Vert, First things first! Er legte den Kopf wieder waagrecht in Ausgang und positionierte auch den Keil in Händen an seinen Bestimmungsort. Manche durften nicht einfach hintangestellt werden, sondern brauchten aufgrund ihrer Eigenart einen bestimmten Platz neben den Anderen, deren Unterschied erst in Beziehung zueinander zur Geltung kam. Er rangierte hin und her, wog prüfend gegen-, für- und aufeinander, bevor er schließlich einen guten Platz dafür fand. Wohlgemerkt immer nur solange bis er wieder etwas änderte an der schon liebgewonnenen Keilsammlung und man gegenrangieren musste, um die Stimmung der Installation zu erhalten. Auch war es zuweilen nicht hilfreich wenn der Großvater sich ein Stück für seine Schnitzereien klaute. Schien es doch, dass er ausgerechnet an diesen, nunmehr zu Kunstwerk und Keil gewordenen, mehr Gefallen fand, wo er sie gerade keine Minute zuvor am Boden liegend noch mit dem Fuß zur Seite gefegt hatte. Vert sah sich um, er würde bald eine zweite Reihe eröffnen müssen – der Großvater hatte ein Regal versprochen – und überlegte ohnedies, ob er den letzten Keil nicht doch lieber in zwei schmale sägen sollte. Ein Längsschnitt auf Spitz, besonders schwierig. Auch hatte er schnell gelernt, dass sein Werkstück immer angewinkelt eingespannt werden musste, denn es sägte sich immer am besten rechtwinklig nach unten. Es lag an der Führung der Achse. Etwas Angeborenes. Die Erdachse des Sägenden. Dieser, in Verlängerung von Gravitation geführt in jene heißen Untiefen imaginärer Magma-Mitten getaucht, ans Eingemachte, Ende, Anfang, NonPlusUltra, als Reisender blindlinks (und gut durch) darüber hinaus geschossen, aufgewacht. Voyager. Und dann…
Vert – eben noch schlummernd oder zumindest im Halbschlaf Holz gesägt – blinzelte unbeholfen durch den Fleischwolf gedreht und leicht zerstückelt in die Morgensonne. So war das. Sie ließen nicht locker, einfach nicht locker, flüsterte er – mit dem Gesichtsausdruck des Hofnarrens aufgesetzt, dem König die Pointe eines volksbekannten Witzes andeutend, ohne die Zähne zu fletschen.
Stefan Kreiger, geboren 1981 in Salzburg, lebt und arbeitet als Künstler und Schriftsteller in Salzburg. Studium Kunstpädagogik und Malerei an der Universität Mozarteum; Arbeitsaufenthalte in Budapest, Cered, Wien, Warschau, Red Wing Minnesota, Berlin, Meran, Bosa;
Über #kkl HIER
